Nach den unerwarteten Ausgängen des Brexit-Votums und der Präsidentenwahl in den USA sehen sich Journalist(inn)en in Europa der Herausforderung des Populismus, der gezielten Desinformation sowie einem schwindenden Vertrauen unter ihren Lesern und Zuschauern gegenüber, wenn sie 2017 über die Parlaments- bzw. Präsidentschaftswahlen in den Niederlanden (15. März), Frankreich (23. April / 7. Mai + 11. / 18. Juni) und Deutschland (24. September) berichten. Diese Herausforderungen sowie Strategien, mit digitalen Mitteln Vertrauen, Leser und Einfluss in der Wahlberichterstattung zurückzugewinnen, waren Schwerpunkte des News Impact Summit am 6. Februar 2017 in Paris.
Der News Impact Summit ist eine Veranstaltungsreihe, die vom European Journalism Center und Google News Lab seit 2014 regelmäßig in europäischen Metropolen veranstaltet wird.
Zum Auftakt der Veranstaltung skizzierten die Gastgeber des News Imact Summit die Lage des politischen Journalismus im Wahljahr 2017. Adam Thomas, Direktor des European Journalism Center, betonte vor allem die Problematik des Vertrauensverlustes in die Medien, deren Dringlichkeit aktuell Aspekte der Digitalisierung des Journalismus in Frage stellt. Als wichtigste Strategien, um ein solches Vertrauen herzustellen, nannte er einerseits eine stärkere Involvierung der Leser- bzw. Zuschauerschaft und andererseits die Kooperation. Im Vorfeld der Veranstaltung wurde bereits eine neue Form der journalistischen Zusammenarbeit in Frankreich angekündigt: CrossCheck, eine Initiative zur Faktenüberprüfung, an der sich aktuell Journalist(inn)en aus 17 französischen Redaktionen, z. B. von AFP, Libération und Le Monde beteiligen und die weiter ausgebaut werden soll. Offiziell soll CrossCheck am 27. Februar 2017 die Arbeit aufnehmen.
Alice Antheaume, Leiterin der gastgebenden Journalism School der Sciences Po in Paris nannte den Grund für das schwindende Vertrauen in die Medien beim Namen: Politische Propaganda, die mittlerweile nicht mehr nur in totalitären Regimen, sondern auch innerhalb von Demokratien zu finden ist. David Dieudonné, Leiter des News Lab France, stellte schließlich die wichtigsten Säulen des Google News Lab vor: Verifikation, Datenjournalismus, immersives Erzählen und Vielfalt. Diese Strategien, um gegen Vertrauensverlust und Propaganda vorzugehen, zogen sich auch durch die weiteren Panel-Debatten und die Vorstellung einzelner journalistischer Initiativen und Projekte, die rund um die vergangenen Wahlen in den USA und die kommenden Wahlen in Europa entstanden und entstehen.
Politikberichterstattung in den USA: Den Bezug zur Lebenswirklichkeit der Menschen wiederherstellen
Im ersten Panel gingen Vertreter großer US-amerikanischer Medien kritisch mit ihrer eigenen Arbeit ins Gericht und fragten, was bei der Berichterstattung über die Präsidentschaftswahl falsch lief. Mathew Ingram, Senior Writer bei Fortune, kritisierte, dass Journalisten über Wahlen wie Pferderennen, Boxen oder Fußball schreiben: Das Spiel und die Schachzüge der Beteiligten erschienen in solchen Berichten wichtiger als die Auswirkungen der angekündigten politischen Schritte auf das tägliche Leben der Wähler.
Dass es den Medien nicht gelingt, diese Auswirkungen hinreichend darzustellen, sieht auch Yoni Appelbaum, der Washingtoner Büroleiter des Atlantic. Seiner Meinung nach liegt dies auch an der mangelnden Diversität seines Berufszweiges: Journalisten seien in den USA aktuell eine eher homogene Gruppe von Akademikern, die annehmen würden, die Leser teilten ihre Perspektive. Das illustrierte er mit der Tätigkeit von Journalisten, die derzeit Fakten überprüfen: Nicht für jeden sei die Tatsache, dass jemand erfundene Geschichten oder Lügen verbreitet, eine selbstverständliche Disqualifizierung der Person als Politiker.
Außerdem wies Appelbaum darauf hin, dass breite Bevölkerungsteile der USA ihre politischen Informationen nicht aus der überregionalen Presse, sondern aus dem Lokalfernsehen beziehen. Amy Mitchell, Leiterin des Bereichs für Jornalismusforschung am US-amerikanischen Pew Research Center, erklärte, dass sich die Zuschauer fragen, wie ihr Tag oder ihr Arbeitsplatz durch das beeinflusst wird, was die Nachrichten berichten. Da Menschen so viele Nachrichten zu verarbeiten hätten, seien sie umso mehr auf eine solche Einordnung angewiesen. Lokale Zeitungen, so zeigte eine Studie des Pew Research Centers, haben aber selbst immer weniger oder gar keine Korrespondenten in Washington, was die Herstellung von lokaler Relevanz nationaler oder globaler Politik erschwert.
Zur kompletten interaktiven Datenanalyse von Electionland.
Ein solches Beispiel für lokale Berichterstattung mit politischer Relevanz stellte im Anschluss Celeste LeCompte vor. Sie ist Leiterin des Business Development der Non-Profit-Organisation ProPublica, die in den USA investigativen Journalismus im öffentlichen Interesse leistet. Für das Projekt Electionland arbeiteten 300 Lokalreporter und Bürger vor Ort zusammen, um über Probleme im Ablauf des Wahltags am 8. November 2016 zu berichten. Das Projekt dokumentierte auf der Basis von über 4.300 Bürger-Berichten und 1.200 Hinweisen auf Social Media sowie der Auswertung von Google-Suchanfragen, dass vor allem lange Wartezeiten und kurzfristig veränderte Wahlgesetzgebung für Unsicherheiten bei den Wählerinnen und Wählern sorgten (vgl. Provisional Ballot).
Beweise für einen groß angelegten Wahlbetrug, von dem Donald Trump im Vorfeld der Wahl sprach, fanden die journalistischen Beobachter der Wahl allerdings nicht: Im Gegenteil, sie konnten zeigen, dass über Social Media verbreitete Berichte von Wahlautomaten, die Stimmen falsch registrieren, unrichtig waren. Als nächstes Projekt startet ProPublica Documenting Hate. Das partizipative Projekt soll das Ausmaß von Hate Crime in den USA sichtbar machen und den Betroffenen eine Stimme geben.
Jugendliche für Politik gewinnen: Journalismus aus dem Banlieu mit Witz und Sinn
Auf Partizipation und die Stimmen von vor Ort setzt auch Street Press, ein Online-Magazin aus Paris, das im vergangenen Jahr mit Berichten über und von jungen Menschen aus Paris und seinen Banlieus gestartet ist. Innerhalb des ersten Monats konnte das Projekt bereits eine Million Besucher auf der Seite zählen – für Cecilia Gabizon, Gründerin und Chefredakteurin der Street Press, ein Zeichen für den Bedarf an Nachrichten, die eine vielfältigere Perspektive auf den Lebensbereich der jungen Leute in den Banlieus bieten, als es die Berichte der etablierten Medien tun. Als Reaktion auf Berichte, in denen Journalisten einer privilegierteren Schicht über kaum mehr als die Gewalt in den Banlieus schreiben, erzählen die Reporter(innen) aus Paris und den Banlieus selbst auf Street Vox, was bei ihnen passiert.
Dass politischer Journalismus auch zum Lachen sein darf, zeigt das Interview von Street Vox mit dem Präsidentschaftskandidaten der Partie Socialiste, Benoît Hamon, den seine Gesprächspartner zum Kebab trafen. Den jungen Menschen eine Stimme zu geben, ist ein Hauptziel der Initiative. Neben den Berichten auf Street Press und Street Vox soll dieses Ziel auch durch die kostenlose viermonatige Ausbildung von jungen Menschen zu Journalisten in ihrem lokalen Umfeld erreicht werden. Erfahrene Journalist(inn)en sind dabei ihre Mentoren, aber die Perspektiven der jungen Leute sollen dabei nicht eingeebnet, sondern professionell geschärft werden, erklärte Gabizon.
Am Puls der Google Trends
Einen Weg, wie die Fragen von Wählerinnen und Wählern ihren Weg in den Journalismus und die politischen Fernsehdebatten finden können, stellte David Dieudonné vom Google News Lab vor. Mit Google Trends lässt sich nicht nur global nachverfolgen, was Menschen im Netz interessiert, sondern das Tool kann auch örtlich und zeitlich begrenzt die Suchanfragen und damit die Interessen von Internetnutzer(inne)n widerspiegeln. Wie genau, das zeigte Google Trends zum Beispiel bei den Fernsehdebatten zur US-Wahl. Hier konnte Minute für Minute nachvollzogen werden, welcher Kandidat und welche Themen das Rechercheinteresse der Zuschauer weckten.
Mehr zur Recherche mit Google Trends gibt’s in der digitalen Werkstatt.
Auf die kritische Nachfrage aus dem Publikum, ob denn alles, was im Internet gefragt wird, auch für Journalisten relevant sei, antwortet Dieudonné, dass die Google Trends kein „Befehl“ zum Berichten seien, aber dennoch ein Mittel, um herauszufinden, was Menschen interessiert. Außerdem schränkte er ein, dass Google Trends sich zwar gut für momentane Beobachtungen, aber nicht für das Erkennen von längeren Entwicklungen während des Wahlkampfes eigne. Es seien Daten, die Google selbst gemeinsam mit den Journalisten entdecken wolle.
Extremismus im Netz und wie man den Dialog mit Kritikern schafft
Das zweite große Panel des Tages widmete sich dem wachsenden Misstrauen in die Medien und dem Populismus in sozialen Netzwerken aus der Sicht Frankreichs. Eine Journalistin von AFP, und Kollegen von Libération, Le Monde und La Voix du Nord berichteten dafür von ihren eigenen Beobachtungen des Populismus in der medialen Sphäre und von ihren Strategien, wie sie Menschen begegnen, die ihren Informationen misstrauen. Dominique Albertini (Libération), Experte zum Thema „Front National“ und Autor des Buchs „La Fachosphère“, präzisierte zu Anfang, dass es Extremismus schon seit Jahrhunderten gebe und er nicht ein Programm, sondern einen Kommunikationsstil bezeichne. Sein Begriff der „Fachosphère“ beschreibe jedoch das Verhalten der extremen Rechten im Netz genauer. Besonders erstaunt sei er von der Vielfalt der medialen Möglichkeiten, die die extreme Rechte in Frankreich für die Verbreitung ihrer Botschaften nutze. Selbst Pornographie hätten sie bereits als Medium für Politik entdeckt.
Mehr Strategien zum Umgang mit extremen Meinungen im Netz gibt’s in unserem Artikel Hass und Hetze entgegentreten.
Amandine Ambregni, stellvertretende Leiterin des Social Media Resorts bei der Agence France Press (AFP), berichtete von ihren Erfahrungen mit dem Dialog zwischen den Nachrichtenmachern und ihren skeptischen Lesern. Nicht immer sei ein Dialog möglich, da das Gesprächsklima oft sehr aggressiv werde. Jedoch habe sie gute Erfahrungen damit gemacht, immer höflich zu bleiben und kritische Nachfragen dankend anzunehmen. In einer Antwort mit einem Link zu einem bestimmten Artikel, erklärte sie, können kritische Fragen oder Vorwürfe beantwortet und das Gespräch damit aber auch beendet werden. Das gebe den Nutzer(inne)n ein Gefühl der Partizipation.
Mit 360°-Videos aus der Filterblase
Euronews ist ein transnationaler Nachrichtensender, der in dreizehn Sprachen weit über Europa hinaus aktiv ist und seinen Sitz in Lyon hat. Thomas Seymat ist dort Digital Journalist und stellte dem Publikum des News Impact Summit vor, wie Euronews 360°-Videos für die Berichterstattung von den Wahlen in Frankreich einsetzen möchte. Wie auch die Experten des ersten Panels erkennt er die Problematik des „out-of-touch journalism“ an. Anstatt einer Lokalberichterstattung, für die ein Journalist von außen eingeflogen wird, setze Euronews deswegen für die französischen Wahlen 2017 auf Partnerschaften mit Medien vor Ort. Ziel sei es, lokale Stimmen auf eine globale Bühne zu bringen. Für das Projekt wird eine Serie von neun 360°-Videos entstehen, die Wähler(innen) vor Ort begleiten und portraitieren. Dabei lautet das Motto „show, not tell“, das heißt die Zuschauer sollen sich selbst ein Bild von den Ängsten, Hoffnungen und Sorgen der Menschen machen können und nachvollziehen, wie und wo die politische Meinungsbildung der Menschen geschieht. Die Videos werden in fünf Sprachen verfügbar sein. Die Pilotfolge der Video-Serie von Euronews kann bereits bei Youtube erkundet werden.
Das Projekt in Frankreich könne auch die Grundlage für ein ähnliches Projekt zur Bundestagswahl in Deutschland werden, sagte Seymat. Euronews hat bereits mehrere Dutzend 360°-Videos veröffentlicht, unter anderem aus einem Flüchtlingscamp, vom Oktoberfest oder von verschiedenen Kulturfestivals auf der ganzen Welt.
Gemeinsam gegen Fake News
Jenni Sargent, Managing Director bei First Draft, einer Initiative, die Journalisten auf ihrem Weg durch den Online-Informationsdschungel unterstützt, sprach gegen Ende der Veranstaltung über Möglichkeiten der Faktenüberprüfung im Internet. Sie betonte dabei, wie wichtig die emotionale Komponente für Fake News sei: Wenn wir wütend seien, erklärte sie, würde es uns auch egal, dass es Hinweise auf die satirische oder inoffizielle Natur eines Beitrags oder Accounts gebe.
First Draft hat eine Literaturliste zum Thema [M/D]isinformation zusammengestellt.
Weiter differenzierte sie zwischen „misinformation“ und „disinformation“. Im ersten Fall handele es sich um Informationen, die zwar falsch sind, aber von demjenigen, der sie weiterverbreitet, geglaubt werden. Im zweiten Fall jedoch sei sich der Verbreiter der Information bewusst, dass diese falsch ist, und lüge damit bewusst. Dazwischen, präzisierte sie, lägen aber noch viele weitere Formen wie Satire, falsche Kontextualisierung oder manipulative Darstellung. Ihre Beispiele zeigten, dass es sich bei Fake News nicht immer nur um Artikel handelt, sondern auch um Bilder, Memes und Videos. Diese medialen Formen sieht Jenni Sargent als neue Trends, die schwieriger zu überprüfen seien als die URLs oder Impressumsangaben von Fake-News-Seiten.
Zum Abschluss skizzierte sie die Pläne und Vorgehensweise von CrossCheck genauer. Die Partner-Newsrooms werden gemeinsam verdächtige Nachrichten, Bilder, Videos usw. überprüfen, die die Redakteure selbst entdecken oder die ihnen über ein Formular von Nutzer(inne)n gemeldet werden. Die Ergebnisse der Recherche werden dann aber nicht einfach nur „wahr“ oder „falsch“ lauten, sondern aufzeigen, an welchen Stellen manipuliert oder falsch informiert wurde und wer recherchiert hat. Die fertige Recherche soll dann in bestehende Berichte eingebettet werden können. CrossChecks Start in Frankreich sei auch ein Versuch, ein System der Faktenüberprüfung zu entwickeln, das genauso andernorts und über Grenzen hinweg funktioniert, erklärte sie.
Die komplette Veranstaltung wurde live ins Internet gestreamt. Die Aufzeichnung ist online verfügbar. Eine kuratierte Online-Debatte zum #NIScPO kann online nachgelesen werden.