Bitte stellen Sie sich und Ihre Arbeit kurz vor.
Ich bin Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft am Institut für Sozialwissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zuvor habe ich acht Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gearbeitet. Während dieser Zeit wurde ich Mitglied des Teams der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen.[1] Seit meines Wechsels nach Düsseldorf bin ich assoziiertes Mitglied der Forschungsgruppe. In der Studie erforschen wir die Ursachen, Entwicklungen und Folgen von Vertrauen in öffentliche Kommunikation in Deutschland. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Vertrauen der Bürger:innen in etablierte Medien wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Darüber hinaus untersuchen wir zum Beispiel, wie viele Menschen in Deutschland an Verschwörungserzählungen glauben und inwieweit dies mit der Nutzung von sozialen Medien als Informationsquelle zusammenhängt. Die Studie basiert auf jährlich wiederkehrenden repräsentativen Befragungen der deutschen Bevölkerung (18+ Jahre). Ende des Jahres 2023 fand die neunte Befragungswelle statt, die wichtigsten Ergebnisse haben wir in einem Beitrag dokumentiert, der im Frühjahr 2024 in der Zeitschrift Media Perspektiven erschienen ist.[2]
Bitte definieren Sie für uns den in der Studie verwendeten Begriff des „Medienvertrauens“ und dessen Rolle für die Gesellschaft.
Medienvertrauen beschreibt die Beziehung zwischen zwei Partnern: den Bürger:innen als Rezipienten und den Medien als Informationsanbietern. Diese Beziehung ist durch klassische Merkmale von Vertrauensbeziehungen geprägt, darunter Asymmetrie, Abhängigkeit und Risiko: Medien haben oftmals exklusiven Zugang zu Informationen, auf die Bürger:innen angewiesen sind, wenn sie gesellschaftlich handlungsfähig bleiben wollen. Diese Informationen können sie aber häufig nicht umfangreich überprüfen und validieren, sodass sie das Risiko eingehen, aufgrund unzureichender oder falscher Informationen in den Medien schlechte Entscheidungen zu treffen. Medienvertrauen kann als Bereitschaft von Bürger:innen verstanden werden, dieses Risiko in Kauf zu nehmen und sich darauf zu verlassen, dass die Medien motiviert und fähig sind, zuverlässig, korrekt und unvoreingenommen zu berichten.
Da Medien eine zentrale Stellung in modernen Demokratien einnehmen, ist es von erheblicher Bedeutung, dass die Bürger:innen ihnen ein Mindestmaß an Vertrauen schenken. Medien dienen der Information der Öffentlichkeit und sollen dabei helfen, dass Bürger:innen fundierte Entscheidungen treffen können. Dies ist nur möglich, wenn die Bevölkerung den Medien vertraut, dass sie ihre Aufgaben gewissenhaft und korrekt erfüllen. Medienvertrauen trägt auch dazu bei, dass die Medien ihre Rolle als vierte Gewalt ausüben können, also zum Beispiel Missstände in Politik und Wirtschaft aufdecken. Fehlendes Medienvertrauen kann zu einer Schwächung demokratischer Prozesse führen, da die Bürger:innen dann möglicherweise weniger geneigt sind, sich auf Basis von medial vermittelten Informationen politisch zu engagieren oder informierte Entscheidungen zu treffen.
Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass wir in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung nicht davon ausgehen, dass ein unbedingtes und naives Vertrauen der Bürger:innen in die Medien demokratisch wünschenswert ist. Ein gesunder Skeptizismus der Bevölkerung gegenüber – empirisch tatsächlich nachgewiesenen – Fehlern und Verzerrungen der medialen Berichterstattung ist von großer Bedeutung, solange eine im Kern wohlwollende Haltung gegenüber den Funktionen und Leistungen der Medien existiert.
Können Sie uns ein paar Schwerpunkte aus den aktuellen Studienergebnissen nennen?
Im Jahr 2023 gaben 44 Prozent der deutschen Bevölkerung an, etablierten Medien wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Zeitungen und Zeitschriften überwiegend oder voll und ganz zu vertrauen. Gleichzeitig hat ein Viertel der Bevölkerung wenig oder kein Vertrauen in die Medien. Im Vergleich zum Höhepunkt der Corona-Pandemie im Jahr 2020 ist der Anteil der Vertrauenden um zwölf Prozentpunkte gesunken. Das klingt erst einmal drastisch und lässt die häufig beschworene These der „Vertrauenskrise“ nicht unrealistisch erscheinen. Allerdings muss man dazu wissen, dass die Corona-Pandemie und das damit verbundene Vertrauensniveau in die Medien eine Ausnahmeerscheinung war, die sich unter anderem mit der großen Verunsicherung der Bevölkerung und dem starken Orientierungsbedürfnis an etablierten gesellschaftlichen Institutionen erklären lässt. Zwischen den Jahren 2016 und 2019 lag der Anteil der Deutschen, die den Medien vertrauen, stets um die 40 Prozent. Wir sprechen also eher von einer Konsolidierung als von einer Krise des Medienvertrauens.
Das sollte jedoch nicht als Entwarnung auf ganzer Linie verstanden werden. Es gibt auch im Jahr 2023 einen Kern an harten Kritiker:innen in Deutschland, die den etablierten Medien nicht nur misstrauen, sondern sie pauschal ablehnen und sie der Lüge und Manipulation bezichtigen. Dieser harte Kern macht je nach Fragestellung bis zu einem Viertel der deutschen Bevölkerung aus: So stimmten zuletzt 23 Prozent der Deutschen der Aussage zu, dass die Medien und die Politik Hand in Hand arbeiten, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren. Den bekannten „Lügenpresse-Vorwurf“ – die Bevölkerung werde von den Medien systematisch belogen – teilen nur 17 Prozent der Deutschen. Nichtsdestotrotz verdeutlichen diese Zahlen, dass ein nennenswerter Anteil der Deutschen die etablierten Medien pauschal, zuweilen gar radikal ablehnt. Hinzu kommt das Problem, dass viele Deutsche die Medien zwar nicht pauschal verurteilen, sich und ihre Lebenswelt aber in den Medien nicht mehr repräsentiert sehen: So stimmten im Jahr 2023 knapp ein Drittel der Aussage zu, dass sie die gesellschaftlichen Zustände in ihrem persönlichen Umfeld ganz anders wahrnehmen als sie von den Medien dargestellt werden. Immerhin hat sich dieser Anteil seit dem Jahr 2017 um fünf Prozentpunkte reduziert, die Bemühungen vieler Redaktionen, die Vielfalt der Gesellschaft und ihrer Themen angemessener darzustellen, könnten sich also ausgezahlt haben. Insgesamt können die Medien in Deutschland auf ein solides Vertrauensniveau bauen, von einer schwerwiegenden Krise des Medienvertrauens wie in anderen Ländern – z.B. den Vereinigten Staaten – kann hierzulande nicht die Rede sein. Dennoch müssen die Medien daran arbeiten, dieses Niveau zu halten, um die Abwägenden, die „teils, teils“ vertrauen und im Jahr 2023 knapp ein Drittel der Deutschen ausmachen, nicht an das Lager der Misstrauenden zu verlieren.
Die Publikation enthält nicht nur Auswertungsergebnisse, sondern auch ein Kapitel mit dem Titel „Konsequenzen“. Welche Konsequenzen werden formuliert und wo sehen Sie die jeweiligen Verantwortlichkeiten?
Obwohl das Vertrauensfundament in Deutschland grundsätzlich stabil ist, könnte es durch zunehmende gesellschaftliche Konflikte, ökonomische Unsicherheiten, nachlassende Integrationskräfte und wachsende Zweifel an etablierten Institutionen erschüttert werden. Diese Entwicklung könnte auch die Medien und den Journalismus beeinträchtigen. Basierend auf unseren Beobachtungen formulieren wir in unserem Buch[3] Handlungsempfehlungen auf drei Ebenen, wie dieser Gefahr begegnet werden kann. Schlaglichtartig lassen sie sich folgendermaßen zusammenfassen:
- Die Politik sollte die Medienfreiheit und -vielfalt in Deutschland durch Wettbewerbskontrollen und die Förderung lokaler Berichterstattung unterstützen. Zudem sind effektive Regulierungen von Social-Media-Plattformen nötig, damit seriöse Beiträge nicht in algorithmisch gesteuerten Empörungswellen oder Banalitäten untergehen. Die Medienbildung sollte ausgebaut werden, um Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen fundiertes und aktuelles Wissen über die Rolle der Medien in Demokratien, journalistische Arbeitsweisen und angemessenes Verhalten in digitalen Räumen zu vermitteln.
- Die Medien sollten den Druck und die Verlockungen digitaler Plattformen nach schnellen Reichweitengewinnen kritisch hinterfragen und sich auf journalistische Grundwerte besinnen. Eine offene Fehlerkultur, in der Fehler anerkannt und erläutert werden, kann das Vertrauen stärken und dem Publikum den journalistischen Prozess näherbringen. Es ist außerdem wichtig, den Dialog mit der Öffentlichkeit sowohl online als auch offline zu pflegen, um die Vielfalt gesellschaftlicher Perspektiven authentisch darzustellen und einer Entfremdung entgegenzuwirken.
- Bürgerinnen und Bürger tragen schließlich eine persönliche Verantwortung, insbesondere in der digitalen Kommunikation. Es ist wichtig, vorsichtig zu urteilen, Informationen kritisch zu prüfen und Ambiguitäten auszuhalten. Eine differenzierte Meinungsbildung und eine ausgewogene Haltung gegenüber Medien und anderen gesellschaftlichen Akteuren sind entscheidend. Dabei sollten sich Einzelne nicht voreilig auf eine Informationsquelle oder nur auf bekannte Perspektiven verlassen.
Welche inhaltlichen Schwerpunkte sind für die kommende/aktuelle Befragungsrunde geplant/Inhalt?
Es ist unser Anspruch, mit der Langzeitstudie ein kontinuierliches Monitoring des Medienvertrauens in Deutschland zu liefern. Die Kernfragen, die wir den Befragten stellen, werden sich deshalb auch in der nächsten Befragungswelle nicht ändern. Darüber hinaus werden wir uns aber anschauen, welche Themen in der Gesellschaft dieses Jahr intensiv diskutiert werden, um Fragen zum themenspezifischen Vertrauen der Bevölkerung zu formulieren. Zudem werden wir gegebenenfalls Schwerpunkte auf die Beziehungen zwischen Vertrauen in öffentliche Institutionen und gesellschaftlichen Zusammenhalt, aber auch Gewaltbereitschaft gegenüber Politiker:innen und Journalist:innen sowie einer wahrgenommenen Verrohung des öffentlichen Diskurses setzen.
[1] http://www.medienvertrauen.de
[2] https://www.ard-media.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2024/MP_9_2024_Mainzer_Langzeitstudie_Medienvertrauen_2023.pdf
[3] https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/520602/medienvertrauen-in-deutschland/
Marc Ziegele (*1985) ist Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft am Institut für Sozialwissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist außerdem assoziiertes Mitglied der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen. Seine Promotion am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz verfasste er über den Diskussionswert von Online-Nachrichten. In seiner Forschung untersucht er die Diskussionskultur im Internet, Ursprünge und Wirkungen von Hassrede sowie den Wandel des Vertrauens von Bürgerinnen und Bürger in etablierte und neue Medien. Während eines dreimonatigen Aufenthalts am Center for Media Engagement der University of Texas at Austin erforschte er außerdem Kommunikationsnormen im Internet.