Nachrichtenagenturen lenken die Nachrichtenströme über den Globus, manche seit über 160 Jahren. Sie seien die ersten internationalen, ja globalen Medienunternehmen der Welt und dabei auch selbst Antrieb der Globalisierung geworden, leiten die Kommunikationswissenschaftler Oliver Boyd-Barett und Terhi Rantanen ihren Überblick zur Globalisierung der Nachrichten im Jahr 1998 ein. Seitdem hat sich die Agenturlandschaft weiter konsolidiert und das Internet hat die Informationsströme um die Welt weiter beschleunigt. Nachrichtenagenturen sind daher heute nicht weniger als vor 20 oder 160 Jahren Spiegel und Treiber der Globalisierung der Welt.
Trotz ihrer immensen Bedeutung für die tägliche Information der Welt über die Welt verschwinden die Agenturen in unserem täglichen Leben hinter ihren Kürzeln an den Rändern der Berichterstattung in Presse und Rundfunk. Deswegen möchten wir einen kleinen Überblick über die Arbeit, Entwicklung und das Geschäft von Nachrichtenagenturen geben, um zu zeigen, wie sie die Informationsströme um die Welt und damit globales Leben beeinflussen.
Die Großwarenhändler für Nachrichten
Tageszeitungen und Nachrichtensendungen in Radio und TV verhalten sich zu Nachrichtenagenturen wie Einzelhändler zu Großhändlern. Die Ware sind die Nachrichten. Medien vor Ort sind auf die Agenturen angewiesen, die ihnen Nachrichten aus den Ecken des eigenen Landes und der Welt liefern, an denen sie keine Korrespondenten (mehr) haben. Die Redaktionen schätzen darüber hinaus die Verlässlichkeit der Informationen und die Vorauswahl der Nachrichten durch die Agenturen, wie Yasmin Schulten-Jaspers im Rahmen ihrer Studie zur Zukunft der Nachrichtenagenturen in Deutschland zeigt. Besonders für kleine Medienunternehmen ist dieser Service essentiell, aber auch große Medienhäuser mit eigenen Korrespondenten greifen auf das Agenturmaterial zurück. Der Journalist Michail Hengstenberg erklärt zum Beispiel, wie bei Spiegel Online mit Agenturmaterial umgegangen wird:
„Meldungen über kleine Ereignisse oder Ereignisse in fernen Ländern werden oft nur geringfügig verändert.“ (Michail Hengstenberg, Spiegel Online)
Bei größeren, komplexeren oder brisanteren Ereignissen, so erklärt er weiter, gleicht die Redaktion das Material verschiedener Agenturen ab und reichert es mit eigenen Recherchen an. Diese Vermittlungsfunktion, Auswahl und Einordnung ist gleichzeitig der zentrale Unterschied zwischen einer Agenturmeldung und einem Bericht in Presse oder Rundfunk.
2015 untersuchten fünf Journalismusforscher die Tendenzen der Globalisierung im Nachrichtenmarkt, indem sie die Berichterstattung zu Wahlen in Griechenland, den USA und China im Jahr 2012 verglichen. Dafür analysierten sie Meldungen deutscher, britischer, US-amerikanischer, chinesischer und japanischer Rundfunksender, Presse und Online-Medien. Die Parlamentswahl in Griechenland 2012 wurde zum Beispiel in den Fernsehnachrichten in Deutschland mit Erklärungen über die Auswirkungen für die deutschen Steuerzahler begleitet, während japanische Nachrichten ihren Zuschauern erklärten, welche Auswirkungen ein Sieg der Partei Syriza auf den Wechselkurs von Euro und Yen und damit auf die japanische Wirtschaft haben könnte. Mit solchen Einordnungen, so erklären die Autoren, werden die global verbreiteten Agenturmeldungen „domestiziert“. Die Forscher kommen aber auch zu dem Schluss, dass sich bei aller „Domestizierung“ dieser Ereignisse dennoch viele Parallelen in der Berichterstattung ergeben. Die kleine Anzahl internationaler Nachrichtenagenturen sehen sie als einen Grund dafür. Wie ihr Vergleich zeigt, spielte in der chinesischen Berichterstattung zur US-Präsidentschaftswahl 2012 Agenturmaterial, etwa von Reuters und Associated Press (AP), eine große Rolle. Auch die staatliche Nachrichtenagentur Chinas, Xinhua, bezog sich auf deren Meldungen. In Deutschland wiederum bestritt Focus Online laut der Studie seine Berichterstattung zur Wahl von Xi Jinping zum Präsidenten der Volksrepublik China 2012 mit Ausnahme von drei Artikeln durch Agenturmeldungen (z. B. von der dpa).
Die weltweite Verbreitung des Internet hat es Agenturen aber auch ermöglicht, selbst Nachrichteneinzelhändler zu werden. So veröffentlicht Reuters online seine neuesten Nachrichten aus aller Welt. 2015 startete Reuters TV als Online-Nachrichtensender. AFP, die Agence France Presse, bietet auf Youtube kurze Videoclips neuester Ereignisse an – auch auf Deutsch. Vor 160 Jahren reisten die Nachrichten aber noch ganz anders um die Welt.
Reuters: Von der Brieftaube zum Weltkonzern
Gegründet wurde die Nachrichtenagentur Reuters 1851 in London von Paul Julius Reuter, einem Deutschen, der nach Großbritannien ausgewandert war. Vorläufer der Agentur Reuters war sein Brieftauben-Service, über den er Informationen über Wertpapierpreise zwischen Aachen und Brüssel vermittelte, um die Lücke im Telegrafennetz zwischen beiden Städten zu überbrücken. Noch heute sind Finanznachrichten ein zentraler Kern von Reuters‘ Geschäft; nicht aber die Brieftauben.
„Die Telegrafie wurde zu einem zentralen Motor der Globalisierung des späten 19. Jahrhunderts und veränderte die Rolle von Zeit und Raum in der globalen Kommunikation grundlegend.“ (Roland Wenzlhuemer, Uni Heidelberg)
Nach den Brieftauben waren es die Telegrafen-Kabel, die den weltweiten Informationsfluss antrieben. Ab 1951 verband ein Kabel durch den Ärmelkanal London und Paris. Die transatlantische Verbindung startete verlässlich aber erst 15 Jahre später. Noch zuvor gelang es Reuters, als erste Agentur die Nachricht von Abraham Lincolns Ermordung in Europa zu verbreiten. Die Meldung reiste per Post-Schiff und erreichte Reuters elf Tage nach dem Attentat, wie Donald Read in seiner Unternehmensgeschichte von Reuters berichtet.
Honoré de Balzac über das Agenturwesen in seiner satirischen Typenlehre der Pariser Presse aus dem Jahr 1843: „Inzwischen haben die Pariser Zeitungen alle denselben Übersetzer und weder Agenten noch Korrespondenten; sie schicken in die Rue Jean-Jaques-Rousseau zu Monsieur Havas, der ihnen allen dieselben Auslandsmeldungen gibt, die Erstveröffentlichung aber den Stammkunden vorbehält, die am besten zahlen.“ (Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken. Die schrägen Typen der Journaille: Manesse Verlag: 2016, S. 39)
Die Ausdehnung des Telegrafennetzes ermöglichte auch die Ausdehnung von Reuters‘ Geschäft nach Fernost und Südamerika. Schon damals schlossen sich Agenturen zusammen, um mehrere Gebiete bedienen zu können. Reuters aus England, das Wolff‘sche Telegrafenbüro aus Deutschland und die Agentur Havas aus Frankreich bildeten in den 1870ern ein Kartell und dominierten gemeinsam für Jahrzehnte das weltweite Nachrichtengeschäft. Die technische Entwicklung bestimmte auch später die Entwicklung der Agentur. In den 1960ern war Reuters eine der ersten Agenturen, die Computer zur transatlantischen Übermittlung von Finanzdaten nutzte. Ebenso bestimmten Kooperation und Konsolidierung das Agentur-Business weiter. 2008 fusionierte Reuters mit dem kanadischen Informationsdienstleister Thomson. 2.500 Journalisten und 600 Fotografen in 200 Ländern sind laut der Unternehmensseite aktuell für die Agentur Reuters tätig. Sie erzeugen über zweieinhalb Millionen Berichte pro Jahr. Der Geschäftszweig Media, zu dem die Reuters Nachrichtenagentur gehört, machte nach der Fusion aber nur den kleinsten Teil des Gesamtumsatzes von Thomson Reuters aus. Im Januar 2018 wurde bekannt, dass der US-amerikanische Investor Blackstone mehrheitlich in die Finanzdatensparte „Financial & Risk“ von Thomson Reuters einsteigt. Der Deal im Wert von 17 Milliarden US-Dollar sei „die höchste Wette, die Blackstone seit der Finanzkrise eingeht“, berichtet das Handelsblatt. Die Bedeutung der Finanznachrichten für Reuters Geschäft – früher wie heute – zeigt auch die Bedeutung des Nachrichtengeschäfts für die Entwicklung der globalen Finanzwelt.
Deutsche Presse Agentur: Mit eigenen Augen und Ohren in Deutschland und der Welt
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand die Deutsche Presseagentur aus den drei Agenturen, die in den Besatzungszonen der West-Alliierten gegründet wurden. Reuters versorgte die dpa in den Anfangsjahren mit Auslandsnachrichten. Von Beginn an war die dpa kooperativ strukturiert. Deutsche Medien halten Anteile an der dpa GmbH, sind gleichzeitig aber auch ihre Kunden. Aktuell hat die dpa 182 Gesellschafter, darunter Pressehäuser sowie private und öffentlich-rechtliche Sender.
Das Credo der dpa lautet dabei: „Wir wollen nur über Ereignisse berichten, die wir mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört haben“, auch wenn das nicht immer möglich ist. Mit dem Basisdienst liefert die dpa ihren Abonnenten Informationen zum Tagesgeschehen in Deutschland und der Welt, in täglich rund 650 Meldungen. Im Ausland greift die dpa auf ein eigenes Netzwerk an Korrespondenten zurück, das an Standorten in etwa 100 Ländern präsent ist und damit alle Länder der Welt abdecken kann. Die zwölf dpa-Landesdienste bieten darüber hinaus Nachrichten aus den Regionen Deutschlands. In NRW hat die dpa Büros in Aachen, Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf, Köln und Münster.
Der englische und der arabische Dienst der dpa berichten in diesen Sprachen nicht nur über Deutschland, sondern nach eigenen Angaben auch über „breaking news“ in Europa, Asien, im Nahen Osten und in der arabischen Welt.
„Die Redaktion in Kairo sowie zahlreiche Korrespondenten in den arabischen Hauptstädten und in den Palästinensergebieten sorgen für einen ununterbrochenen Fluss aktueller Nachrichten. Neben den vielen eigenen Quellen stützt sich die Redaktion auf den deutschen und englischen Weltnachrichtendienst der dpa und kann somit alle bedeutenden internationalen Themen auf Arabisch darstellen.“ (dpa, über ihren internationalen Service)
Somit ist die dpa ebenso auf dem globalen Nachrichtenmarkt präsent und nützt ihr Korrespondentennetzwerk, um nicht nur Deutschland zu informieren, sondern auch Kunden im Rest der Welt.
Das globale Ungleichgewicht der Nachrichten
Mit Associated Press aus den USA, AFP aus Frankreich und Reuters aus Großbritannien dominieren Nachrichtenagenturen aus den großen westlichen Industriestaaten den Nachrichtenmarkt. Auch wenn die Agenturen überall auf der Welt präsent sind, hat das Auswirkungen auf die Regionen der Welt, aus denen schwerpunktmäßig berichtet wird sowie auf das, was berichtenswert erscheint. Wie ein Dokument aus 2010 erklärt, konzentriert sich etwa Reuters deutschsprachiger Service vor allem auf Europa, aus dem 55 Prozent der Nachrichten stammen. 25 Prozent kommen aus Nordamerika, 5 Prozent aus dem Nahen Osten und 15 aus Asien. Keine Erwähnung finden in dem Dokument Nachrichten vom afrikanischen Kontinent oder aus Lateinamerika; Gebiete aus denen Reuters aber durchaus auf englisch und spanisch berichtet. Weiterhin liegt der thematische Schwerpunkt des deutschen Reuters-Service auf Wirtschaft und Politik. Themen aus dem Bereich Soziales, Kultur oder Wissenschaft finden in der Beschreibung des deutschen Service keine Erwähnung. Zudem heißt es dort: „Exklusive Interviews mit hochrangigen Entscheidern aus Wirtschaft und Politik sind fester Bestandteil des deutschsprachigen Angebots von Reuters News.“ Diese kurze Präsentation des deutschsprachen Service auf der Reuters-Seite bietet natürlich keinen fundierten Einblick über das tatsächliche Angebot, aber die Kurzbeschreibung, die sich an die deutschsprachigen Kunden der Agentur richtet, zeigt, in welchen Bereichen Reuters sein Geschäft sieht.
Ein Gegengewicht zu dieser westlichen News-Agenda schafft der Inter Press Service (IPS), der 1964 von zwei Wissenschaftlern aus Argentinien gegründet wurde. Kunden hat IPS aktuell in 138 Ländern der Welt. Neben Zeitungen und Rundfunk gehören auch NGOs zu den Abonnenten von IPS. Das Motto des IPS lautet „giving a voice to the voiceless“, ihr Ziel ist es, ein Kommunikationskanal für die Stimmen und Angelegenheit der Ärmsten zu sein, ein Klima des Verständnisses, der Verantwortung und der Teilhabe rund um das Thema Entwicklung zu schaffen, sowie eine neue Informationsordnung zwischen dem Süden und dem Norden.
Der regionale Fokus des IPS liegt auf dem globalen Süden, der thematische Schwerpunkt auf Entwicklung, Umwelt, Menschenrechten und Zivilgesellschaft. So berichtet IPS zum Beispiel regelmäßig über die Aktivitäten der G77, einen Zusammenschluss von Ländern des globalen Südens. In einem Artikel aus dem Jahr 1998 fasst C. Anthony Giffard, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Washington (Seattle), das Angebot des IPS wie folgt zusammen:
„Compared to the AP and Reuters wires, IPS has proportionately more references to development, culture and social issues, and fewer to crime, disasters, military activity and political violence.“ (C. Anthony Giffard)
Rund um den Weltfrauentag in der ersten Märzwoche 2018 berichtete IPS zum Beispiel über Frauenrechtskampagnen in Südamerika, wie „Ni una menos“, aus Argentinien, die seit 2015 auf das Problem der Frauenmorde in Lateinamerika aufmerksam macht. Dabei weist der Artikel der IPS auf die Unterschiede der lateinamerikanischen Kampagnen zur #MeToo-Debatte hin, welche derzeit in Nordamerika und Europa geführt wird. Zitiert wird im Bericht zum Beispiel eine argentinische Aktivistin, die hervorhebt, dass es wichtig sei, nicht alle Frauen als Opfer derselben Form von Gewalt darzustellen, und kritisiert, dass im Rahmen der #MeToo-Debatte keine Analyse der unterschiedlichen Formen von Gewalt stattfindet, die Frauen aus unterschiedlichen Klassen, mit verschiedener ethnischer Herkunft oder Migrationsstatus betreffen.
Ebenso berichtete IPS über Goldschürferinnen in Simbabwe, die dabei sind, in einen männerdominierten Wirtschaftsbereich des Landes vorzudringen. Der Artikel betont die wirtschaftlichen Chancen für die Frauen, aber auch die gesetzlichen Bedingungen, die dazu führen, dass sie bisher kaum am Potenzial des Bergbaugeschäfts teilhaben konnten.
Seit 1991 bringt NPLA, der Nachrichtenpool Lateinamerika, Nachrichten alternativer Agenturen aus den süd- und mittelamerikanischen Regionen nach Deutschland. Die Meldungen des Pressediensts poonal werden vom NPLA-Redaktionsteam in Berlin ausgewählt und von einem Freiwilligennetzwerk ins Deutsche übersetzt. Berichtet wurde Anfang März 2018 zum Beispiel über eine Demonstration der Müllsammler(innen) in Bogota, die an den Mord an elf Obdachlosen am 1. März 1992 erinnerte, aber auch auf die aktuelle Bedrohung der Müllsammler(innen) durch ein neues Recyclingkonzept der Stadt aufmerksam machte.
Radio Onda, Nachrichtenpool Lateinamerika: Explodierende Kosten und wackelnde Kredite. Steht das Wasserkraftwerk Alto Maipo vor dem Aus? Beitrag vom 28. Januar 2018 (CC BY-SA 4.0).
Radio Onda, das ebenfalls zu NPLA gehört, bietet Audiobeiträge zu lateinamerikanischen Themen unter CC-Lizenz, zum Beispiel über das umstrittene Wasserkraftwerk Alto Maipo in Santiago de Chile, an dem auch deutsche Investoren und Zulieferer beteiligt sind.
Dadurch, dass die Deutsche Presseagentur zumeist auf Grundlage der Berichte ihrer eigenen Korrespondenten und Korrespondentinnen aus dem Ausland berichtet, schafft auch die dpa ein Gegengewicht zum Informationsstrom der globalen Agenturen.
Ebenso tragen die Auslandskorrespondenten der öffentlich-rechtlichen Sender und das Netzwerk der Weltreporter zu einem vielfältigen Blick aus dem Ausland bei.
Neben der dpa gibt es in Deutschland noch weitere Agenturen, wie die Katholische Nachrichtenagentur KNA, die neben Berichterstattung zu Kirche und den Weltreligionen auch Themendienste zu „Soziales, Familie und Gesundheit“ oder zu „Globalisierung, Migration und Menschenrechte“ anbietet. International vertreten ist die KNA mit Redaktionen in Rom, Brüssel, Washington, Luxemburg, Jerusalem und Bogota. Der Evangelische Pressedienst (epd) bietet ebenfalls täglich Nachrichten aus den Bereichen Religion und Soziales, hat sich darüber hinaus aber auch auf die Berichterstattung zu Medien (epd Medien) und Film (epd Film) spezialisiert. Diese Dienste leisten einen wichtigen Beitrag zur Vielfalt der Informationen und Themen in der deutschen Medienlandschaft.
Aktuelle Herausforderungen für Agenturen
Im Januar 2018 stand die Nachrichtenwelt in der Schweiz still, denn die Mitarbeiter(innen) der Schweizerischen Depeschenagentur SDA streikten. Der Grund war der angekündigte Stellenabbau, um die Nachrichtenagentur aus ihren finanziellen Schwierigkeiten zu retten. Ihr Geschäft macht die SDA mit Nachrichten aus der Schweiz, als die Chronistin des Landes wird sie in der ZEIT bezeichnet. Dieses Geschäft wird für die Agentur aber immer mühsamer, je schwieriger die Situation für die Pressehäuser des Landes wird. „Gab es im Jahr 1990 noch 273 Zeitungen in der Schweiz, waren es 2014 nur noch 181“, berichtet die taz zum Thema.
In Deutschland schloss 2013 bereits eine Agentur, die dapd, die 2010 aus der Fusion der ddp und des deutschen Dienstes der AP hervorgegangen war.
Einsparungen in den Redaktionen von Zeitungen bedeuten zwar, dass Meldungen von Nachrichtenagenturen immer wichtiger werden – so stockten die großen Nachrichtenagenturen nach der Finanzkrise Personal auf –, aber mit jeder Zeitung, die vom Markt verschwindet, verschwindet auch ein Kunde der Nachrichtenagenturen. Das trifft Agenturen wie die SDA, die mit ihren Nachrichten aus der Schweiz die Presse in der Schweiz beliefert und keine Kunden auf der ganzen Welt hat, im Gegensatz zu Agenturen wie Thomson Reuters oder der dpa.
Ein neuer Konkurrent für lokale wie globale Agenturen sind die Internetkonzerne, die ebenso im Nachrichtengeschäft mitmischen. Eine repräsentative Studie der Goldmedia GmbH zum Nachrichtenkonsum in Deutschland aus dem Jahr 2017 zeigt: Fast ein Drittel derjenigen Deutschen, die Nachrichten- und Informationsangebote im Internet nutzen, erreichen regelmäßig News per Suchmaschine, etwa über Google News. Social Media sind für über ein Viertel derjenigen, die sich online informieren, eine regelmäßige Quelle. Die Meldungen stammen dabei meist von Medienanbietern wie Tageszeitungen, die ihre News zum Beispiel auf Facebook teilen oder deren Angebote automatisch bei Google News erscheinen. Diese Kurzmeldungen sind für die Nutzer(innen) gratis und sie klicken nicht unbedingt auf die dahinterliegenden Seiten, auf denen die volle Meldung entweder gemeinsam mit Werbung oder gegen Entgelt präsentiert wird. Wissenschaftler der Columbia University in New York zeigten 2016, dass knapp 60 Prozent der Links zu Artikeln, die auf Twitter geteilt werden, vor dem Teilen gar nicht geklickt wurden.
„Facebook has said on numerous occasions its goal is to be the world’s biggest media provider. And yet neither Facebook nor Google has a newsroom. They have no reporting or production networks, national or international. They have no teams of reporters in Syria risking their lives to show the true face of war. No permanent bureau in Zimbabwe to tell the story of Mugabe’s departure. No journalists in Cameroon. Nor Myanmar. No video reporters. No photographers. No editing teams to plan, edit, check and double-check the accuracy and impartiality of the stories sent in by reporters on the ground.“ (Gemeinsame Erklärung der europäischen Nachrichtenagenturen, gezeichnet von den Geschäftsführern der AFP, dpa, PA, EFE, ANSA, TT, ASA, ANP und Belga)
Im Dezember 2017 setzten sich neun europäische Nachrichtenagenturen in einer gemeinsamen Erklärung dafür ein, dass die großen Internetkonzerne den Nachrichtenmedien und den Agenturen in Zukunft Geld für die Inhalte zahlen, die sie in ihren Suchergebnissen oder Streams darstellen. Hintergrund ist die aktuelle EU-Debatte um das europäische Leistungsschutzrecht. Das Statement der Agenturen macht dabei auch auf die Leistung ihrer Auslandskorrespondenten aufmerksam, die in Kriegsgebieten ihr Leben riskieren. Ebenso wird die Leistung der Redaktionen hervorgehoben, die Fakten prüfen und die Objektivität der Nachrichten wahren.
Via Social Media verbreiten sich Nachrichten von Katastrophen oder sportlichen Ereignissen – und seit Donald Trumps Präsidentschaft auch bedeutende Entwicklungen der US-Amerikanischen Außen- und Innenpolitik direkt per Twitter. Wissenschaftler in Schottland zogen 2013 einen Vergleich zwischen Meldungen aus dem Jahr 2011, die von Nachrichtenagenturen beziehungsweise über Twitter verbreitet wurden. Ihre Untersuchung zeigt: Beide Quellen greifen meist dieselben Ereignisse auf, oft auch beinahe gleichzeitig. Bei manchen Ereignissen zeigen sich aber bedeutende zeitliche Unterschiede: Von der Explosion einer Autobombe im Zentrum Oslos am 22. Juli 2011 war auf Twitter 19 Minuten vor den Agenturmeldungen die Rede; vom darauffolgenden Attentat auf die Jugendgruppe auf der Insel Utøya berichteten die Agenturen eine Minute schneller als Twitter.
Die britische Nachrichtenagentur Press Association (PA) testet mit Unterstützung der Google Digital News Initiative derzeit „Roboterjournalisten“, die automatisiert lokalisierte Versionen von Nachrichten erstellen.
Dass im lokalen Bereich Twitter schneller ist als die Agenturen, zeigt sich in der Analyse der schottischen Forscher zum Beispiel an den Ausschreitungen im Londoner Stadtteil Tottenham, von denen Agenturen erst 48 Minuten nach entsprechenden Meldungen auf Twitter berichteten. Ebenso war auf Twitter von vielen Einzelereignissen innerhalb der Ausschreitungen zu lesen, die in den Agenturmeldungen keinen Platz fanden.
Wie eine 2018 veröffentlichte Studie von Forschern am MIT allerdings deutlich macht, haben es Lügen und Falschmeldungen auf Twitter leicht: Sie werden mit einer 70 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit weiter verbreitet als wahre Nachrichten. Die Verzögerung, mit der Nachrichtenagenturen von Anschlägen oder ähnlichem berichten, ist dem Prozess der Verifizierung geschuldet, denn noch mehr als von Schnelligkeit hängen Agenturen von der Verlässlichkeit ihrer Informationen ab. Mit ihrer Priorität der Wahrhaftigkeit sind sie somit für professionelle Journalisten und Journalistinnen unverzichtbare Quellen.
„Leitplanken der Gründlichkeit“
Die großen, global agierenden Nachrichtenagenturen haben einen bedeutenden Einfluss auf unseren Blick auf die Welt. Diesen Einfluss hatten sie bereits im neunzehnten Jahrhundert. Gleichzeitig bemühen sich Korrespondent(inn)en aus Deutschland, ihren eigenen Blick auf das Geschehen im Ausland zu werfen, und tragen damit zur Vielfaltssicherung bei. Alternative Nachrichtenagenturen versuchen zudem, den westlichen Blick zu erweitern. Dank des Internet können Menschen aus aller Welt diese Informationen auch erhalten, wenn sie keinen Platz in Presse, Fernsehen oder Radio finden. Gleichzeitig ist das Internet aber kein Ersatz für die Arbeit der Agenturen, die wichtige Funktionen als Chronisten vor Ort erfüllen, Fakten überprüfen und auf Objektivität ihrer Berichte bedacht sind; eine Arbeit, die kein Algorithmus übernehmen kann. Auch wenn über Social Media heute aktuelle Geschehen quasi instantan die ganze Welt erreichen können, „Nachrichtenagenturen werden […] immer die Leitplanke der Gründlichkeit bleiben“, zitiert Yasmin Schulten-Jaspers den Leiter einer TV-Nachrichtensendung in ihrer Untersuchung zur Zukunft der Nachrichtenagenturen. Genauso können weder die alternativen noch die global vernetzten Nachrichtenagenturen Redaktionen von Presse und Rundfunk ersetzen, denn ohne ihre Auswahl und Einordnung wären für Leser, Hörer und Zuschauer die globalen Nachrichtenströme von Millionen Meldungen pro Jahr wohl kaum zu bewältigen.
Dieser Beitrag ist Teil unseres Jahresthemas ’18 „Globales Leben“. |