Wir haben für diesen Artikel einige Projekte zum Datenjournalismus zusammengestellt. Diese vermitteln nur zu einem geringeren Teil wissenschaftliche Erkenntnisse im engeren Sinne, sondern befassen sich mit allgemeinerer oder speziellerer Aufbereitung von Daten, um ein Bild von Vermögensverhältnissen, Vorratsdatenspeicherung, Umweltdaten, politischen Verhältnissen, kommunalen Zahlen etc. etc. zu zeichnen.
Der Kontext zu unserem Thema „Wissenschaft & Medien“ ist mithilfe von Beispielen, die sich etwa mit der Corona-Pandemie befassen (und die wir ebenfalls beschreiben), selbstverständlich sehr viel schneller hergestellt. Denn gerade während der Pandemie waren verständlich aufbereitete Artikel zum Geschehen, zur Entwicklung, zu Erkrankungen, Maßnahmen, Impfstoffen und vielem anderen mehr von hoher Relevanz: Und die journalistischen Beiträge, die Dinge wie Ausbreitung des Virus, lokale Inzidenzen, Fortschritt bei den Impfungen grafisch aufbereitet anboten, basierten auf der Methode des Datenjournalismus.
Einige Elemente des Corona-Dashboard sind derzeit noch online und werden weiterhin gepflegt, etwa zu den „Fallzahlen in Deutschland“.
So etwa bei der ZEIT, die während der Pandemie (bis Ende Januar 2023) das Corona-Dashboard anbot:
„… auf der Startseite von ZEIT ONLINE gibt es seit dem 26. Februar 2020 ein festes Element: das Corona-Dashboard, auf dem sich Inzidenzen, Todesfälle, Krankenhausbelegungen und Impfquoten aus Deutschland und der Welt ablesen lassen. Ein großes Team und eine aufwendige Infrastruktur sorgen dafür, dass die Zahlen stets aktuell sind. Noch bis Mitte vergangenen Jahres hatten wir die Daten rund um die Uhr aus den Landkreisen selbst recherchiert.“ (Quelle: Fragen der Zeit – Einblicke in die Arbeit der Redaktionen)
Während der Pandemie hatten (und haben) viele Online-Medien einen täglich aktualisierten Datenmonitor in ihr Angebot aufgenommen; zum Beispiel auf der Seite der Tagesschau gibt es im März 2023 noch die „Situation in Deutschland“.
Ein gutes Beispiel für einen „Alltagsbegleiter“ ist etwa der „Energiemonitor“ von ZEIT online.
Aber auch die anderen in unserem Beitrag genannten Arbeiten (die selbstverständlich nur äußerst ausschnitthaft für die Fülle guter Datenprojekte stehen, die uns mittlerweile in unserem gesellschaftlichen Alltag begleiten) sind gute Beispiele dafür, wie relevant, interessant und auch notwendig die „Übersetzung“ von Daten für eine aufgeklärte Leserschaft ist, die gesellschaftliche Prozesse verstehen und einordnen können möchte. Und auch ein Beispiel dafür, wie journalistisches Arbeiten sich weiterentwickelt, um Orientierung in einer so komplex gewordenen Welt anbieten zu können.
Denn: „Was auf den ersten Blick vielfach aber verspielt und oftmals auch bunt wirkt, hat dennoch mit wissenschaftlicher Arbeit und Recherche zu tun.“
(Quelle: Freetech Academy)
Was & warum
Über Datenjournalismus als journalistische Methode wird bereits seit geraumer Zeit gesprochen. Für eine kleine Einführung verweisen wir wieder einmal auf einen entsprechenden Wikipedia-Artikel. In diesem heißt es:
„Gemäß der Open-Data-Idee bedeutet Datenjournalismus nicht nur die Recherche in Datenbanken, sondern die Sammlung, Aufbereitung, Analyse und Publikation öffentlich zugänglicher Informationen sowie ihre Verarbeitung in klassischen journalistischen Darstellungsformen.“
Sowohl im englischen wie im auch im deutschen Wikipedia-Eintrag zum Datenjournalismus wird ein Zusammenhang zu verschiedenen Wikileaks hergestellt, deren Daten von unterschiedlichen Zeitungen, manchmal in Kooperation, bearbeitet und veröffentlicht wurden.
Hier erläuterte der Guardian selbst das Prinzip des Datenjournalismus und die eigene Vorgehensweise.
Wikipedia nennt den britischen Guardian als die Zeitung, die im Jahr 2009 den Begriff „Data Driven Journalism für die Kombination aus Recherche-Ansatz und neuer Veröffentlichungsform“ prägte und eine Vorreiterrolle einnahm, in dem „maschinenlesbare Informationen per Software miteinander verknüpft und analysiert [werden]. Das Ergebnis dient als Basis für interaktive Visualisierungen. Diese Visualisierungen werden mit dem Datensatz und Erläuterungen zum Kontext publiziert sowie mit Text, Audio oder Video kommentiert“. Bei Wikipedia werden darüber hinaus einige Datenjournalismus-Portale aufgezählt; für Deutschland sind dies etwa Angebote von „Spiegel“, „Berliner Morgenpost“ und „Zeit“ (Data Blog; gepflegt bis 2018).
Für Kinder wird „Datenjournalismus“ von alpha lernen erklärt. Im Beitrag „Was ist Datenjournalismus?“ (aus der Reihe einfach erklärt | So geht MEDIEN | alpha Lernen) wird die Methode altersgerecht vorgestellt.
In verschiedenen Beiträgen und Gesprächsrunden wurden die Relevanz von Datenjournalismus immer wieder diskutiert und beispielhafte Arbeiten vorgestellt. Hier eine nur kleine (und thematisch unsortierte) Auswahl:
In einem sechsminütigen Video hat die bpb im Jahr 2014 „hinter die Kulissen der Zeit Online Redaktion“ geblickt, genauer: mit den „Gründungsmitgliedern des brandneuen Ressorts Daten / Investigativjournalismus“ gesprochen.
Im Glossar-Eintrag der Bundeszentrale für politische Bildung wird die Methode des Datenjournalismus ebenfalls erläutert. Dort sind darüber hinaus einige Beiträge verlinkt, in denen sich die Verfasser – im Jahr 2011 – zu Datenjournalismus äußern: Markus Beckedahl von Netzpolitik.org (Beitrag in „Datenjournalist“) und der Journalist Lorenz Matzat (Beitrag für die bpb), unter anderem Mitgründer von AlgorithmWatch (der lange Jahre auch in seinem Blog „Datenjournalist“ zum Thema veröffentlichte und einordnete).
- Im November 2011 befasste sich der Beitrag „Recherche: Datenjournalismus“ des Medienmagazins ZAPP mit der damals in Deutschland relativ neuen Form des journalistischen Umgangs mit Daten. Zu Wort kamen unter anderem die Datenjournalist(inn)en Lorenz Matzat und Christine Elmer. „Rohdaten sind die Grundlage für den Datenjournalismus. Mit ihm können sich Journalisten auf eigene Berechnungen stützen, anstatt auf fremde Interpretation angewiesen zu sein. Sie sind unabhängiger in der Recherche und in der Auswertung“, hieß es im Beitrag, in dem ebenfalls noch einmal auf den britischen „Guardian“ und sein zu den ersten zählendes Datenprojekt „War Diaries“ verwiesen wurde – wie auch auf den Kontext zu Informationsfreiheitsgesetzen und Open Data, welche für den notwendigen Zugang zu erforderlichen Daten essentiell sind. (Der Beitrag ist in ARD-Angeboten nicht mehr zu finden, deshalb folgt an dieser Stelle ein Hinweis auf den YouTube-Kanal von Netzpolitik.org, in dem er damals ebenfalls veröffentlicht wurde.)
- Für quergewebt, den Blog des Grimme Online Award, erläuterte die Medienjournalistin Ulrike Langer die Möglichkeiten der publizistischen Aufbereitung von Daten im Mai 2012.
- Im November 2012 wurden die Möglichkeiten des Datenjournalismus, „der zurzeit vor allem in den USA und Großbritannien als sogenannter Data-Driven Journalism die Online-Welt erobert“, auf dem von der Landesanstalt für Medien unterstützten Trendforum TV der RTL Journalistenschule erörtert.
- Bei flutertv wurde im Jahr 2013 ein Interview mit den Datenjournalisten Lorenz Matzat und Sascha Venohr veröffentlicht. (fluter ist das Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung.)
- Im Sommer 2014 veröffentlichte das Netzwerk Recherche eine ganze Porträtreihe von Datenjournalistinnen und -journalisten – aus Deutschland, aber auch aus Großbritannien, den USA oder Chile.
- Um ein Projekt zweier Forscher und zweier Redakteure des „Standard“ / Wien ging es bei der Langen Nacht der Wissenschaften am HIIG, 2016. Im Vortrag „Wissenschaft und Datenjournalismus: Eine Kartographie des neuen Extremismus in Europa“ stellte Julian Ausserhofer vor, wie die Online-Kommunikation von rechtspopulistischen Bewegungen analysiert wurde. In diesem Vortrag erläuterte er auch die Methode des Datenjournalismus und die Gründe der Zusammenarbeit mit dem „Standard“ (ab Minute 7:31). Und ein ausführlicher Beitrag beim „Standard“ bildet die Ergebnisse der Kooperation aus journalistischer Perspektive ab.
- Auf der re:publica 2017 hieß es „Schöner Schein oder tiefgreifende Erkenntnisse? – Datenjournalismus im redaktionellen Alltag“.
- Im Rahmen der „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz von Netzpolitik.org (September 2017) war Michael Kreil Speaker für die Session „Datenjournalismus für die Informationsgesellschaft“. Im begleitenden Interview sprach er unter anderem darüber, „welche Themen sich besonders gut mit datenjournalistische Methoden aufbereiten lassen“.
- „Storytelling: ‚Der Datenjournalismus ist im Alltag angekommen‘“ schreibt Sascha Venohr (Head of Data Journalism bei „ZEIT Online“, Februar 2019) in der Publikation „Fachjournalist“.
- Die Frage „Der Daten-Bias – Brauchen wir mehr Diversität im Datenjournalismus?“ wurde während eines Panels im Rahmen der nr19, der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche, im Jahr 2019 diskutiert.
- Um „Datenjournalismus zur Corona-Krise“ ging es in diesem Beitrag bei den Medientagen München 2020. Vanessa Wormer, Teamleiterin Daten und digitale Investigation bei der Süddeutschen Zeitung, stellte vor, wie Medien mithilfe von Datenjournalismus die Entwicklung der Pandemie abbilden.
Beim Verein Netzwerk Recherche gibt es eine Fachgruppe Datenjournalismus. Im Jahresbericht 2021 des Vereins heißt es:
„Auch im zweiten Jahr der Covid-Pandemie war diese noch immer das dominierende Thema in den datenjournalistischen Teams, Routinen ließen sich kaum etablieren. Schließlich mutierte nicht nur das Virus – auch die wesentlichen Indikatoren entwickelten sich stetig weiter, ebenso wie Datenquellen und Meldewege. Zum Verständnis der komplexen pandemischen Lage konnten die datenjournalistischen Analysen, Dashboards und Grafiken also weiterhin beitragen.“
(Quelle: Netzwerk Recherche Jahresbericht 2021, S. 20)
Mit dem Berufsfeld von Datenjournalist(inn)en beschäftigt sich die Studie „Datenjournalismus in Deutschland revisited“ (Stefan Weinacht & Ralf Spiller), die als Open Access veröffentlicht wurde.
Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft & Datenredaktionen einmal andersherum – ein Beispiel In einem Blogbeitrag vom 17. Februar 2020 schreiben ZEIT-Redakteurinnen und -Redakteure: „Wie die meisten Redaktionen der Welt hat ZEIT ONLINE täglich mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu tun. Forscher helfen uns mit Fachwissen, sind Interviewpartner, beraten bei schwierigen Recherchen. Eher selten ist der umgekehrte Fall: dass Wissenschaftler unsere journalistischen Recherchen für ihre Forschung verwenden. Genau das ist aber im vergangenen Jahr so häufig geschehen, dass wir Ihnen davon berichten wollen“ und schildern diesen Weg anhand der Datenprojekte „Die Millionen, die gingen“, „Darüber spricht der Bundestag“ [nominiert für einen Grimme Online Award 2020] und „Die neuen Farben Europas“. „Schon während unserer Recherchen dachten wir: Manchmal erinnert unsere Arbeit ein wenig an das, was Wissenschaftler tun. Umso mehr freute es uns, dass uns in den vergangenen Monaten gleich mehrere Forscher kontaktierten, die mit unseren Daten arbeiten wollen. Mittlerweile laufen gleich mehrere Kooperationen mit Universitäten, etwa mit Harvard und Stanford in den USA und Oxford in Großbritannien.“ Zu ihrer Arbeit mit Daten schreiben sie: „Noch vor wenigen Jahren wären solche aufwendigen Datenrecherchen in der Redaktion von ZEIT ONLINE kaum denkbar gewesen. Heute arbeiten wir regelmäßig in interdisziplinären Teams aus Journalisten, Entwicklern und Designern an umfangreichen Datensätzen. Wir bereinigen sie, analysieren sie, suchen nach interessanten Mustern. Manchmal dauert es Monate, bis aus der Kleinstarbeit ein Artikel entsteht, den Sie dann auf ZEIT ONLINE lesen können.“ (Quelle: Blogbeitrag „Wie ZEIT ONLINE Wissenschaftler bei ihrer Forschung unterstützt“, 17. Februar 2020) Ein weiteres Beispiel für Daten, die Dritten zur Weiternutzung angeboten werden ist etwa der NDR: Auf der Seite von NDR Data werden nicht nur die Artikel der Datenjournalist(inn)en tagesaktuell aufgelistet; es finden sich auch dort Verweise auf „aktuelle und historische Daten zur Corona-Pandemie“, die anderen auf GitHub zur Verfügung stehen. |
Aus- und Weiterbildung
Mittlerweile haben Universitäten, Journalistenschulen und journalistische Weiterbildungseinrichtungen Angebote zum Datenjournalismus im Programm und verweisen auf die heutige Relevanz: Neben der oben bereits zitierten FreeTech Academy haben zum Beispiel auch die Berliner Journalistenschule, die Deutsche Journalistenschule oder ProContent und die Leipzig School of Media (und selbstverständlich andere mehr) entsprechende Seminare in ihr Programm aufgenommen. Letztere erläutert Prinzip & Wichtigkeit dieser journalistischen Methode in einem Seminarhinweis aus dem Jahr 2022:
„Bei der unüberschaubaren Masse an weltweit verfügbaren Daten fungieren Journalist:innen auch heute noch als wichtigste Gatekeeper. Sie entschieden, welche Daten und Informationen der Gesellschaft präsentiert werden. Anders als in der Wissenschaft, sind die Quellen und Methoden im Journalismus nicht immer nachvollziehbar – der dauerhafte Aufbau von Glaubwürdigkeit ist jedoch unumgänglich. Das verfügbar machen von Originaldaten schafft Vertrauen und macht Informationen prüfbar.“
(Quelle: Leipzig School of Media)
Am Institut für Journalistik (TU Dortmund) kann man Studienschwerpunkte auf Wissenschafts-, Technik- und Datenjournalismus setzen. Bei letzterem heißt es unter der Überschrift „Gefragte Daten-Kompetenz“:
„Wer journalistisch recherchiert, begegnet ihnen immer häufiger: großen Datensätzen, die zu relevanten Storys führen können. Dahinter verbergen sich mitunter offizielle Statistiken, aber auch Geodaten, sensible Informationen oder investigative Leaks. Um sicher mit derartigen Quellen umgehen zu können, brauchen Journalist:innen Kompetenzen, die über die herkömmliche Recherche hinausgehen. Sie müssen Daten kritisch hinterfragen, analysieren und stimmig visualisieren können.“
(Quelle: Institut für Journalistik, „Zweitfach Datenjournalismus“)
Eine Übersicht zum Studienschwerpunkt Datenjournalismus des Instituts für Journalistik benennt auch diverse Projekte, die Studierende im Rahmen ihrer Ausbildung an der TU Dortmund erarbeitet haben.
Studierende des Instituts für Journalistik gründeten Journocode; dies ist ein Zusammenschluss von Datenjournalist(inn)en, Designer(inne)n, Statistiker(inne)n und Entwickler(inne)n, der „Ressourcen, Aus- und Fortbildungen an der Schnittstelle von Journalismus und Datenwissenschaften“ (Veranstaltungshinweis des Instituts für Journalistik) anbietet. Das Programm vom Campfire-Festival 2017, auf dem Journocode seine Arbeit vorgestellt hat, gibt einen Überblick über all die Aspekte und Fragen, mit denen die Teammitglieder bereits vor mehr als fünf Jahren beschäftigt waren. |
Nominiert & ausgezeichnet beim Grimme Online Award
Zum Grimme Online Award gehört seit jeher die Beobachtung neuer Entwicklungen im Netz. Deshalb ist es wenig erstaunlich, dass bereits 2011 ein datenjournalistisches Projekt ausgezeichnet wurde. Für „Verräterisches Handy: Was Vorratsdaten über uns verraten” hatte der Politiker Malte Spitz sechs Monate lang seine bei einem Telefonanbieter gespeicherten Vorratsdaten „ZEIT ONLINE” zur Verfügung gestellt. Auf ihrer Grundlage konnte eine interaktive Karte entstehen, auf der all seine Aufenthaltsorte, Telefonate und SMS nachvollzogen werden konnten. In Kombination mit frei verfügbaren Inhalten aus dem Netz wie etwa Tweets oder Blogbeiträgen wurde deutlich, „wie leicht sich mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung ein individuelles Profil anlegen lässt”.
In der damaligen Jurybegründung hieß es:
„Die im Zeitraffer dargestellten und aus mehreren Quellen zusammengesetzten Daten eines halben Jahres im Leben des Grünen-Politikers Malte Spitz bieten eine eindrucksvolle Aufarbeitung des aktuell relevanten Themas. Die Interaktion mit den Daten erlaubt eigene Schlüsse, die von einem Artikel auf ‚ZEIT ONLINE‘ begleitet werden. Auch der Download der Daten ist möglich, um eigene Analysen durchführen zu können.
Datenjournalismus ist in Deutschland noch unterentwickelt, und ‚ZEIT ONLINE‘ hat einen ersten, wichtigen Beitrag zur Kultivierung dieses Genres geleistet. Hier entsteht ein neues journalistisches Feld, das so nur im Web möglich ist.”(Quelle: Jurybegründung des Grimme Online Award aus dem Jahr 2011)
2012 und 2013 wurden zwei Daten(journalismus)projekte der Süddeutschen Zeitung für den Grimme Online Award nominiert, der „Zugmonitor” (online nicht mehr verfügbar) und der „Europa-Atlas”. Zu letzterem hieß es, damit „ermöglicht die Süddeutsche Zeitung eine differenzierte Betrachtung und den Vergleich ökonomischer, sozialer und politischer Lebensbedingungen in den verschiedenen europäischen Ländern und Regionen. Im Mittelpunkt steht dabei die Aufarbeitung von mehr als 50 Statistiken in einer interaktiven Karte und einem Liniendiagramm” (aus der Projektbeschreibung des Grimme Online Award 2013).
Bei der Bekanntgabe der Nominierten 2013 und dem anschließenden Werkstattgespräch sagte Stefan Plöchinger, Chefredakteur von Sueddeutsche.de:
„‚Bei unseren Datenprojekten dauert die Umsetzung im Schnitt von einem halben bis zu einem Jahr‘, so Plöchinger. Die provokante Frage von Brigitte Baetz [der Moderatorin], ob denn der ‚Datenjournalismus künftig als Heilmittel des Journalismus‘ gelten könne, lässt Plöchinger offen. ‚Sicher sind nur die vielen Möglichkeiten. Der Europa-Atlas informiert wie nie bisher über Zusammenhänge und liefert noch Hintergrundinformation dazu‘“.
(quergewebt-Blog, Beitrag zur Bekanntgabe der Nominierten 2013)
„M29“ war ein Projekt der Berliner Morgenpost, das immer noch online zu finden ist.
Im Jahr 2015 schrieb die Jury des Grimme Online Award, dass sich Elemente des Datenjournalismus vom „überraschenden Extra zum bewährten Erzähl- und Erklärinstrument“ entwickelt hätten, die nicht mehr allein stünden, „sondern aufregend neu in die Geschichten eingebunden werden und zum Teil die Handlung tragen, wie bei der Geschichte über Berlins Buslinie M29“.
2016 ebenfalls nominiert war das Projekt „Airbnb v. Berlin“ , das nicht mehr aktualisiert wird, online aber noch vorhanden ist.
Nachdem das Interaktiv-Team der Berliner Morgenpost 2015 für einen Grimme Online Award nominiert war, erhielt es im Folgejahr eine Auszeichnung in der Kategorie „Spezial“. Diesen Preis erhielt das Team nicht für ein spezielles Projekt, sondern für die Gesamtleistung:
„Woher kommen die Flüchtlinge? Wie laut ist es vor meiner Haustür? Wie pünktlich ist der Nahverkehr? Alles Fragen, die sich bestens mit interaktiven Grafiken, Karten, Anwendungen oder auch Storytelling-Formaten beantworten lassen.
Das sechsköpfige Interaktiv-Team der Berliner Morgenpost experimentiert mit immer neuen Darstellungs- und Erzählformen. So demonstrieren sie, wie sich auch aus Statistiken und Zahlen Geschichten erzählen und neue Perspektiven auf die Umgebung gewinnen lassen.“
(Quelle: Beschreibung beim Grimme Online Award 2016)
Und bereits im Jahr darauf wurde das Interaktiv-Team erneut nominiert – diesmal für das Datenprojekt „Es war nicht immer der Osten – wo Deutschland rechts wählt“, für das sie in der Kategorie Information für ihre datenjournalistische Analyse rechter Strömungen in den Bundestagswahlen seit 1990 nominiert waren.
Marie-Louise Timcke sprach beim Social Community Day 2017 (zum Thema „Demokratie! Wissen, Handeln, Vielfalt“) über ihre Arbeit beim Interaktiv-Team der Berliner Morgenpost und beschrieb ihre Zielsetzung so: „Wir haben immer das Ziel, dass sowohl Bart Simpson als auch Lisa Simpson alles auf der Seite finden, was sie finden möchten.“ Die Daten sollen also in einfach aufbereiteter Form als auch in einer Langfassung vorliegen – für diejenigen, die mehr wissen wollen. (Quelle: Pressemeldung zum SCD2017) |
2018 war das Special „Straßenbilder“ – wieder einmal von ZEIT online – beim Grimme Online Award nominiert. In der damaligen Projektbeschreibung hieß es:
„In Deutschland gibt es rund eine Million Straßen und Plätze. Ihre Namen spiegeln unsere Geschichte und zeigen, wie die Menschen an einem Ort gelebt haben. ‚Zeit Online‘ hat 450.000 unterschiedliche Namen für das Special ‚Straßenbilder‘ in einer Datenbank gesammelt und ausgewertet. Mit einer interaktiven Datenanalyse werden Geschichten um Namensgeber, über Geschlechterverteilung und regionale Unterschiede erzählt. Es zeigt sich: Straßennamen sind ein Archiv der politischen und gesellschaftlichen Strukturen.“
2019 war dann ein Beitrag der SZ-Datenredaktion unter den Nominierten. Die Fragestellung war, ob sich die Stimmung im Bundestag seit dem Einzug der AfD 2017 geändert hat: „Der Ton ist rauer geworden, unsachlicher und hämischer vielleicht. Ist das Fakt oder eine gefühlte Wahrheit?“, hieß es in der damaligen Projektbeschreibung des Grimme Online Award. Für „Das gespaltene Parlament“ wurden Bundestagsprotokolle ausgewertet und damit nachgewiesen, dass „sich die Debatten im Bundestag tatsächlich geändert haben. Die AutorInnen zählen Lacher und Zwischenrufe, fügen Videos aus den Debatten ein und illustrieren mit leicht verständlichen Grafiken“.
(Quelle der Zitate: Projektbeschreibung beim Grimme Online Award 2019)
In ihrem Workshop beim SCD erläuterten Sabrina Ebitsch und Martina Schories unter anderem die verschiedenen Teilbereiche des Datenjournalismus.
Zwei der Projektbeteiligten, Sabrina Ebitsch und Martina Schories, sprachen im gleichen Jahr beim Social Community Day über ihre Arbeit:
„Zur konstruktiven Rolle von Datenvisualisierung in der Aufklärung sagte Sabrina Ebitsch von der Süddeutschen Zeitung: ‚Wir möchten möglichst viele Leute erreichen – wir wollen gut erklären und gut darstellen. Wir diskutieren zum Beispiel darüber, ob wir einem Leser eine komplexere Grafik zumuten können.‘ In ihrer Arbeit ist auch der Input der Adressaten erwünscht: ‚Die Auseinandersetzung mit dem Leser ist oft anstrengend und schwierig, aber wir haben auch kluge Leser, die wir durchaus als Korrektiv nutzen‘, sagte sie.“
(Aus der Pressemeldung zum Social Community Day 2019)
Mit den Projekten „Wem gehört Hamburg?“, „OpenSCHUFA“ und „Blaue Bücher, rosa Bücher“ wurden 2019 drei weitere datenjournalistische Arbeiten ausgezeichnet bzw. nominiert.
Das Projekt „Warum die Treuhand das Land spaltet“ haben wir ausführlich in unserer Reihe „GOA talks – Der Blick in die Geschichte“ vorgestellt und durch Ausschnitte aus dem damaligen quergewebt-Interview mit einem der Macher ergänzt.
Im Jahr 2020 waren so unterschiedliche Projekte nominiert wie
- „Darüber spricht der Bundestag“, eine interaktive Datenbank, mit der sich herausfinden lässt, „über welche Themen im Lauf der Jahrzehnte besonders viel gesprochen oder wann ein Wort das erste Mal erwähnt wurde“ (Projektbeschreibung beim Grimme Online Award);
- „Anatomie einer Katastrophe“, ein Longread der Süddeutschen Zeitung, der „ausgehend vom Molekül Kohlendioxid die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels zusammen[fasst]. Zahlreiche Grafiken, erschreckende, gegenwärtige Beispiele und Szenarien für unterschiedlich starke Erderwärmung machen das abstrakte Thema begreifbar“ (Projektbeschreibung beim Grimme Online Award) und
- „Warum die Treuhand das Land spaltet“: „Kern des datenjournalistischen Projekts ist eine interaktive Karte mit 5.000 Treuhandunternehmen, die anzeigt, woher die Käufer*innen der Betriebe kamen, wer sie liquidiert hat und was das mit der Stimmung macht. Hierfür wurden Unternehmenslisten der Treuhandanstalt digitalisiert und mit Handelsregisterdaten abgeglichen“ (Projektbeschreibung beim Grimme Online Award).
2021 war dann das erste datenjournalistische Projekt zur Corona-Pandemie unter den Nominierten: „Das Coronavirus in Grafiken, Karten und Illustrationen“ von ZEIT online. „Dort gibt es die aktuell recherchierten Kennzahlen und wissenschaftliche Zusammenhänge werden mit Animationen oder interaktiven Rechnern verständlich aufbereitet. So ist ZEIT ONLINE zu einem täglichen Anlaufpunkt für alles Wissenswerte zur Pandemie geworden“ (Projektbeschreibung beim Grimme Online Award). Ein ausführliches Interview mit dem Teammitglied Julius Tröger kann man im quergewebt-Blog von 2021 nachlesen.
Und 2022 schließlich waren zwei Datenprojekte zum Thema Umwelt & Klimaschutz nominiert.
- „Umwelt in Ostdeutschland“: „Beim interaktiven Dokuprojekt ‚Umwelt in Ostdeutschland‘ des MDR scrollen sich die Nutzer*innen von der Luft durch die Biosphäre bis in den Boden. Die Scroll-Doku zeigt anhand von Statistiken und mit einer interaktiven Karte, was sich seit der Wende verbessert hat, wo die Altlasten noch heute zu spüren sind, und wo neuere Entwicklungen sich nachteilig auf Natur und Artenvielfalt auswirken“ (Projektbeschreibung beim Grimme Online Award).
- „Wir schalten ab, sie heizen hoch“: „Ausgehend von einer Weltkarte zeigt ‚Wir schalten ab, sie heizen hoch‘ von ZEIT ONLINE, wo noch neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Bis hin zu einzelnen Kraftwerken beleuchten Auslandskorrespondent*innen die Lage in verschiedenen Ländern – so wird aufgezeigt, dass es weltweit von schönen Worten fürs Klima bis zu einer tatsächlichen Energiewende noch ein langer Weg ist“ (Projektbeschreibung beim Grimme Online Award).
Datenjournalismus als innovative Methode, die ins Auge sticht und das Besondere betont, gibt es heute nicht mehr in dieser Form – was gut ist: Datenjournalismus hat sich etabliert als Teil von datenbasierter journalistischer Arbeit und hat bei der Leserschaft den Anspruch geweckt, in vielerlei Kontexten einen aktuellen und validen, verlässlichen und optisch ansprechenden Überblick über komplexe(re) Themen und Fragestellungen zu bekommen. Viele der oben aufgeführten Beispiele zeigen, wie und warum.