Der berechtigten Sorge über die möglichen Folgen von Verschwörungsnarrativen und Desinformation auf gesellschaftlichen Zusammenhalt, den öffentlichen Diskurs und den Zustand der Demokratie wird immer öfter in Presseberichterstattung, Studien und Erhebungen Ausdruck verliehen. Thematisch damit verwoben sind Hassreden und die Frage, wie all dies – gern auch im Zusammenspiel der Möglichkeiten, die durch KI eröffnet werden – Einfluss auf demokratische Wahlen bzw. auf die Stabilität von Demokratie nehmen könnte.
„Gerade angesichts der anstehenden Wahlen in diesem Jahr müsse man in sozialen Netzwerken verstärkt mit Desinformationen rechnen, warnt der Bundesverfassungsschutz. Diese würden gezielt verbreitet, ‚um politische Gegner zu diskreditieren und Wähler zu verunsichern, um die Demokratie und ihre Institutionen zu untergraben‘, sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang am Dienstag dem ‚Handelsblatt‘. Als Beispiel nannte Haldenwang in diesem Zusammenhang TikTok.“ (zitiert aus: „Lauterbach goes TikTok: So will er die AfD ausbremsen“, WDR-Artikel vom 19.03.2024)
Eins der Ergebnisse der Studie „Verunsicherte Öffentlichkeit“ im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, die im Februar 2024 veröffentlicht wurde, lautet: „Nach Meinung von 84 Prozent der Menschen in Deutschland stellen vorsätzlich verbreitete Falschinformationen im Internet ein großes oder sogar sehr großes Problem für unsere Gesellschaft dar. 81 Prozent sind der Ansicht, dass Desinformation eine Gefahr für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeutet.“
Bereits in einer bpb-Publikation aus dem Jahr 2020 warnte Pia Lamberty vor den Folgen von Verschwörungserzählungen für die Demokratie:
Pia Lamberty ist eine von insgesamt neun Expert(inn)en, die in der Webvideo-Reihe „Akademie fragt nach“ der Grimme-Akademie zu verschiedenen Faktoren von Verschwörungserzählungen gesprochen haben.
„Der Glaube an Verschwörungen geht auch mit einem Rückzug aus dem demokratischen System einher. Wer meint, die Regierung sei nur eine Marionette von dahinterstehenden Mächten, geht weniger wahrscheinlich wählen oder nimmt weniger teil am demokratischen Diskurs. Stattdessen, auch das belegen Studien, werden tendenziell eher anti-demokratische Wege gewählt, um die eigenen politischen Ziele durchzusetzen.“ (bpb-Veröffentlichung „Verschwörungserzählungen“ in: infoaktuell, Informationen zur politischen Bildung (35/2020), Kapitel „Politisches Handeln und Verschwörungserzählungen: Ist doch alles ganz harmlos?“)
Studien und Erhebungen: die Suche nach Ursachen und Folgen
Mit einer ganzen Reihe von Studien, Projekten und Informationen befassen sich Stiftungen, Bildungseinrichtungen und andere mit den Problemen von Desinformation und der Verbreitung von Verschwörungserzählungen und mit dem Einfluss, den diese auf Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt haben (können).
Vorab sei an dieser Stelle auf einen recht ausführlichen Wikipedia-Eintrag verwiesen, der neben einer Begriffsklärung und einem historischen Abriss eine ganze Reihe von Erklärungsansätzen anbietet und auch einige der hier zitierten Personen und Einrichtungen nennt.
Da es mittlerweile eine Fülle an Ansätzen und Initiativen gibt, die Desinformation, Verschwörungserzählungen und Hetze im Netz nachgehen, haben wir uns an dieser Stelle drei Studien herausgesucht, die von der Bertelsmann Stiftung publiziert wurden. Dies ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass die Stiftung im übergeordneten Projekt „Upgrade Democracy“ einen besonderen Fokus auf diese Themen setzt und die Studien zwischen Mai 2023 und Februar 2024 erschienen sind. Auch im Kapitel „Maßnahmen …“ erscheint sie wieder. Da jedoch einige der dort genannten handelnden Akteure und Akteurinnen untereinander kooperieren bzw. aufeinander Bezug nehmen, kann man (hoffentlich) anhand dieser Beispiele einen ersten Eindruck gewinnen.
„Die verunsicherte Öffentlichkeit“ (Studie der Bertelsmann Stiftung)
Den ausführlichsten Blick werfen wir auf die am 27.02.2024 erschienene Publikation „Verunsicherte Öffentlichkeit. Superwahljahr 2024: Sorgen in Deutschland und den USA wegen Desinformationen“ (der Link führt zur Download-Möglichkeit für das PDF der Publikation) der Bertelsmann Stiftung, für die vom 4. bis 17. Oktober 2023 in Deutschland 5.055 und in den USA 2.018 Personen befragt wurden und über die in den Tagen danach eine ganze Reihe von Medien berichtet hat. (Ein Beispiel hierfür ist die „Zeit“.)
Neben den bereits oben zitierten allgemeineren Aussagen von Bürgerinnen und Bürgern im Hinblick auf Desinformation vertieft diese Studie einige der damit verbundenen Sorgen und Einstellungen:
„Aus Sicht der Befragten dienen Desinformationen vor allem der Manipulation der politischen Meinung, der Beeinflussung von Wahlen und der Spaltung der Gesellschaft: Über 90 Prozent der Befragten sagen, dass diejenigen, die Desinformationen verbreiten, damit die politische Meinung in der Bevölkerung beeinflussen wollen“ (im PDF auf S. 4).
Auch die Einstellungswerte, dass darüber ein Wahlausgang beeinflusst (mit 86 Prozent) oder die Gesellschaft gespalten (mit 84 Prozent) werden soll, sind hoch. Allerdings ist die Sorge, dass dieses auch gelingen kann, etwas geringer: 67 Prozent der Befragten befürchten, dass der Ausgang von Wahlen durch Desinformation beeinflusst werden könnte; 70 Prozent schätzen das Risiko für andere Menschen als sehr oder eher groß ein, „sich durch Desinformationen in der eigenen Meinung beeinflussen zu lassen“ (PDF. S.4), aber nur 16 Prozent glauben, dass sie selbst gefährdet wären, durch Desinformationen beeinflusst zu werden.
„Fast die Hälfte der Befragten ist unsicher, ob Informationen im Internet der Wahrheit entsprechen – ein Drittel hat in den letzten Monaten Desinformationen wahrgenommen: Jüngere zeigen sich häufiger verunsichert als Ältere. Menschen mit niedrigem Medienvertrauen sind sich bezüglich des Wahrheitsgehalts von Informationen aus dem Internet besonders häufig unsicher. Grundsätzlich gilt: Wer häufiger und intensiver soziale Medien nutzt, begegnet auch häufiger Desinformationen. Männer, jüngere Menschen und Personen mit höherer Bildung geben an, häufiger auf Desinformationen im Internet zu stoßen. Bei fehlendem oder geringem Medienvertrauen werden ebenfalls häufiger Desinformationen im Internet wahrgenommen“ (im PDF auf S. 5).
Wahrgenommen haben die Befragten Desinformation insbesondere bei Themen wie „Einwanderung und Flucht“ sowie „Gesundheit und Corona“ (jeweils 53 Prozent), „Krieg in der Ukraine“ (51 Prozent), „Politik und Wahlen“ (50 Prozent) und „Klimawandel und Naturkatastrophen“ (47 Prozent). Als Quellen bzw. verantwortlich für Desinformation geben zwei Drittel der Befragten „Protestgruppen und Aktivist:innen“ an, 60 Prozent „Blogger:innen und Influencer:innen“, 53 Prozent „Ausländische Regierungen“ und 50 Prozent „Politiker:innen und Parteien in Deutschland“. Im Hinblick auf die politische Ausrichtung derer, die Desinformationen verbreiten, sagen 55 Prozent der Befragten, dass diese sowohl aus dem rechten als auch aus dem linken Spektrum stammen, 25 Prozent sehen die Quellen rechts und 10 Prozent links.
Was Verbreitungswege betrifft, nehmen 59 Prozent Desinformation in den sozialen Medien wahr, 37 Prozent auf Nachrichtenseiten oder in Blogs und 19 Prozent bei Messengerdiensten.
„Unter den sozialen Medien stechen vor allem TikTok, X / Twitter sowie Facebook hervor. Mehr als die Hälfte ihrer Nutzer:innen gibt an, dort Desinformationen wahrgenommen zu haben. Bei den Messengerdiensten finden sich interessante Unterschiede: Nutzer:innen von WhatsApp berichten, dort kaum Desinformation wahrzunehmen (11 Prozent), während der Anteil bei Telegram mit 24 Prozent deutlich höher liegt. Hinzu kommt, dass Befragte mit geringem Medienvertrauen, die in allen anderen Zusammenhängen häufiger Desinformationen wahrnehmen, berichten, auf Telegram weniger Desinformationen zu begegnen“ (PDF, S. 5). Angebote des Faktenchecks werden nur recht wenig genutzt: Während 57 Prozent bereits einmal selbst recherchiert haben, ob Meldungen im Internet wahr sind, gaben nur 11 Prozent an, eine Fact-Checking-Organisation genutzt zu haben.
„Verunsicherte Öffentlichkeit“ benennt Medienvertrauen als eine Schlüsselkategorie im Umgang mit Desinformationen:
„Befragte mit geringem Medienvertrauen haben ein weiteres Begriffsverständnis von Desinformationen. Sie fassen häufiger auch unbeabsichtigte Falschmeldungen darunter und sind häufiger der Meinung, es gehe dabei hauptsächlich darum, alternative Meinungen zu diskreditieren. Ferner nehmen sie häufiger Desinformationen wahr (fast die Hälfte), halten inländische Akteur:innen, Politiker:innen, Journalist:innen und auch die Bundesregierung eher für die Verursacher:innen und vermuten als Motiv überdurchschnittlich oft, dass damit von Skandalen und politischer Unfähigkeit abgelenkt werden soll“ (im PDF auf S. 6).
Dementsprechend wurde bei der Ergebnissichtung ein Blick auf hohes, mittleres und niedriges Vertrauen der Befragten geworfen. Folgende Aspekte wurden gemessen:
- das Vertrauen in die Berichterstattung zu politischen Themen,
- die Annahme, dass die Bevölkerung von den Medien systematisch belogen wird, und
- die Vermutung, dass Politik und Medien zusammenarbeiten, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren (vgl. PDF, S. 11f.).
Das Ergebnis: 43 Prozent der Befragten zeigten mittleres, 30 Prozent niedriges und 28 hohes Medienvertrauen.
Die drei Gruppen werden in der Studie ausführlich geschildert, an dieser Stelle – da es für diesen Beitrag zum Grimme Lab-Dossier „Demokratie“ relevant ist – wird lediglich darauf verwiesen,
- dass sich in der Gruppe derer mit niedrigem Medienvertrauen ein „ … überdurchschnittlich hoher Anteil (44 Prozent im Vergleich zu 28 Prozent im Durchschnitt) … selbst als politisch eher rechts stehend ein[ordnet]. 58 Prozent derjenigen aus der Gruppe, die eine Wahlabsicht nennen, würden sich bei der nächsten Bundestagswahl für die AfD entscheiden“ (PDF, S. 12), und
- dass hier die Unzufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie besonders auffällig sei: „74 Prozent verneinen die Aussage, dass das demokratische System in Deutschland alles in allem gut funktioniert. In der Gesamtstichprobe sehen dies nur 38 Prozent der Befragten so“ (PDF, S. 12).
Für alle weiteren Ergebnisse, unter anderem zu Definition, Wahrnehmung, Verbreitung und (vermeintlichen) Akteurinnen und Akteuren, sei an dieser Stelle auf die sehr ausführliche Gesamtstudie (Link zum Download des PDF) verwiesen.
„Einstellungen und Wahrnehmungen zu Desinformationen in Europa“
(Studie der Bertelsmann Stiftung)
Vorangegangen war dieser Erhebung im August 2023 die Studie „Einstellungen und Wahrnehmungen zu Desinformationen in Europa“, die ebenfalls im Rahmen des Projekts Upgrade Democracy der Bertelsmann Stiftung durchgeführt wurde. Hier lag der Schwerpunkt auf der Befragung von mehr als 13.000 Bürgerinnen und Bürgern der EU. Eins der Ergebnisse: Eine große Mehrheit der Befragten wünscht sich mehr Einsatz bei der Bekämpfung von Desinformation:
„Der Aussage ‚Die Politik sollte mehr gegen die Verbreitung von Desinformationen im Internet unternehmen‘ stimmten 40 Prozent voll und weitere 45 Prozent eher zu. Dem Satz ‚Die Betreiber von Sozialen Medien, wie z.B. Twitter, Facebook, Instagram oder TikTok, sollten größere Anstrengungen unternehmen, um die Verbreitung von Desinformationen auf ihren Plattformen zu bekämpfen‘ stimmten sogar 53 bzw. 36 Prozent voll bzw. eher zu. In beiden Fällen sind also über 80 Prozent dafür, dass sich Politik und Plattformen mehr gegen Desinformation einsetzen“ (Abschnitt „EU-Bürger:innen wünschen sich mehr Einsatz gegen Desinformationen von Politik und Plattformen“).
Groß ist auch die Unsicherheit darüber, ob Informationen richtig oder falsch sind. „Die Menschen in Europa verspüren der Umfrage zufolge eine große Unsicherheit darüber, welchen digitalen Inhalten sie noch vertrauen können und welche absichtlich manipuliert worden sind“ (Abschnitt „Mehrheit der Befragten ist unsicher, ob Informationen im Internet wahr oder falsch sind“).
Dennoch ist die Einschätzung der Rolle von Social Media seitens der Befragten nicht überwiegend negativ. 28 Prozent von ihnen schreiben diesen einen positiven Einfluss auf die Demokratie zu, 30 Prozent einen negativen und 42 Prozent befinden, soziale Medien hätten „sowohl Licht- als auch Schattenseiten“ (Abschnitt „Ambivalente Meinung zum Einfluss von Sozialen Medien auf die Demokratie“).
Folgende Handlungsempfehlungen wurden erarbeitet:
- „Ein systematisches Monitoring des Phänomens Desinformation in Deutschland und Europa sicherstellen.
- Breite der Bevölkerung für das Thema Desinformation sensibilisieren.
- Medien- und Nachrichtenkompetenz für alle Generationen vermitteln.
- Konsequente und transparente Inhaltsmoderation auf digitalen Plattformen sicherstellen“ (Abschnitt „Was muss getan werden, um Desinformationen zu bekämpfen?“).
Diese (ausgewählten) Ergebnisse stammen aus der Zusammenfassung der Studie. Hier ist auch die Gesamtstudie verlinkt und die entwickelten Handlungsempfehlungen werden erläutert.
„Verschwörungsmentalität in Krisenzeiten“ (Studie der Bertelsmann Stiftung)
Im Mai 2023 standen Verschwörungserzählungen im Mittelpunkt der Untersuchung. In der Studie „Verschwörungsmentalität in Krisenzeiten“ (der Link führt zur Download-Möglichkeit für das PDF der Publikation) ging es unter anderem um den Kontext „Affinität zu Verschwörungsnarrativen und gesellschaftlicher Zusammenhalt“.
„Verschwörungsnarrative zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie in unübersichtlichen, beängstigenden Situationen ein gewisses Gefühl von Sicherheit und Kontrolle herbeiführen. Denn das Verschwörungsnarrativ liefert eine griffige Erklärung dafür, was sonst auf den ersten Blick schwer zu verstehen und noch schwerer zu steuern ist“ (im PDF auf S. 3).
Einen Schwerpunkt legten die Beteiligten auf die Corona-Pandemie und untersuchten unter anderem die Neigung zu Verschwörungsnarrativen im Zusammenhang mit soziodemografischen Faktoren und Einstellungen zur Pandemie sowie die Eigenschaften oder Merkmale der Befragten, die einen Einfluss auf die Zugehörigkeit zur Gruppe derer mit hoher, mittlerer und niedriger Neigung zu Verschwörungsnarrativen haben. Nur ein Beispiel, hier im Kontext „Einkommensniveau“: „Nicht das niedrige Einkommen als solches vergrößert die Neigung zu Verschwörungsnarrativen, sondern vermutlich die damit verbundenen Zukunftssorgen und Verunsicherungen“ (PDF, S. 8). Aber auch andere Faktoren, die in diesem Lab-Artikel bereits genannt wurden, tauchen hier erneut auf, etwa die Unzufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie.
Der „Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt“ beobachtet neun Dimensionen des Zusammenhalts (jeweils mit weiteren Einzelindikatoren). Die Dimensionen sind: soziale Netze, Identifikation mit dem Gemeinwesen und Solidarität und Hilfsbereitschaft (=soziale Beziehungen); Vertrauen in die Mitmenschen, Vertrauen in Institutionen und Anerkennung sozialer Regeln (=Verbundenheit mit dem Gemeinwesen); Akzeptanz von Diversität, Gerechtigkeitsempfinden sowie gesellschaftliche und politische Teilhabe (=Gemeinwohlorientierung).
Darüber hinaus ist ein Abschnitt der Studie dem gesellschaftlichen Zusammenhalt gewidmet (siehe hierzu auch das Projekt „Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt“). Eine der Erkenntnisse im Kapitel „Affinität zu Verschwörungsnarrativen und gesellschaftlicher Zusammenhalt“ lautet:
Dort, wo nur wenige Menschen mit geringer Neigung zu Verschwörungsnarrativen leben, sei der Zusammenhalt besonders deutlich zurückgegangen. Auch in anderen untersuchten Dimensionen zeigt sich, so die Studie, dass immer, „wenn in einem Kreis vergleichsweise wenige Menschen leben, die gegen Verschwörungsnarrative sozusagen ‚immun‘ sind, … der Zusammenhalt in der jeweiligen Dimension signifikant zurückgegangen“ sei (im PDF auf S. 11).
Alle Erhebungsergebnisse, das ausführliche Fazit und ein Ausblick finden sich in der Gesamtstudie (Link zum Download des PDF).
Weitere Studien
Neben diesen drei Studien gibt es selbstverständlich eine Vielzahl weiterer, die sich dem Thema zuwenden. Hier nennen wir nur einige: Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung publizierte Mitte-Studie (Überblick) beobachtet seit 2006 in einem Langzeit-Vorhaben, wie sich rechtsextreme und andere Einstellungen auf die Gesellschaft auswirken. Die aktuelle Veröffentlichung mit dem Titel „Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23“ wird an dieser Stelle nicht ausführlich vorgestellt, weil sie aufgrund ihres Forschungsziels keinen herausgehobenen Blick auf die Gesellschaft als Mediengesellschaft wirft, sondern andere Schwerpunkte setzt.
Wir möchten jedoch gern auf eine Diskussionsrunde verweisen, die im Rahmen unserer Veranstaltung „Rechtspopulismus & die Verantwortung der Medien“ stattgefunden hat, und in der Prof. Beate Küpper, eine der Verfasserinnen der Mitte-Studie, zu Aufgaben und Verantwortung von Medien im Kontext einer demokratisch-aufgeklärten Gesellschaft spricht. (Hier ist das YouTube-Video zum Gespräch. Und hier das Dossier zum Gesamtprojekt „Rechtspopulismus & die Verantwortung der Medien“.)
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich in ihrer Studie „Demokratievertrauen in Krisenzeiten“ (PDF, FES / 2024) neben anderen Faktoren ebenfalls dem Thema „Gefahr: Verschwörungserzählungen“ gewidmet (im PDF auf S. 8).
Und schließlich: Einen besonderen, weil sehr langfristigen Blick wirft die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen auf „Dynamik, Ursachen und Folgen von Vertrauen in öffentliche Kommunikation“. In unserem Interview mit Prof. Dr. Marc Ziegele, der an der Studie beteiligt ist, geht es um den Begriff des „Medienvertrauens“ und um Schwerpunkte aus den aktuellen Ergebnissen. Er schildert in der Studie formulierte Konsequenzen und Verantwortlichkeiten und gibt einen kurzen Einblick in die weitere Umsetzung des Monitorings.
Maßnahmen, Informationen & Initiativen
Eins der längerfristigen Projekte der Bertelsmann Stiftung ist „Upgrade Democracy“ (Start: April 2023). Selbsterklärtes Ziel ist: „… Brücken [zu bauen] zwischen vielfältigen, internationalen Akteuren und … Lösungen [zu verbreiten], die Desinformationen erfolgreich in ihren jeweiligen Kontexten begegnen und digitale Tools innovativ nutzen, um Demokratie zu stärken“.
Im Projekt werden regelmäßig Beiträge in den Rubriken Impulse, Visionen und Perspektiven veröffentlicht sowie im Jahr 2023 ein Newsletter zu Schwerpunktthemen (etwa „Desinformationskampagnen, Prebunking, Desinformation und KI“, „Rechtspopulismus, Migration, Polarisierung“, „Superwahljahr, Monitoring, Zukunftsvisionen“. Weitere Artikel werden in die Kategorien upgrade politics, upgrade society, upgrade technology einsortiert. Darüber hinaus begleitet Upgrade Democracy diverse Projekte, aktuell (2024): Data Knowledge Hub für Wissenschaftler(innen), Journalist(inn)en und Aktivist(inn)en; Faktenstark (in Kooperation mit der Amadeu Antonio Stiftung und codetekt) und das Forum gegen Fakes (in Kooperation mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat, hier eine Innenministeriumsmeldung vom 24. Januar 2024), der Stiftung Mercator und der Michael Otto Foundation for Sustainability sowie weiteren Unterstützern).
„Ziel des Projekts Forum gegen Fakes ist es, mit einem bisher einzigartigen Format der Beteiligung eine bundesweite Debatte zum Umgang mit Desinformation anzustoßen. Dabei soll gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern ergründet werden, wie der demokratische Dialog gestärkt werden kann. Entsprechend ist die direkte Beteiligung von möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern das Herzstück des Vorhabens. So sollen unter Einbeziehung der breiten Bevölkerung ein besserer Umgang mit Desinformation gefunden und konkrete Handlungsempfehlungen an die Politik formuliert werden.
Folgende Fragestellungen sollen innerhalb des Projekts behandelt werden:
- Wie schützen wir die Meinungsfreiheit und wie schützen wir uns alle vor Informationsmanipulation?
- Welche Bedeutung haben Soziale Medien und die Fortschritte rund um Künstliche Intelligenz für die digitale Kommunikation?
- Wie stärken wir gesellschaftlichen Zusammenhalt?
- Wie verhindern wir die Einflussnahme durch fremde Staaten, z.B. auf unsere Wahlen?“ (aus: Forum gegen Fakes, Über das Projekt)
An diesem Projekt können sich alle interessierten Bürgerinnen und Bürger beteiligen und eigene Vorschläge zum Umgang mit Desinformation formulieren. Durch die Möglichkeit, über Erfahrungen zu sprechen und das zu kommentieren, was andere eingebracht haben, soll das Wissen über Desinformation wachsen. (Die Bertelsmann Stiftung engagiert sich auch in weiteren Projekten zur Stärkung der Demokratie, hierzu zählt etwa „New Democracy“.)
Die Amadeu-Antonio-Stiftung, gegründet 1998, will mit ihrer Arbeit eine demokratische Zivilgesellschaft stärken, die sich „konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet“, und unterstützt „Initiativen und Projekte, die sich kontinuierlich für eine demokratische Kultur engagieren und für den Schutz von Minderheiten eintreten“ (aus Über uns), etwa in den Themenbereichen Demokratisch handeln oder Hate Speech, letzteres zur Förderung einer demokratische Debattenkultur in der digitalen Welt.
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat „Desinformation“ eine ausführliche Themenseite gewidmet. Darin finden sich zahlreiche Beiträge, die mithilfe unterschiedlicher Medien die Themen Fake News, Verschwörungsideologien, Alternative Fakten, Wahlen, Bots, Big Data, Wahrheit & Lüge sowie Stimmungsmache bearbeiten.
In der JIM-Studie 2023 wurden die Erfahrungen der jungen Generation (zwischen 12 und 19 Jahren) mit Desinformation und anderen problematischen Inhalten im Netz untersucht. 58 Prozent der befragten Jugendlichen haben Fake News wahrgenommen, 51 Prozent beleidigende Kommentare, 42 Prozent extreme politische Ansichten, 40 Prozent Verschwörungserzählungen und 39 Prozent Hassbotschaften (aus der JIM-Studie 2023, S. 52, PDF).
Die aufgeführten Erkenntnisse und Beispiele verdeutlichen, dass Desinformation und Verschwörungserzählungen als problematisch für den öffentlichen Diskurs und die Meinungsbildung erkannt werden. Gegensteuern können in erster Linie diejenigen, deren Aufgabe es schon immer war, mit verlässlich recherchierten Fakten zur Informationsversorgung beizutragen – um auf diese Weise eine fundierte Meinungsbildung überhaupt zu ermöglichen. Dies bedeutet allerdings auch, dass insbesondere die Verantwortung von Journalistinnen und Journalisten, aber auch von anderen Initiativen und Einrichtungen, qualitativ hochwertige Beiträge zu Aufklärung und Debatte zu leisten, hoch ist. Wie Themen recherchiert und aufbereitet werden, über welche Kanäle man diese verbreitet und auch wie verständlich und gut zugänglich die Informationen sind, sind wichtige Faktoren zur Unterstützung einer demokratischen Gesellschaft – damit es gelingt, ein sichtbares Gegengewicht zu Populisten und Verschwörungserzählern zu erhalten und zu verstärken. In weiteren Artikeln des Grimme Lab werden wir uns mit diesen Aufgaben und Arbeiten von Medienschaffenden vertieft befassen.