Was ist „Hate Speech“?
Wenn sich Beleidigung, Gewaltandrohungen und Hass gegen einzelne Personen oder Gruppen von Menschen im Internet richten, spricht man von „Hate Speech“. Diese virtuelle Form der Hassrede ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass die betroffenen Menschen durch eine mitunter große Menge an öffentlich sichtbaren Kommentaren und Online-Inhalten herabgewürdigt werden. Im Gegensatz zu Cybermobbing werden diese Diffamierungen des Betroffenen von ihm völlig unbekannten Menschen geäußert, die oft auch gar nicht anonym auftreten, sondern über den Ausdruck von Hass gegenüber Dritten ihre eigene Identität und Einstellung öffentlich kommunizieren.
Besonders deutlich tritt die Problematik von Hass und Hetze im Internet aktuell da zutage, wo sie sich gegen in Europa ankommende Flüchtlinge richtet. Eine zunehmend aggressive Argumentationskultur im Internet gibt es nicht erst seit dem Sommer 2015. Auch vor diesem Zeitraum waren etwa in den Kommentarbereichen von Online-Zeitungen und auf Social-Media-Plattformen Menschen zu finden, die eher durch ihre Lust an ungefilterter Meinungsäußerung als durch ihre Bereitschaft zu sachlicher Auseinandersetzung mit abweichenden Positionen auffielen.
Verbale Gewalt gegen Frauen, gegen ethnische und religiöse Minderheiten, gegen Nicht-Heterosexuelle war bereits dokumentiert und Gegenstand diverser Untersuchungen sowie öffentlicher Klagen über die Anonymität des Netzes, die solcherlei Entwicklungen befördere. Dass bestimmte Gruppen stärker Opfer von Hate Speech werden, zeigt eine Datenanalyse der Kommentarspalten des Guardian. Die britischen Journalisten haben herausgefunden, dass die Artikel von weiblichen und nicht-weißen Autoren deutlich mehr Hate Speech auf sich zogen als die ihrer männlichen, weißen Kollegen. Themen wie Feminismus und Vergewaltigung ziehen überdurchschnittlich viele Kommentare auf sich, die als Verletzung der Community-Regeln eingestuft und blockiert werden. Insgesamt müssen aber nur zwei Prozent der Kommentare geblockt werden: d. h. der Hass ist trotz seiner Lautstärke in der Minderheit.
Die Amadeu Antonio Stiftung antwortete mit der Publikation „‘Geh sterben!‘ Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet“ im Jahresverlauf 2015 auf verschiedene Formen von Online-Hassreden. Bereits im Jahr 2013 hatte die Stiftung mit zwei Veröffentlichungen explizit auf die Verbreitung von Hass im Netz reagiert. In „Geh sterben!“ wird das Phänomen von Hate Speech anhand von herabwürdigenden Beispielen gegenüber Migranten, Antisemitismus und Homophobie beschrieben.
Jüngste Entwicklungen des Phänomens
Statement eines Journalisten aus Libyen zur Problematik von Hate Speech in seinem Land.
Im EU-Projekt “BRICkS – Building Respect on the Internet by Combating Hate Speech”, an dem das Grimme-Institut beteiligt ist und das im Frühjahr 2015 verschiedene Fallbeispiele ausgewertet hatte, zeigten sich ähnliche thematische Schwerpunkte. In den untersuchten Online-Artikeln, die in besonders massiver Form kommentiert wurden und deshalb prototypisch ausgewählt wurden, ging es um Antisemitismus im Kontext des Auschwitz-Gedenkens, um Hassreden gegenüber einer türkisch-deutschen Schauspielerin, die ein Foto mit Kopftuch bei Instagram veröffentlicht hatte, um einen jungen Homosexuellen, der verächtlich gemacht und bedroht wurde. Was bereits an verschiedenen Stellen mitschwang, waren sehr unterschiedliche Reaktionen auf die im Frühjahr 2015 noch vergleichsweise junge Pegida-Bewegung: Sowohl in den Kommentaren auf den Auschwitz-Beitrag als auch in untersuchten Artikeln im Kontext des Charlie-Hebdo-Attentats in Paris bewegten sich mehrere Diskussionsstränge weg vom eigentlichen Inhalt des Artikels und hin zu einer hitzigen Debatte über diese islamfeindliche Gruppierung. Die deutsche BRICkS-Studie, aber auch die aus Belgien, Italien und der Tschechischen Republik sind hier zu finden.
Ab dem Frühsommer 2015 fiel auf, dass sich Hasskommentare zunehmend gegen Flüchtende, besonders gegen muslimische, richteten. Ab diesem Zeitraum flohen deutlich mehr Menschen, besonders auch aus Syrien, nach Europa, was nicht nur dazu führte, dass eine fast überraschende zivilgesellschaftliche Unterstützung zu beobachten war, sondern auch dazu, dass Hassreden in sozialen Medien ein noch massiveres Ausmaß erreichten.
Ähnliche Prozesse sind auch bei Hate Speech gegen andere Gruppen zu beobachten. So begann die als „Gamer Gate“ (2014) bezeichnete Welle von Hassreden als gezielte Diffamierung einer Spiele-Entwicklerin, weitete sich auf andere prominente Frauen im Games-Bereich sowie auf Journalisten aus und richtete sich schließlich gegen Personen, die gegen das frauenfeindliche Verhalten öffentlich Position bezogen.
Erschreckend war die Fülle an Kommentaren, die ohne Zweifel die Grenzen der Meinungsfreiheit verletzten. Noch erschreckender war die Intensität des Hasses, der in ihnen erkennbar wurde. Diese Entwicklung führte dazu, dass Politiker (fast) aller politischen Fraktionen sowie andere Personen des öffentlichen Lebens Alarm schlugen und nach Wegen suchten, um auf diese Form der zerstörerischen gesellschaftlichen „Diskussion“ zu reagieren bzw. diese zu unterbinden. Hasskommentare richten sich in der Folge nicht nur gegen Geflüchtete, sondern auch gegen all jene, die sich für sie engagieren: zivilgesellschaftliche Unterstützer, Freiwillige, Politiker und Aktivisten.
Vorgehen gegen Hate Speech
Im Zusammenhang von Hassreden gegen Geflüchtete wendeten sich der deutsche Justizminister Heiko Maas und die Bundeskanzlerin an Vertreter von Facebook, um Möglichkeiten zur Vereinfachung des Löschens von auf Facebook veröffentlichten Hassreden zu prüfen, da diese Plattform zunehmend zur Verbreitung von rechtsextremen und rassistischen Kommentaren genutzt wurde. Die deutsche Staatsanwaltschaft ermittelte ab Herbst 2015 gegen mehrere Facebook-Manager in Deutschland, um herauszufinden, ob das Unternehmen dafür verantwortlich gemacht werden könne, dass nicht ordnungsgemäß mit Hassreden umgegangen wurde.
„Perlen aus Freital“ als nur ein Beispiel sammelt Hasskommentare und recherchiert und veröffentlicht die Namen der Urheber in einer Art virtuellem Pranger.
Mark Zuckerberg persönlich kündigte schließlich an, sich um eine Prüfung der Regeln und Verfahren bemühen zu wollen: Im Januar 2016 wurde die „Initiative für Zivilcourage Online“ gegründet. Die Initiative soll als breites Bündnis gegen Extremismus und Hassreden aktiv werden und wird unter anderem unterstützt vom „International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence” (ICSR), dem „Institute for Strategic Dialogue” (ISD) und der Amadeu Antonio Stiftung. Ob die von der Initiative zu entwickelnden Maßnahmen dann letztlich effektiv gegen Hass wirken werden, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt abzuwarten.
Auch gegen Privatpersonen wurde erstmals vorgegangen, weil sie Hasskommentare veröffentlicht hatten. Anderen wurde gekündigt. Darüber hinaus erhob eine wachsende Zahl von zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie bekannte Personen des öffentlichen Lebens (Schauspieler, Comedians, Autoren) ihre Stimme gegen Hassreden.
Ein ausführlicher Überblick über die rechtliche Lage im Umgang mit Hasskommentaren findet sich auf der Seite der Amadeu Antonio Stiftung.
In der Tat lässt sich in Deutschland beobachten, dass mittlerweile restriktiver gegen Hasskommentare vorgegangen wird. Gleichzeitig finden Diffamierungen nicht mehr nur anonym statt und tragen für betroffene Personengruppen bedrohliche und auch strafrechtlich relevante Charakterzüge. Wenn diese Strömungen dann von Personen des öffentlichen Lebens auch außerhalb von Online-Foren aufgegriffen werden und im schlimmsten Fall verteidigt oder relativiert werden, macht diese Entwicklung einen bis dato populären, eher aufklärerischen Ansatz schwieriger.
In der Debatte über den Umgang mit Hassreden gibt es mehrere Strömungen:
- Diskussion mit den Hassrednern in den entsprechenden Foren
- Aufklärung über vorhandene Reaktionsmöglichkeiten gegenüber Hasskommentaren (etwa im pädagogischen Bereich)
- Ironische oder spöttische Reaktion auf Hasskommentare
- Ignorieren der Hassredner mit dem Ziel, ihnen kein Forum mehr zu liefern
- Löschen der Kommentare
- Anzeige der Verfasser dort, wo die Grenzen des Rechts auf freie Meinungsäußerung überschritten werden.
Nach einer im Projekt BRICkS erfolgten Umfrage unter Redakteuren und Social-Media-Managern war Kommunikation die beliebteste Methode, auf Hass zu reagieren. Sie plädierten in ihrer Mehrheit dafür, das Löschen von Beiträge möglichst zu vermeiden, sondern stattdessen den Dialog mit den Hassrednern zu suchen bzw. die Community darin zu bestärken, selbst auf die Störer in ihrer Mitte zu reagieren. Wenn jene sich allerdings durch bekannte(re) Persönlichkeiten in ihren Äußerungen unterstützt bzw. in ihren Überzeugungen legitimiert sehen, wird eine Peer-to-peer-Einwirkung mühseliger.
Derzeit ist es wohl nicht möglich, sich für eine einzelne Maßnahme gegen Hate Speech zu entscheiden, wenn man der vielfältigen Erscheinungsformen Herr werden möchte. In einigen Foren und Kommentarbereichen scheint die Diskussion mit den entsprechenden Usern oder aber auch der eher spöttische Umgang mit ihnen (ein oft genanntes Beispiel hierfür ist das Moderationsteam der WELT) erfolgversprechend. Im Kontext von Facebook geht es mittlerweile in erster Linie darum, Hasskommentare oder Posts, die ehrverletzend sind, konsequent zu erkennen und zu löschen. In den Medien ist des Öfteren darüber zu lesen, dass Verfahren gegen besonders aggressive oder rassistische Verfasser eingeleitet wurden. Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, setzen wiederum zunehmend darauf, ihre Zielgruppe mit Projekten und Maßnahmen gegen den Einfluss von Hass zu wappnen und ihnen Instrumente an die Hand zu geben, selbst aktiv Stellung zu beziehen gegenüber jenen, die Hass verbreiten.