„Ein Teil der Mitte der Gesellschaft distanziert sich von der Demokratie. Extrem rechte Narrative über die multiplen Krisen, vermeintliche Erklärungen und vereinfachende Lösungen dringen immer weiter in die Mitte vor, ihre Abgrenzung nach rechts wird durchlässig und der Graubereich der »teils/teils«-Antworten zu antidemokratischen Einstellungen wächst weiter. Dabei hat die Mitte – haben Menschen und politische Gruppen, die für sich in Anspruch nehmen, die Mitte zu vertreten – eine hohe Verantwortung für den Fortbestand der Demokratie.“
Studie: Die distanzierte Mitte – Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23
Es scheint, dass eine Orientierung in Krisenzeiten immer mehr Menschen schwer fällt und gleichzeitig der Wunsch nach einfachen Lösungen und klaren Handlungsanweisungen immer größer wird. Wir leben zwar in einer Zeit, in der Informationen und Daten in großen Mengen verfügbar sind, jedoch erfordert die Komplexität vieler aktueller Fragen und Probleme eine professionelle Sichtung sowie eine Bewertung von Informationsquellen als seriös oder unseriös. Journalistinnen und Journalisten sind dabei wichtige Schnittstellen, sie haben Zugriff auf große Datenmengen, haben technische Auswertungsinstrumente an der Hand und können interdisziplinär Inhalte aufarbeiten und tagesaktuell Informationen an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergeben.
Weitere Informationen hierzu in der Rangliste der Pressefreiheit 2023 / Reporter ohne Grenzen.
Damit dies seriös und ausgewogen funktioniert, bedarf es einer unabhängigen Presse, die ungehindert arbeiten kann und die auf der anderen Seite das Vertrauen der Bevölkerung genießt. Beides keine Selbstverständlichkeiten, wie ein Blick in manche Länder zeigt, deren Demokratie und damit einhergehend der Zustand der Pressefreiheit in Gefahr sind:
„Der Zustand der Demokratie auf der Welt hat sich einer aktuellen Studie zufolge verschlechtert. „Das zunehmende Auftreten gewaltsamer Konflikte hat den globalen Demokratiewert stark beeinträchtigt“, teilte die „Economist Intelligence Unit“ (EIU) der britischen Economist-Gruppe mit. Zwar lebt fast die Hälfte der Weltbevölkerung (45,7 Prozent) in einer Form der Demokratie, wie aus dem EIU-Demokratie-Index hervorgeht. Jedoch befinden sich davon nur 7,8 Prozent in einer „vollständigen Demokratie“, deutlich mehr als ein Drittel (39,4 Prozent) hingegen unter autoritärer Herrschaft.“
tagesschau.de
Mit dem Vertrauen in Medien möchten wir uns in einem der kommenden Beiträge näher beschäftigen. In diesem Beitrag geht es uns um die Verfügbarkeit und Komplexität von Datenmaterial als wichtige Komponente für eine demokratische Gesellschaft. Denn Fakten und gut recherchierte journalistische Beiträge helfen gegen Verschwörungserzählungen und rechte Narrative, um eben der oben genannten Gefahr der „distanzierten Mitte“ entgegen zutreten.
Wie komplex die Arbeit mit umfangreichem Datenmaterial ist, erklärt der SWR Datenjournalist Johannes Schmid-Johannsen in einem kurzen Video mit dem Titel „So arbeiten SWR Datenjournalisten“.
Ein Beispiel für die Bedeutung einer genauen Auswertung von Daten für das Verstehen von politischen Geschehnissen ist die Analyse des Ausgangs der diesjährigen Landratswahl im Saale-Orla-Kreis in Thüringen. Nur sehr knapp konnte sich hier in einer Stichwahl der CDU-Kandidat gegen seinen Konkurrenten der AfD durchsetzen – und ein genauer Blick in die Wahldaten offenbart, dass keineswegs die aktuellen Skandale rund um die AfD einen Teil ihrer Wähler umstimmen, sondern nur ein Zusammenschluss der demokratischen Wählerinnen und Wähler größeres Unheil verhindern konnte. Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat auf der Grundlage einer Analyse des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) die Abläufe ausgewertet und mithilfe eines Beitrags auf der eigenen Website öffentlich gemacht.
Die professionelle Aufbereitung von Datenmaterial ist somit sicherlich ein wesentlicher Bestandteil des Zugangs zu Informationen komplexer Vorgänge. Ein weiterer entscheidender Faktor ist jedoch auch der Zugang zu Daten und Informationen auch außerhalb der Wissenschaft und des Journalismus. Um sich selbst ein Bild machen zu können, um für die Schule, die Universität oder auch im Privaten recherchieren zu können, ist ein Zugang zu Daten wichtig. Denn die Redewendung „Wissen ist Macht, nichts wissen macht nichts.“ trifft sicherlich nicht zu.
Die Initiative „Ourworldindata“ weist jedoch auf Probleme bei der Nutzung und den Zugang von Datenmaterial hin:
„Das wichtige Wissen ist oft in unzugänglichen Datenbanken gespeichert, hinter Bezahlschranken verschlossen und in wissenschaftlichen Arbeiten unter Jargon begraben.“
Über uns – Unsere Welt in Daten (ourworldindata.org)
Mit ihrer Arbeit will die Initiative hier entgegenwirken und schreibt:
„Wir glauben, dass einer der Hauptgründe dafür, dass wir nicht die Fortschritte erzielen, zu denen wir fähig sind, darin besteht, dass wir diese vorhandenen Forschungsergebnisse und Daten nicht ausreichend nutzen: Das wichtige Wissen wird oft in unzugänglichen Datenbanken gespeichert, hinter Paywalls verschlossen und unter Fachjargon begraben in wissenschaftlichen Arbeiten.
https://ourworldindata.org/about
Ziel unserer Arbeit ist es, das Wissen über die großen Probleme zugänglich und verständlich zu machen. Wie wir auf unserer Homepage sagen , besteht die Mission von Our World in Data darin, „Forschung und Daten zu veröffentlichen, um Fortschritte bei der Bewältigung der größten Probleme der Welt zu erzielen“.“
Auf der Plattform der Initiative findet sich umfangreiches Datenmaterial zu verschiedenen Themen, das entweder selbst in Form von Diagrammen verarbeitet wurde, oder aber inklusive Quellenangaben zitiert wird. Nutzerinnen und Nutzern können in dem umfangeichen Datenpool recherchieren oder auch Diagramme unter Beachtung der jeweils angegebenen Urheberrechte für eigene Veröffentlichungen nutzen. Im Folgenden finden Sie hierzu ein beispielhaftes Diagramm:
Ausgewiesene Datenjournalismus-Teams findet man inzwischen in zahleichen Redaktionen in On- und Offline-Medien. Hier folgen einige Informationen und Anbieter aus dem Bereich des Datenjournalismus der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) :
Der Bayrische Rundfunk (BR) beschreibt Datenjournalismus so:
„Datenjournalismus macht sich technisches Wissen und Rechnerleistung zunutze, um Erkenntnisse und meist exklusive Geschichten aus Datenmengen zu gewinnen. Dahinter verbirgt sich ein Prozess, der sich von der Datenrecherche über deren Aufbereitung und Analyse bis hin zur Veröffentlichung zieht und journalistisches Know-How mit dem von Programmierern und Designern verknüpft.“
BR DataJournalismus mit Daten und Code
Zudem gibt der BR Einblick in die Abläufe der datenjournalistischen Arbeit am Beispiel einer Wahlanalyse. Übrigens: BR Data wurde 2017 für den Grimme-Online-Award für das Webspecial „Doping als Lifestyle: Die Männerdroge Testosteron“ nominiert. Weitere Informationen sowie ein Bericht über gelungene Data-Projekte des BR finden sich im XPLR:Media.
Der SWR initiierte 2023 ein Data Lab, dessen Leitung bei Elisa Harlan liegt, die 2019 gemeinsam mit weiteren Journalistinnen und Journalisten für die interaktive Recherche „Wem gehört Hamburg“ den Grimme Online Award erhielt:
Klimawandel, Digitalisierung, Migration, Künstliche Intelligenz – die Themen unserer Zeit werden immer komplexer, die Informationsflut immer größer. Mit dem „SWR Data Lab“ stellt der SWR den Datenjournalismus neu auf und geht einen innovativen Weg im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Data Lab
Denn:
„Mit dem Data Lab stärkt der SWR Qualitätsjournalismus. Exzellente datenbasierte Recherchen liefern klare und nachvollziehbare Informationen – das schafft Vertrauen. Datenjournalismus ist deshalb für uns als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt unverzichtbar“, so SWR Intendant Kai Gniffke.
SWR baut Data Lab für tiefgründigen Datenjournalismus auf / PM, 15.06.2023
Mit MDR-Data hat auch der Mitteldeutsche Rundfunk eine Abteilung, die sich die Auswertung und Veröffentlichung von datengestützten Materialien zu verschiedenen Themen zum Ziel gesetzt hat und schreibt dazu:
„MDR Data – ein kleines, aber wachsendes Team aus Journalisten, Programmierern und Grafikern – will mit ressortübergreifenden Recherchen von Wirtschaft über Politik und Gesellschaft bis hin zu Unterhaltung und Sport die Berichterstattung des MDR – fakten- und datenbasiert – bereichern und vertiefen.“
Fragen und Antworten zu Datenjournalismus im MDR
Einen anderen Zugang / eine andere Umsetzung von Datenmaterial vollzieht Christian Basl / WDR. Unter dem Begriff Sonifikation vertont er große Datenmengen. Im Podcast von Deutschlandfunk Kultur spricht er unter dem Titel „Sonifikation – Wie klingt Datenjournalismus?“ darüber. Christian Basl ist Teil des WDR-Teams von WDR Investigativ, welches regelmäßig mithilfe der Auswertung von Datenmaterial Themen aufbereitet.
Zudem gibt es immer wieder Kooperationsprojekte der Sender, wie etwa das Projekt „#Hassmaschine“, welches aufzeigt, wie Facebook beim Hass im Netz versagt, es entstand in Kooperation des BR, NDR und WDR im Juni 2020.
Zusammenfassend, jedoch sicherlich nicht abschließend, kann man sagen, dass empirisch erhobenes Datenmaterial für das Verständnis der Welt eine entscheidende Rolle spielt. Wichtig für eine gelingende Aufklärung und Orientierung in komplexen Fragen der heutigen Zeit sind jedoch auch immer eine professionelle und unabhängige Aufbereitung desselben in Form eines qualitativ hochwertigen Datenjournalismus sowie der Zugriff auf Datenmengen auch außerhalb des Journalismus und der Wissenschaft.