1. Bitte stellen Sie sich und das MDR Data-Team vor.
Ich bin seit eineinhalb Jahren Projektkoordinatorin des MDR Datenteams. In dieser Funktion steuere ich die redaktionellen Aufgaben des Datenteams, bin Ansprechpartnerin für Datenjournalismus innerhalb des MDR und koordiniere neben unseren Recherchen auch größere Projekte, die MDR Data gemeinsam mit anderen Redaktionen oder Dienstleistern umsetzt. Vor dieser Position arbeitete ich selbst als freie Mitarbeiterin im Daten-Team des MDR, nachdem ich meinen Master of Science in Journalismus mit dem Schwerpunkt Datenjournalismus an der Universität Leipzig absolvierte.
MDR Data ist ein fünfköpfiges Team, das vom Landesfunkhaus in Sachsen-Anhalt aus ressortübergreifende, tiefgehende, datenbasierte Recherchen in Bereichen wie Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Unterhaltung und Sport für den gesamten MDR durchführt. Wir arbeiten mit einem Netzwerk von Kolleg:innen aus anderen MDR-Standorten zusammen und sind Teil des ARD-Netzwerks für Datenteams.
Dabei decken wir Muster in komplexen Datensätzen auf, belegen Thesen und nutzen wissenschaftliche, z.B. statistische Methoden, um unsere Erkenntnisse zu gewinnen. Unser Ansatz ist stets darauf ausgerichtet, dem Publikum nicht nur statische Zahlen zu präsentieren, sondern durch interaktive Tools die Möglichkeit zu geben, selbstständig Zusammenhänge zu erkennen und zu analysieren. Im Mittelpunkt stehen dabei immer lebensnahe Geschichten, die für die Menschen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen relevant sind und in ihrer Lebenswirklichkeit erreichen.
2. Welche Idee steckt hinter dem Datenprojekt Wahlarchiv? Welchen Beitrag möchten Sie mit dem Wahlarchiv zu einer kritischen Öffentlichkeit leisten?
Die Idee des MDR-Wahlarchivs entstand aus dem Wunsch heraus, die politischen Entwicklungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen seit der Wiedervereinigung 1990 umfassend aufzubereiten und zentral zugänglich zu machen. Wahlen sind das zentrale Instrument der Demokratie, und es ist für eine kritische Öffentlichkeit unerlässlich, vergangene Wahlergebnisse nachvollziehen und in einen größeren Kontext setzen zu können. Mit dem Wahlarchiv wollen wir nicht nur den Zugang zu Wahlergebnissen vereinfachen, sondern es den Nutzer:innen auch ermöglichen, politische Entwicklungen zu analysieren und Muster zu erkennen. Dieses Ziel wurde nach einer Ausschreibung in Zusammenarbeit mit unserem langjährigen Projektpartner 23degrees realisiert.
Im MDR-Wahlarchiv ist es nun erstmals möglich, mithilfe der interaktiv aufbereiteten Datensätze Hinweise auf Besonderheiten der verschiedenen Wahlen und Regionen zu geben. So können Nutzer:innen zum Beispiel Entwicklungen und Trends über Jahre hinweg beobachten. Um bessere Einordnung von Ergebnissen ermöglichen zu können, ist für uns vor allem der Hebel der räumlichen und zeitlichen Verteilung relevant. Ein Wahlarchiv kann dabei auf eine viel größere Anzahl an Datenpunkten zurückgreifen. So erlaubt es tiefgehende räumliche und vor allem zeitliche Analysen.
Indem wir die Wahlergebnisse in einem benutzerfreundlichen und übersichtlichen Format bereitstellen, möchten wir dazu beitragen, dass Bürger:innen, Journalist:innen und politische Analyst:innen eine fundierte und informierte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen und deren Auswirkungen führen können. Das Wahlarchiv bietet somit nicht nur historische Daten, sondern auch die Möglichkeit, aktuelle Entwicklungen im politischen Geschehen besser zu verstehen.
3. Für wen ist das Wahlarchiv gedacht und nutzbar?
Das MDR-Wahlarchiv ist öffentlich zugänglich und kann von der breiten Öffentlichkeit genutzt werden. Politisch interessierte Nutzer:innen finden dort detaillierte historische Wahlergebnisse für ihre Heimat. Im Besonderen vor und nach Wahlen kann die breite Öffentlichkeit hier Entwicklungen nachvollziehen.
In dieser Zeit ist das Wahlarchiv aber vor allem für die wissenschaftliche Community und Journalist:innen interessant. Hier kann es als wertvolle Datenquelle dienen, wenn schnell und einfach auf Wahlergebnisse zugegriffen werden muss, um diese in den Kontext aktueller Berichterstattung zu setzen.
4. Welche Daten finden die Nutzer/innen im Wahlarchiv?
Im Wahlarchiv finden sich alle Wahlergebnisse der Landtags-, Bundestags-, Europa- und Kommunalwahlen seit 1990 für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dabei bilden wir insgesamt sieben Wahltypen auf allen regionalen Ebenen ab, von der Landes- bis zur Gemeindeebene. Die zentralen Datenquellen für das Wahlarchiv sind die öffentlich zugänglichen Informationen der statistischen Landesämter in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, sowie die Bundeswahlleitung. Die Ergebnisse wurden vom Projektpartner 23degrees gesammelt und für verschiedene Diagramme, Vergleichs- und Analyseanwendungen weiterverarbeitet.
Neben den reinen Wahlergebnissen enthält das MDR-Wahlarchiv umfassende Visualisierungen und Kontextinformationen, die es den Nutzer:innen erleichtern, die Zahlen zu verstehen und die politischen Entwicklungen besser einzuordnen. So werden z.B. Veränderungen in den Stimmanteilen der Parteien über die Jahre hinweg grafisch aufbereitet, was es ermöglicht, Trends und Muster auf einen Blick zu erkennen. Zudem gibt es spezielle Funktionen wie das „Fakten und Analyse“-Element, das auf den Wahlergebnisseiten besonders interessante Aspekte der jeweiligen Wahl hervorhebt und so zum Beispiel helfen kann redaktionelle Schwerpunkte in der Berichterstattung zu setzen.
5. Was passiert mit den aktuellen und künftigen Wahlergebnissen aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen? Finden diese weiterhin Eingang ins Wahlarchiv?
Ja, das MDR-Wahlarchiv ist ein dynamisches, zukunftsorientiertes Projekt, das kontinuierlich aktualisiert wird. Die bisherigen Datensätze bleiben erhalten und sollen nach jeder Wahl um die neuen, amtlichen Ergebnisse ergänzt werden. So steht planmäßig bevor, die diesjährigen Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen zu ergänzen. Somit soll das Wahlarchiv stets auf dem neuesten Stand bleiben.
6. Gibt es thematisch verwandte Datenprojekte in Ihrem Haus?
Zu den Landtagswahlen gab es einige innovative Projekte innerhalb des MDR. Bei MDR Data haben wir zusätzlich die Plenarprotokolle der letzten Legislaturperioden für Sachsen und Thüringen anhand ihrer Sprache ausgewertet. In andern MDR-Redaktionen wurde beispielsweise mit dem MDR Kandidatencheck eine interaktive Plattform geschaffen, die es Wähler:innen ermöglicht, die Kandidat:innen und ihre Positionen besser kennenzulernen. Dazu beantworteten die Politiker:innen in selbst gedrehten Videos standardisierte Fragen. Im Podcast „Wahlprogramme kompakt“ wurden die Wahlprogramme der Parteien anhand von verschiedenen Kriterien verglichen und mithilfe von künstlicher Intelligenz vertont. Im MDR haben wir außerdem erneut auch mit automatisierten Wahlartikeln gearbeitet. Dabei werden in enger redaktioneller Abstimmung automatisiert Nachrichtenartikel etwa zu Wahlergebnissen in kleinen Gemeinden erstellt. So konnten wir Berichterstattung in allen Regionen ermöglichen, was nur durch Automatisierung in dieser Tiefe und Schnelligkeit möglich war.
Julia Bartsch (*1996) ist Projektkoordinatorin im Datenteam von MDR Sachsen-Anhalt. Zuvor arbeitete sie hier als freie Mitarbeiterin. Das datenjournalistische Team des MDR recherchiert ressortübergreifend und datenbasiert in den Bereichen Politik, Gesellschaft, Soziales, Sport und Wirtschaft. Ihren Master of Science in Journalismus mit dem Schwerpunkt Datenjournalismus absolvierte Julia Bartsch an der Universität Leipzig.