Die Welt mit Daten erklären
Irgendwann wurde deutlich, welch interessante und vor allem bedeutsame Rolle die großangelegte Aufbereitung von Daten – besonders auch für den Journalismus – spielen kann. Dies diente (und dient) auf der einen Seite der Veranschaulichung komplexer Zusammenhänge und Hintergründe, auf der anderen Seite trägt der Rückbezug auf erhobene, vorliegende, belastbare Daten zum Medienvertrauen bei. Die wirklich lange Liste, die nun folgt, verdeutlicht die Bedeutung, die Datenprojekten im Journalismus seit geraumer Zeit zukommt.
Ein frühes Beispiel für die grafische Aufarbeitung von Daten war das ZDFParlameter (online nicht mehr verfügbar), das 2009 ausgezeichnet wurde:
„Das ‚ZDFParlameter‘ macht namentliche Abstimmungen der Bundestagsabgeordneten transparent und dadurch Demokratie nachvollziehbar. Es ist, als würde man durch die gläserne Kuppel des Reichtagsgebäudes schielen und den Abgeordneten bei ihren Abstimmungen über die Schulter schauen. In einer aufwändigen Grafik, die das Plenum samt Parteienfarbspektrum plastisch stilisiert, erkundet der Nutzer die politischen Entscheidungen seiner gewählten Vertreter.“
aus der GOA-Projektbeschreibung 2009
Große Aufmerksamkeit erhielt 2011 „Verräterisches Handy: Was Vorratsdaten über uns verraten“ (Zeit online) und bekam einen Preis in der Kategorie „Spezial“:
„Der Politiker Malte Spitz hat sechs Monate seiner bei einem Telefonanbieter gespeicherten Vorratsdaten ‚ZEIT ONLINE‘ zur Verfügung gestellt. Auf Basis dieser Daten entstand eine interaktive Karte, auf der die Nutzer alle Aufenthaltsorte, Telefonate und SMS des Politikers nachvollziehen können. Angereichert wurde die Visualisierung mit frei verfügbaren Inhalten aus dem Internet – Tweets oder Blogeinträgen – von Malte Spitz.“
aus der GOA-Projektbeschreibung 2011
Eine Auswahl weiterer Datenprojekte der folgenden Jahre umschließt:
- Zugmonitor (2012, Süddeutsche.de, Süddeutsche Zeitung / online nicht mehr verfügbar)
- Europa-Atlas (2013, Süddeutsche.de)
- Airbnb vs. Berlin (2016, von Einzelpersonen erstellt)
- Geld zieht Ärzte an (2016, ZEIT online)
Das „Interaktiv-Team der Berliner Morgenpost“ wurde 2016 für seine Gesamtleistung ausgezeichnet:
„Woher kommen die Flüchtlinge? Wie laut ist es vor meiner Haustür? Wie pünktlich ist der Nahverkehr? Alles Fragen, die sich bestens mit interaktiven Grafiken, Karten, Anwendungen oder auch Storytelling-Formaten beantworten lassen. Das sechsköpfige Interaktiv-Team der Berliner Morgenpost experimentiert mit immer neuen Darstellungs- und Erzählformen. So demonstrieren sie, wie sich auch aus Statistiken und Zahlen Geschichten erzählen und neue Perspektiven auf die Umgebung gewinnen lassen.“
aus der GOA-Projektbeschreibung 2016
2017 wurde die Berliner Morgenpost dann mit dem Datenprojekt „Es war nicht immer der Osten“ nominiert, in dem sie mithilfe einer interaktiven Karte das Wahlverhalten der Deutschen seit 1990 analysiert hat.
Dezidiert mit Politik und Parlament befassten sich unter anderem „Volk und Vertreter“ (2018, Süddeutsche Zeitung), „Das gespaltene Parlament“ (2019, Süddeutsche Zeitung) und „Darüber spricht der Bundestag (2020, ZEIT online).
Um Umwelt und Energie ging es bei „Umwelt in Ostdeutschland“ (2022, Mitteldeutscher Rundunk), „Wir schalten ab, sie heizen hoch“ (2022, ZEIT online) sowie
„Wo unsere Erde unbewohnbar wird“ (2023, FUNKE Zentralredaktion Interaktiv). Beispielhaft für die Relevanz von Datenprojekten schildert André Pätzold vom FUNKE-Datenteam in einem quergewebt-Interview die Bedeutung der Visualisierung von Daten.
Weitere sehr nennenswerte Beispiele für Datenjournalismus waren:
Wem gehört Hamburg? (2019, Correctiv):
„Gemeinsam mit dem Hamburger Abendblatt hat das Recherchekollektiv Correctiv mehr Transparenz in den Hamburger Wohnungsmarkt gebracht. In einem eigens eingerichteten Crowd-Newsroom haben sie Angaben von mehr als 1.000 Mietern ausgewertet und so Eigentumsdaten zu über 15.000 Wohnungen recherchiert. In den Hintergrundgeschichten wird klar, an wen die Stadt ihr Eigentum verkauft, wessen Profitgier die Mieten in die Höhe treibt und was ein undurchsichtiger Wohnungsmarkt mit Geldwäsche zu tun hat.“
aus der GOA-Projektbeschreibung 2019
Warum die Treuhand das Land spaltet (2020, Mitteldeutscher Rundfunk):
„In nur vier Jahren privatisierte die Treuhandanstalt die volkseigenen Betriebe der DDR. Was aus ihnen wurde, analysiert „Warum die Treuhand das Land spaltet“ von MDR und Hoferichter & Jacobs GmbH. Kern des datenjournalistischen Projekts ist eine interaktive Karte mit 5.000 Treuhandunternehmen, die anzeigt, woher die Käufer*innen der Betriebe kamen, wer sie liquidiert hat und was das mit der Stimmung macht. Hierfür wurden Unternehmenslisten der Treuhandanstalt digitalisiert und mit Handelsregisterdaten abgeglichen.“
aus der GOA-Projektbeschreibung 2020
Dem damals aktuellen Anlass geschuldet war „Das Coronavirus in Grafiken, Karten und Illustrationen“ (2021, ZEIT online).
Und die „dekoder Specials“ (2021) verbanden „interessante datenjournalistische Auswertungen sowie anmutige Geschichten an der Schnittstelle von Wissenschaft und Journalismus“.
2022 wurde mit CORRECTIV.Lokal ein Angebot ausgezeichnet, das wiederum denen, die journalistisch mit Daten arbeiten wollen, zur Seite steht:
„Aufwändige Datenrecherchen und investigative Themenschwerpunkte sind im Lokalen normalerweise nicht möglich. „CORRECTIV.Lokal“ unterstützt mit Tools, Expertise und Themen. In dem Verbund von über 1.200 Lokaljournalist*innen sind schon Recherchen zu Parteispenden, Schwarzgeld im Amateurfußball und zu Klima-Themen entstanden, mit hunderten Berichten in Lokalmedien. Daneben finden Vernetzung, Wissensaustausch und Fortbildung statt – so stärkt das Netzwerk den für die Gesellschaft so relevanten Lokaljournalismus.“
aus der GOA-Projektbeschreibung 2022
Aber auch für die kritische Betrachtung von Daten(-erfassung) wurde gesorgt. Zwei Beispiele:
„Do Not Track“ (2016, Upian, ARTE France, BR, National Filmboard of Canada. Mit der Beteiligung von Radio-Canada, AJ+, RTS. Gefördert von CNC, TFI New Media Fund und der Ford Foundation / online nicht mehr verfügbar)
„In insgesamt sieben Episoden wird dem Nutzer am eigenen Beispiel demonstriert, welche Tools und Methoden Tracker verwenden, um uns zu überwachen, und welchen Handel wir eingehen, wenn wir persönliche Daten gegen Informationen tauschen.“ (zu den vielen Anbietern gehörten unter anderem Arte und BR)
aus der GOA-Projektbeschreibung 2016
Oder OpenSCHUFA (2019, AW AlgorithmWatch gGmbH, Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.):
„Das Scoring der Wirtschaftsauskunftei SCHUFA ist streng unter Verschluss und die entstehenden Werte sind von außen nicht nachvollziehbar. Obwohl es uns alle betrifft. Die Initiative ‚OpenSCHUFA‘ hat die Community online mobilisiert und um „Datenspenden“ gebeten. Durch die Auswertung der gesammelten Eigenauskünfte konnte auf die Faktoren geschlossen werden, die in die Bewertung einfließen – ein Schritt zu mehr Transparenz. Spiegel Online und der Bayerische Rundfunk haben die Daten unabhängig ausgewertet und berichtet.“
aus der GOA-Projektbeschreibung 2019
Ein weiterer Teil der Chronik des Grimme Online Award wartet in Kürze auf Sie:
Teil 4: Multimedia, Scrollytelling und all das andere Wichtige, Schöne & Gute