Welche Themen haben Sie in diesem Jahr bearbeitet, die Sie für besonders wichtig und / oder herausragend halten?
Die Europa- und Landtagswahlen! Wie Journalistinnen und Journalisten mit den Erfolgen von Populismus und Rechtsextremismus umgehen, finde ich oft nicht überzeugend – da habe ich noch viele Fragezeichen im Kopf. Ich habe zum Beispiel ein Interview in einem sächsischen Lokalsender kritisiert, das Rechtsextremen sehr in die Karten gespielt hat. Oder darüber nachgedacht, warum es nicht reicht, einen rechtslibertären Podcast wie „Hoss & Hopf“ als gefährlich abzustempeln. Wir müssen in jedem Einzelfall wieder reflektieren, erklären und begründen, warum wir Inhalte oder Aussagen für problematisch halten. Andererseits dürfen wir die Gefahr, die Demokratiefeinde für den Journalismus bedeuten, auch nicht unterschätzen – und uns vor allem keine Themen von ihnen diktieren lassen. (Annika)
Mir ist es wichtig, dass wir bei Übermedien zu aufgeheizten medialen Debatten nicht noch mehr Empörung beisteuern, sondern dass wir Einordnung liefern. Als zum Beispiel der WDR in diesem Jahr kurz vor der Europameisterschaft eine Doku über Rassismus im Fußball brachte, gab es viel Aufregung darüber – obwohl die meisten die Doku noch gar nicht gesehen hatten. Die Empörung lag vor allem an einem schlecht gemachten Instagram-Post und den Ergebnissen einer Umfrage für den Film, die manchen Leuten wohl ein bisschen die EM-Stimmung vermieste. Mein Anspruch ist es, mir solche Debatten genau anzuschauen und dann den ausgeruhten Text zu schreiben, den Leserinnen und Leser woanders nicht finden. (Lisa)
Gibt es Bereiche, die bei Übermedien bearbeitet werden, die an anderer Stelle keine Aufmerksamkeit bekommen?
Es gibt sehr viele, vermeintlich nebensächliche oder kuriose Themen, die außer uns wahrscheinlich niemand aufgreifen würde, für die wir aber immer wieder positive Rückmeldungen bekommen. Ich denke da zum Beispiel an eine Recherche von unserem Kollegen Boris Rosenkranz, der der Frage nachgegangen ist, wie es ein Text des AfD-Parteiphilosophen Marc Jongen ins „Sandmännchen“ geschafft hat. Oder an unsere Serie „Wieso ist das so?“, in der wir oft banalen Fragen zur Arbeit von Medien nachgehen. Wo sonst wird erklärt, woher „Tagesschau“-Moderatoren wissen, wie sie Ortsnamen in anderen Ländern richtig aussprechen, oder warum Interviews in Deutschland immer autorisiert werden? (Lisa)
Was Clickbait-Portale wie „Der Westen“ fabrizieren, auch mit Hilfe von KI, oder wo Boulevard-Blätter ethische Grenzen überschreiten, lese ich vor allem bei uns. Wir greifen auch immer wieder Einzelfälle von besonders guter oder schlechter Berichterstattung aus Lokalzeitungen auf, die anderen Medien zu klein sind. Das liegt auch daran, dass wir sehr viele Hinweise von unseren Übonnent:innen bekommen. (Annika)
Bei welchen Themen wünschten Sie sich, dass diese irgendwann „erledigt“ wären?
Ich finde es sehr ermüdend, wie sich die Debatte um Reformen bei ARD, ZDF und Deutschlandradio seit Jahren im Kreis dreht. Es wäre schön, wenn sich die Medienpolitik und die Öffentlich-Rechtlichen endlich zu wirklich mutigen Veränderungen aufraffen könnten. Dann müsste ich nicht mehr über die immer gleichen Diskussionen schreiben. Es macht viel mehr Spaß, echte Reformen kritisch zu begleiten – sehr gerne auch mit mehr Transparenz in den Sendern. Die meisten Pressestellen verbreiten gerne Floskeln zu „Vielfalt“, „Qualität“ und „Kompetenz“, aber sobald es um konkrete Zahlen oder Details geht, werden sie knauserig. (Annika)
Puh. Da gibt es einige. Zu meinen „Hauptaufregern“ gehört die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen. Auch wenn Medien da sensibler sind als noch vor ein paar Jahren und mittlerweile schon viel darüber geschrieben wurde, wie verharmlosend Begriffe wie „Familiendrama“ sind: Ich wundere mich, wie häufig das Wort in Überschriften und Meldungen immer noch auftaucht. Oder das Thema True Crime: Klar, das Genre ist beliebt, aber ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, wie echte Gewalttaten zu Unterhaltungszwecken aufbereitet werden – und wie einseitig das oft auch ist. (Lisa)
Haben sich das Arbeitsfeld bzw. die Rolle von Medienjournalist(inn)en in den vergangenen Jahren geändert?
Ein Punkt, der mich mehr beschäftigt als noch vor ein paar Jahren, ist das zunehmende Medienmisstrauen vieler Menschen. Die, die behaupten, die Medien lügen, und die wollen, dass die Öffentlich-Rechtlichen abgeschafft werden, sind so laut geworden. Es wird in der aktuellen Stimmung immer herausfordernder, Medien zu kritisieren und gleichzeitig Leute zu überzeugen, dass wir grundsätzlich schon ein gutes und freies Mediensystem haben. Wenn wir rechtspopulistische Medien wie „Nius“ kritisieren, erreichen wir das Publikum dieser Medien ja meistens gar nicht mehr. (Lisa)
Für mich ist es schwieriger geworden, alle möglichen Kanäle im Blick zu behalten. Meine Zeit reicht nicht aus, um neben den großen Zeitungen und Sendern auch noch auf TikTok, Instagram und X alles mitzubekommen (neben meiner eigentlichen Arbeit). Da ist aus meiner Sicht viel Potenzial, sich zu spezialisieren. Dazu gehört auch der Mut zur Lücke: Ich schaue nie Fernseh-Talkshows, das machen schon genug Kolleginnen und Kollegen. (Annika)
Lisa Kräher ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Medien studiert. Seit 2013 hat sie als freie Journalistin gearbeitet, unter anderem für die Nachrichtenagentur epd und das „Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht“. Sie ist Autorin für die „Carolin Kebekus Show“ und Mitglied der Grimme-Preis-Jury. Seit 2020 ist sie im Aufsichtsrat der „Frauenberatung Nürnberg“, einer Beratungsstelle für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen.
Annika Schneider ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat als freie Autorin, Moderatorin und Redakteurin unter anderem für „Mediasres“ (Deutschlandfunk) und das „Altpapier“ (MDR) gearbeitet, außerdem für das Medienmagazin des WDR. Sie hat Journalistik und Politikwissenschaft in Eichstätt und Erlangen studiert und ihr journalistisches Handwerk im Lokalen gelernt.