Zuletzt wurde die Diskussion um die Rolle der Social-Media-Plattformen von einem Maßnahmenpaket dominiert, das Facebook annoncierte. Ziel ist es, die Verbreitung irreführender Angaben und anderer problematischer Inhalte mit Bezug zur US-Wahl zu verhindern oder zumindest einzudämmen. Offensichtlich ist auch bei Gründer und CEO, Mark Zuckerberg die Erkenntnis gereift, dass einiges, was auf seiner Plattform kommuniziert wird, dazu geeignet ist, die Integrität der Wahl zu beeinträchtigen. Während etwa Twitter inzwischen auf politische Werbung gänzlich verzichtet, wird Facebook nun in der Woche vor dem Wahltermin keine neuen Anzeigen von Kandidierenden und Kampagnen mehr veröffentlichen. Damit soll eine mögliche Quelle zur zielgruppenspezifischen Mobilisierung respektive Demobilisierung von Wählern zum Versiegen gebracht werden, weil hier auch Desinformation kurzfristig nicht mehr verhindert werden konnte. Gerade dieser temporäre Bann ist in die Kritik geraten: Besonders exponiert hat sich Tara McGowan, die Chefin einer die Demokraten unterstützenden Digital-Agentur. Ihr geht es um die erhebliche organische Reichweite rechtsgerichteter Akteure wie beispielsweise des „Breitbart News Network“, die zudem als Nachrichtenanbieter auf der Plattform ebenso wie andere Medien privilegiert präsentiert werden. Deren prominente Präsenz auf der Plattform lasse sich in einem womöglich wahlentscheidenden Zeitraum nun nicht mehr durch bezahlte Reichweite seitens liberaler Akteure ausgleichen.
Der Politikwissenschaftler Daniel Kreiss kritisiert gemeinsam mit einem ehemaligen Facebook-Verantwortlichen zudem, dass legitime politische Kommunikation dadurch unterbunden werde, wie etwa wichtige Informationen der Behörden zur Wahlorganisation.
Hier verweist Facebook als Alternative zu Anzeigen auf sein „Voting Information Center”, einen besonderen Bereich auf der Plattform, in dem relevante offizielle Angaben zum Wahlprozess verfügbar gemacht werden. Kurzfristige Benachrichtungen sollen sogar im personalisierten „News Feed” als „Voting Alert“ angezeigt werden. Gleichermaßen wurde die Moderation der Inhalte verschärft, vor allem um Fehlinformation zur Unterdrückung der Teilnahme an der Wahl („voter suppression”) zu bekämpfen. Von dieser Regelung wurde bereits Donald Trump mit seiner beständigen Agitation gegen die unter den Bedingungen der Corona-Pandemie besonders bedeutsame Briefwahl betroffen. Denn er befürchtet, dass von Briefwahl-Stimmen eher das gegnerische Lager profitiert. Einer seiner Beiträge wurde nun mit dem dauerhaften ergänzenden Hinweis versehen, dass die Vertrauenswürdigkeit der Briefwahl aktuell außer Frage stehe.
Bei dieser elektoralen „content moderation“ hängt viel von der Umsetzung ab: In letzter Zeit ist der Eindruck entstanden, dass im Unternehmen unterschiedliche Lager um die Durchsetzung der Regeln ringen: Die einen sorgen sich um potente Anzeigenkunden und um ein günstiges politisches Klima für die Plattform, andere wollen etwa die Falschinformationen Trumps zur Briefwahl nicht nur mit Warnhinweisen versehen, sondern betreffende Beiträge entfernen und mehrfache Verstöße strikt mit der Löschung von Profilen ahnden. Man sorgt sich darum, dass gerade nach der Wahl eine kritische Situation entsteht, wenn das Endergebnis erst nach längerer Zeit feststeht und ein Ringen um die Deutungshoheit entbrennt: “If any candidate or campaign tries to declare victory before the final results are in, we’ll add a label to their posts directing people to the official results from Reuters and the National Election Pool.”. In diesem Kontext steht auch eine weitere Maßnahme, die Facebooks Kurznachrichtendienst “Messenger” betrifft: Analog zur Regelung bei WhatsApp wurde ein Weiterleitungslimit von Inhalten an maximal fünf Personen oder Gruppen angekündigt, um eine virale Verbreitung von Desinformation auf diesem Weg zumindest zu behindern.
Unabhängig von der Frage, wie wirksam die Implementierung des Maßnahmenpakets letztlich sein wird, bleibt prinzipiell problematisch, dass das Unternehmen einen sensiblen Bereich öffentlicher Kommunikation weitgehend nach seinen eigenen Vorstellungen regelt und dabei seine kommerziellen wie politischen Interessen freilich besonders berücksichtigt.
Plattformisierung und US-Wahlkampf II
Dr. Erik Meyer ist Politikwissenschaftler und Fellow am Center for Advanced Internet Studies in Bochum. Dort bearbeitet er das Projekt „Die US-Präsidentschaftswahl 2020 im Kontext der Plattformisierung politischer Kommunikation: Algorithmische Öffentlichkeit und datenbasierte Kampagnenführung“. Einen ersten Einblick gibt sein Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Aktuelle Aspekte dokumentiert er in einer Presse- und Social-Media-Schau und bespricht sie hier in weiteren Beiträgen bis zur Wahl.