„Junge Europäer sehen sich im Europäischen Parlament nicht ausreichend repräsentiert, betrachten die Europawahl als Wahl zweiter Klasse – und fühlen sich Europa trotzdem sehr verbunden. Das ist das Ergebnis der Jugendstudie 2019, für die das Meinungsforschungsinstitut YouGov 8.220 junge Menschen befragt hat.“
Jugendstudie 2019 – Europas Jugend fordert mehr Mitsprache
Zeit Online am 3. Mai 2019
Detaillierte Informationen zur Studie finden Sie hier.
Die Jugendstudie und aktuelle politische Entwicklungen zum Thema Europa- und Klimapolitik machen einen zentralen kritischen Punkt im Austausch von Jung und Alt deutlich:
Es geht um das Mitspracherecht von jungen Menschen in einer Zeit, die von massiven Ängsten geprägt ist – etwa vor dem Auseinanderbrechen der EU oder vor der irreparablen Klimakatastrophe. Hinzu kommen große Zweifel an der Handlungsfähigkeit der jetzt erwachsenen Generation und das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Zu häufig werden konkrete Vorschläge junger Menschen zur Verbesserung der Umweltpolitik als nicht umsetzbar, weil nicht vom Wähler gewollt, deklariert und es wird angenommen, dass die Forderungen dem jungen Alter geschuldet und somit nur vorübergehend sind.
Betrachtet man jedoch die Ergebnisse der Europawahl im Mai 2019, wird deutlich, dass das Engagement junger Menschen im Bereich des Klimawandels dauerhaft und hörbar ist. Zeit Online bezeichnete die Wahl als Klima-Wahl und titelte mit „Angriff aus dem Kinderzimmer„. Im Zeit-Beitrag wird darauf hingewiesen, dass die Grünen bei der EU-Wahl in Deutschland bei den Neuwählerinnen und -wählern so viele Stimmen bekommen haben wie CDU und SPD zusammen.
Neben dieser hohen Wahlbeteiligung wird nachhaltig politisches Engagement auf junger Seite in der Bewegung Fridays for Future sichtbar. Bereits seit Monaten stellen die Beteiligten in ganz Deutschland sowie in zahlreichen anderen Ländern deutliche politische Forderungen an die ältere Generation und insbesondere an die Politik.
Wie aber reagieren Erwachsene auf die politischen Proteste junger Menschen? Werden Jugendliche im politischen Geschehen ernst genommen? Der vorliegende Beitrag will diesen Fragen nachgehen und bündelt die mediale Berichterstattung in Deutschland zum Thema „Jung & Alt“.
Wie in unserem Beitrag „Klimawandel – jung, besorgt & laut“ bereits erläutert, sind viele Kinder und Jugendliche keineswegs unpolitisch und konsumgesteuert. Die junge Generation protestiert ausdauernd und gut organisiert, mit und ohne Unterstützung von erwachsener Seite. Oder auch trotz Häme, Hass und Abwertung.
Zeit Online ermutigt junge Menschen dazu ihre Meinungen einzubringen. Die Initiative Stimme der Jugend von ZEIT Online sammmelt politische Botschaften von unter 25-Jährigen und plant deren Veröffentlichung im August 2019.
Dabei sind sowohl die ausdauernde junge Protestbewegung als auch das Thema der Klimakrise bemerkenswert. Diese ist global spürbar, nur global lösbar und bedroht massiv die Zukunft aller heutigen Kinder und Jugendlichen. Bedrohliche Auswirkungen wie Überschwemmungen, Hitze und damit einhergehende Flächenbrände, Aussterben von Tierarten und weiteres mehr sind zudem bereits heute Realität für viele Menschen. Ein Umdenken sowie Verbote umweltschädlicher Verhaltensweisen der Menschen scheinen unumgänglich. Die Forderungen der jungen Klimaschützer sind entsprechend klar formuliert und werden untermauert von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich unter dem Titel Scientists for Future zusammengetan haben und Fridays for Future begleiten und unterstützen.
Auf erwachsener Seite ist hingegen eine Diskussion entbrannt, ob Verbote zum Klimaschutz notwendig sind oder ob auf freiwilligen Verzicht gesetzt werden sollte. Insbesondere die FDP sieht in den geforderten Verboten einen Angriff auf den Liberalismus in Deutschland.
„Jugendliche zeigen mehr Interesse an Politik als vor zehn Jahren„
Handelsblatt 11.05.2019
Die Proteste dauern trotz Gegenwind nun schon Monate an und das Engagement der jungen Menschen ist beeindruckend. Jedoch dürften die Aktivist(inn)en über die tatsächlichen politischen Konsequenzen in Deutschland enttäuscht sein. Im August 2019 fand die erste Konferenz der Initiative Fridays for Future statt. Zahlreiche Workshops sowie Zeit für Vernetzung und Austausch sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer motivieren, weiterzumachen. In Lausanne fand ebenfalls im August ein Summer Meeting unter dem Titel „Smile for Future“ statt. Für September 2019 plant Fridays for Future eine bundesweite Aktionswoche in mehr als 100 Städten, zeitlich gekoppelt an den 20. September (an diesem Tag werden die Ergebnisse der Beratungen des Klimakabinetts vorgestellt) sowie an die Veranstaltung des UN Climate Action Summit in New York am 23. September. Die junge Initiative wünscht sich an diesen Tagen ausdrücklich Unterstützung von erwachsener Seite, um den Druck auf die Bundesregierung zu erhören. Mit Initiativen wie Workers for Future, Artists for Future, Parents for Future und Grandparents for Future solidarisieren sich bereits jetzt zahlreiche Erwachsene und versuchen zu unterstützen.
Schaut man nach Amerika, sieht man dort eine Gruppe junger Menschen, die die US-Regierung mithilfe einer Klage zu mehr Klimaschutz zu zwingen versucht. 21 Jugendliche haben diese vor vier Jahren unter Anleitung der Organisation Our Children’s Trust eingereicht. Die Begründung der Klage lautet, dass die Regierungen der USA seit Präsident John F. Kennedy die Zerstörung eines intakten Klimasystems inkaufgenommen hätten, um die Nutzung fossiler Brennstoffe zu fördern. Die Kläger fordern einen Klimaerholungsplan, der den zukünftigen CO2-Ausstoß senkt und die Menge an bereits ausgestoßenem CO2 reduziert. Außerdem sollen künftig alle Entscheidungen der Regierung die Auswirkungen auf das Klima berücksichtigen.
„Dass andere stattdessen mit persönlichen Angriffen reagieren oder vermeintliche Ungereimtheiten in Gretas eigenem Verhalten kritisieren zeigt eigentlich nur, dass sie keine sachlichen Argumente haben. Vielleicht hat Greta Thunberg bei diesen Menschen einfach den Finger in die Wunde gelegt. Und sie sollten sich mal fragen, warum sie diese 16-jährige Schwedin eigentlich wirklich so wütend macht.“
“Warum die meisten Kommentare gegen Greta Thunberg…”
Bento, 27.01.2019
Es scheint, dass viele Erwachsene mehr als erstaunt darüber sind, dass ihre bisherige Ignoranz Umweltthemen gegenüber nicht mehr hingenommen wird. Anstatt aber nun (berechtigte) Kritik ernstzunehmen, auszuhalten und offen zu diskutieren – wozu eine funktionierende demokratische Gesellschaft in der Lage sein sollte –, ziehen sich Teile der erwachsenen Welt darauf zurück, dass Kinder und Jugendliche unwissend und impulsiv seien. Zudem wird mit Argusaugen auf die jungen Protestler geschaut und auf jedes vermeintlich umweltschädliche Verhalten ihrerseits hingewiesen.
Wie hoch der Druck auf zentrale Figuren des Klimaprotestes ist, zeigen die langwierigen Überlegungen, wie Greta Thunberg weltweit an Konferenzen teilnehmen kann, ohne klimaschädlich zu reisen. Um im Rahmen einer Vortragsreise in die USA und nach Mexiko mit gutem Beispiel voranzugehen, wird sie mit einer klimaneutralen Segelyacht von England in die USA fahren – in einem von Hurricanes geprägten Zeitfenster. Ziele sind unter anderem der Klimagipfel der Vereinten Nationen am 23. September in New York und die jährliche UN-Klimakonferenz in Chile im Dezember.
Dass Protest auch an ungewohnter Stelle ausgehalten werden kann und muss, zeigt eine Aktion von Fridays for Future im Bundestag. Wolfgang Schäuble hält als Bundestagspräsident eine Rede, als sich einige Jugendliche vor dem Rednerpult auf den Boden legen, tot stellen und ein Protestbanner gegen die Umweltpolitik der Bundesregierung hochhalten. Die Aktion erntet zwar Kritik aus der Zuhörerschaft, darf aber beendet werden. Dass dies möglich ist, zeigt, dass ein Umdenken in den Köpfen vieler Erwachsener stattfindet. Sie nehmen das jugendliche Anrecht zu Protest und Beteiligung an der Gestaltung der Zukunft wahr. Schauen wir nach Dänemark, geht es dort bereits einen Schritt weiter in Form eines jungen Klimaberaterteams, das den Umweltminister Lars Christian Lilleholt in Klimafragen berät.
Wir haben uns die (medialen) Folgen rund um das Rezo-Video einmal angeschaut und in einem Beitrag gebündelt.
Ein weiteres Beispiel für politisches Engagement von junger Seite ist das YouTube-Video „Die Zerstörung der CDU“ von Rezo, das im Mai 2019 für Aufregung in der politischen Landschaft in Deutschland sorgte. In 55 Minuten macht ein junger Mann, der regelmäßig auf Youtube veröffentlicht, seinem Unmut gegenüber der Politik der CDU, SPD und AfD Luft. Gestützt auf zahlreiche Quellen, zeigt er Versäumnisse und Missstände innerhalb der Großen Koalition auf. Es geht um Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik. Es ist ein gut vorbereiteter Monolog mit kurzen Einspielern, die für die beteiligten Politiker reichlich unangenehm sein sollten. Innerhalb kürzester Zeit wird das Video mehr als 15 Millionen mal (Stand Juli 2019) angeklickt und löst sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer sind begeistert über die emotionale Rede, die betroffenen Parteien scheinen unter Schock zu stehen, einige Politiker versuchen es mit Herabwürdigung des Produzenten aufgrund seiner vermeintlichen Unwissenheit, andere stellen die Frage in den Raum, ob eine solche Meinungsäußerung in zeitlicher Nähe zur EU-Wahl überhaupt erlaubt sein sollte.
Auch hier sieht man in einigen Reaktionen auf Seiten der Politik Verunsicherung und Abwertung als Reaktion. Anstatt rasch und souverän die Kritik aufzugreifen, den Beitrag auch selbstkritisch zu betrachten und das Gespräch zu suchen, wird an verschiedenen Stellen versucht, das Gesagte abzuwehren. Die CDU plant zeitweilig mit einem Youtube-Video zu antworten, was jedoch nicht geschieht. Annegret Kramp-Karrenbauer stellt in einer Rede die Frage, ob man nicht Gesetze bräuchte, die Meinungsmache vor einer Wahl regeln. Das wirkt nicht nur auf die junge Zielgruppe befremdlich. Ein souveräner Umgang mit Inhalten in sozialen Netzwerke sieht womöglich anders aus.
Seit 2018 findet das TubeFestival statt. Dorthin pilgern tausende von Jugendliche, um ihre YouTube-Stars zu sehen, vielleicht zu sprechen und um Autogramme zu bitten.
Die ZEIT schreibt: „Auf YouTube oder Instagram sprechen sie über Politik. Sie erreichen Millionen und trotzdem kennt sie keiner. Wer sind die zehn einflussreichsten politischen Influencer?“ Gemeint sind unter anderen Lisa Sophie Laurent und Julien Bam. Dass sie keiner kennt, ist dabei nicht ganz richtig. Erst die Ergänzung „kein Erwachsener“ macht die Aussage plausibel. Die Szene hat eine große Reichweite, was nicht zuletzt die Zugriffszahlen des Rezo-Videos zeigen.
Erwachsene fordern immer wieder politisches Engagement und Interesse bei den Jüngeren. Nun ist es da, nutzt geschickt die Möglichkeiten der Verbreitung und Vernetzung über soziale Netzwerke im Internet und engagiert sich für ein zentrales globales Thema. Es wäre wünschenswert, die aktuelle Protestbewegung aufzugreifen und in die politische Debatte einzubringen. Denn:
„Gute Debatten sind eine Voraussetzung lebendiger Demokratie und eines gelingenden Zusammenlebens in unserer vielfältigen Gesellschaft. Debattieren heißt: Stellung beziehen, Gründe nennen, Kritik vortragen – gegen- und miteinander. Debattanten müssen sich präzise ausdrücken können und einander zuhören. … Das Besondere an Debatten ist, dass beide Seiten durch gleichrangige Sprecher vertreten sind. ‚Pro‘ beginnt, ‚Contra‘ hält dagegen. Um sicher zu gehen, dass man sich richtig verstanden hat, erhält jede Seite die Gelegenheit zur Erwiderung.“
Jugend debattiert
„Die Demokratie lebt aber vor allem von den Bürgerinnen und Bürgern, sie sind die Basis der Staatsgewalt. In Wahlen und Bürgerentscheiden, durch gesellschaftliches und politisches Engagement, und durch ihr Interesse für die diskutierten Themen legen sie die Grundlage für einen funktionierenden Staat.“
Bundeszentrale für politische Bildung
Die Anerkennung jugendlicher Bedürfnisse und Sorgen ist für eine alternde Gesellschaft entscheidend. Zukunft zu gestalten, ohne jegliche Beteiligung der Betroffenen, erscheint widersinnig. Gespräche zwischen den Generationen über Bedürfnisse, Trends, technische Neuheiten, Ängste und Sorgen sind für eine gelebte Partizipation aller entscheidend. Dabei ist es vielleicht gar nicht notwendig, dass alle die gleichen Medien nutzen und alle in alles Einblick haben, aber wünschenswert wäre Zuhören, Erklären und Verstehen, was der jeweils anderen Generation auf dem Herzen liegt.
Die Initiative Fridays for Future wird uns hoffentlich noch eine ganze Weile begleiten und Änderungen anmahnen. Wir als Erwachsene, Entscheider, Journalisten und Journalistinnen sollten diesen Prozess aufmerksam begleiten und die Forderungen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und politischer Möglichkeiten konstruktiv wahrnehmen und Umsetzungsmöglichkeiten ernsthaft überdenken und angehen. Für zukünftige Generationen ist dies überlebensnotwendig und in der aktuellen Auseinandersetzung zwischen Jung und Alt liegt die große Chance, jetzt gemeinsam zu handeln.