1. Bitte stellen Sie sich und die RTL Journalistenschule vor.
Die RTL Journalistenschule bildete seit 2001 alle zwei Jahre einen Jahrgang von 30 Journalistenschüler:innen aus. 2023 wurde auf die jährliche Ausbildung eines Jahrgangs von 18 Journalistenschüler:innen umgestellt. Zu Beginn der zweijährigen Ausbildung vermittelt ein mehrmonatiger Grundkurs die allgemein journalistische sowie die fernseh- und onlinejournalistische Theorie und Praxis. In drei weiteren Unterrichtsphasen werden mehrere Vertiefungsworkshops zur fernsehjournalistischen Praxis sowie zu aktuellen Herausforderungen des digitalen Journalismus durchgeführt. Die Dozenten sind Praktiker und Experten der RTL Deutschland, von anderen TV-Sendern und Redaktionen sowie freie Journalisten und Trainer. Eine dreitägige europapolitische Exkursion nach Brüssel, ein eineinhalbwöchiges Programm in Washington D.C. und New York sowie eine dreitägige Exkursion nach Berlin ergänzen das Curriculum. 1 ½ Jahre verbringen die Journalistenschüler:innen in Praxisstationen innerhalb und außerhalb der RTL Deutschland. In diesen Redaktionen werden sie als Volontäre oder Jungredakteure eingesetzt.
Zusätzlich bietet die RTL Journalistenschule Seminare zur journalistischen Weiterbildung an, die sich an Mitarbeitende innerhalb und außerhalb der RTL Gruppe richten.
Die Gesellschafter sind die RTL Television GmbH (90%) und die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (10%).
Leonhard Ottinger, geboren 1964. Diplom-Pädagoge. Seit 2000 Geschäftsführer der RTL Journalistenschule in Köln.
Nach dem Studium der Medienpädagogik und Erwachsenenbildung an der Universität Bonn Seminarleiter im Bereich der beruflichen Weiterbildung. Von 1994 bis 2000 Projektleiter der Bertelsmann Stiftung verantwortlich für Konzeption und Organisation der Fortbildungsprojekte im Bereich Medien.
2. Was macht für Sie ein guter Wissenschaftsjournalismus aus?
Wissenschaftsjournalismus muss Wissen und Erklärung liefern, muss wissenschaftliche Erkenntnis in Handlungskompetenz und Alltagsrelevanz für Leser:innen, Hörer:innen, Zuschauer:innen, User:innen umsetzen und übersetzen.
Wissenschaftsjournalismus muss Wissenschaft und Forschung erklärend und kritisch begleiten. Wissenschaftsjournalismus erzählt spannende Geschichten über Entdeckungen, neue Erkenntnisse und über Forschungserfolge und -misserfolge. Er hinterfragt Zweck und Wirkung, Zielsetzungen und Methoden von Forschung.
Wissenschaftsjournalismus betrachtet die politischen und wirtschaftliche Bedingungen von Wissenschaft und Forschung, deckt Hintergründe und Zusammenhänge auf und fragt nach Interessenslagen.
Wissenschaftsjournalismus schaut nicht nur auf Naturwissenschaft, Medizin und Technik, sondern nimmt sich auch der Geistes- und Sozialwissenschaften an.
3. Welche Inhalte, Seminare, Projekte gibt es im Themenbereich des Wissenschaftsjournalismus in Ihrer Institution? Was sind die Besonderheiten?
Im zweiten Ausbildungsjahr steht seit einigen Jahren ein zweiwöchiger Kurs „Magazin- und Ressortjournalismus“ auf dem Lehrplan. Hier wird zum einen das Handwerk zur Erstellung längerer TV-Magazinbeiträge vermittelt und zum anderen ein Einblick in die Berichtsgebiete „Service- und Verbraucherberichterstattung“, „Wissenschaftsjournalismus“ und „VIP-Berichterstattung“ geliefert.
Den Theorieteil des Bereichs Wissenschaftsjournalismus übernehmen zum einen Volker Stollorz, der Geschäftsführer des Science Media Center in Köln, mit einer Einheit zu Recherche, Expertensuche und Studienbewertung im Wissenschaftsjournalismus. Am Beispiel der Medizin- und Klimaberichterstattung erarbeiten erfahrene Redakteure der RTL News die Besonderheiten der Produktion von Wissenschaftsbeiträgen. Im Praxisteil erstellen die Journalistenschüler:innen unter Anleitung einen eigenen Wissenschaftsbeitrag.
Anlässlich des „Tag der Neugier 2019“ (ein Tag der offenen Tür) des Forschungszentrum Jülich führte die RTL Journalistenschule mit Förderung des Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien NRW ein Sonderprojekt durch. An einem einwöchigen Workshop nahmen Volontäre einiger nordrhein-westfälischer Zeitungsverlage teil. Der Workshop kombinierte wissenschaftsjournalistische Einheiten mit Praxiselementen aus dem Bereich Mobile Reporting. Aufgabe war es, sich mit den Wissenschaftsthemen des Forschungszentrums auseinanderzusetzen, die Vorbereitung des Tags der Neugier vorzustellen und am eigentlichen Event über Experimente und Forschungsvorhaben – z. T. live – für Social Media zu berichten.
Zwischen 2009 und 2013 kooperierte die RTL Journalistenschule mit der damaligen „Initiative Wissenschaftsjournalismus“, die seinerzeit an der TU Dortmund angesiedelt war. Hierbei ging es um die Besonderheiten des Wissenschaftsjournalismus im TV bzw. Webvideo. In einem dreitägigen Seminar wurden vor allem Themen wie Storytelling mit Bewegtbild, Visualisierung und Infografik sowie wissenschaftsjournalistische Recherche behandelt.
4. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie für den Wissenschaftsjournalismus, gerade mit Blick auf die Corona-Pandemie und den Klimawandel? Haben diese Themen mittel- oder langfristige Auswirkungen auf den Wissenschaftsjournalismus bzw. auf die Qualifizierung angehender Wissenschaftsjournalist(inn)en?
Die Corona-Pandemie und die Debatte um den Klimawandel haben eine Entwicklung innerhalb des Wissenschaftsjournalismus beschleunigt. Wissenschaftsjournalismus findet nicht mehr nur in Wissens- oder Wissenschaftsressorts oder Special-Interest-Formaten statt, sondern hat seinen Weg in andere Ressorts wie Politik oder Gesellschaft und die Tagesaktualität gefunden.
Besonders in der COVID-Berichterstattung musste Wissenschaftsberichterstattung sozusagen als Echtzeitinformation erfolgen. Das Publikum erwartete schnelle und kurzfristige Information und Einordnung der neuesten medizinischen, virologischen sowie gesundheitspolitischen Entwicklungen. Damit gingen erhöhte Anforderungen an Recherche, Faktencheck und Reaktionszeit einher.
Auch die künftigen Themen wie Energieversorgung, Mobilität, Gesundheit, Technologie (Stichwort Künstliche Intelligenz) werden diesen Trend fortsetzen. Die hier zugrunde liegenden Erkenntnisse, Studien und wissenschaftlichen Empfehlungen und Diskussionen erfordern eine stärkere wissenschaftsjournalistische Begleitung.
Wie in allen journalistischen Genres müssen abseits von Print, TV und Radio, Webseiten auch hier geeignete Plattformen und Formate entwickelt werden, um die User:innen auf Social Media und digitalen Plattformen adäquat zu erreichen.
Wissenschaftsjournalistische Qualifikation muss die fortschreitende Ausdifferenzierung publizistischer Plattformen, die technologischen Entwicklung des journalistischen Handwerks (z. B. Datenjournalismus, Künstliche Intelligenz) und die immer wichtiger werdende Auseinandersetzung mit Desinformation aufgreifen. Hier unterscheidet sie sich nicht von den generellen Herausforderungen künftiger journalistischer Aus- und Weiterbildung.
Der wachsende Einfluss von Wissenschaft, wissenschaftlicher Debatte und Wissenschaftsberichterstattung auf Politik und Gesellschaft betrifft die Journalistenausbildung generell, nicht nur die Ausbildung von Wissenschaftsjournalisten. Angehende Journalisten sollten genreübergreifend für eine verständliche Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse und für eine kritische Begleitung dieser wissenschaftlichen Prozesse sensibilisiert werden. Es sollte entsprechendes Know-how vermittelt werden, um diese Debatten professionell und faktenbasiert mitführen zu können.