In Zeiten von alternativen Fakten und Fake News sowie einer nicht enden wollenden Pandemie bekommen qualitativ hochwertiger Wissenschaftsjournalismus und eine verständliche Kommunikation von wissenschaftlichen Erkenntnissen eine immer größere Bedeutung für die gesamte Bevölkerung. Die Übersetzung von Studien- und Forschungsergebnissen in handlungsrelevante Informationen, die auf Pressekonferenzen, in Zeitungsartikeln und in Fernseh- und Onlineproduktionen bekanntgegeben und diskutiert werden, ist aktuell ein täglicher Begleiter in den Medien und wichtiger Orientierungspunkt in einer unsicheren und beängstigenden Zeit.
Der Deutschlandfunk hat sich in einigen Beiträgen mit dem Gespann Medien und Wissenschaft auseinandergesetzt. Zwei wollen wir exemplarisch nennen: Wie steht es um den Wissenschaftsjournalismus? und „False Balance ist der größte Fehler der Journalisten“.
Aber was genau ist Wissenschaftsjournalismus und wie grenzt sich dieser von anderen journalistischen Fachbereichen ab? Und was ist dann Wissenschaftskommunikation? Diesen Fragen wollen wir in unserer Einführung in das neue Dossier „Wissenschaft & Medien“ nachgehen und damit hinleiten auf weitere Beiträge, die sich mit verschiedene Formaten, Personen und Themen in diesen Bereichen auseinandersetzen.
Wissenschaftsjournalismus
Erläuterungen dazu, was unter dem Begriff des Wissenschaftsjournalismus zu verstehen ist, bietet zum Beispiel die Freie Journalistenschule aus Berlin:
„Wissenschaftsjournalismus ist eine Unterform des Journalismus. Wissenschaftsjournalismus dient der Berichterstattung über wissenschaftliche Themen, Neuerungen und Erkenntnisse aus den Bereichen Medizin, Naturwissenschaft, Forschung und Technik sowie Sozial- und Geisteswissenschaft in einer allgemein verständlichen Form.
https://fernstudium-journalismus.de/
Wissenschaftsjournalisten stehen als Vermittler zwischen Wissenschaft und Bevölkerung. Meistens sind Wissenschaftsjournalisten auf ein bestimmtes Themengebiet spezialisiert. Ihre Ausbildung ist eine spezielle Naturwissenschaft. Wer beispielweise über medizinische Themen schreibt, sollte ein Medizinstudium absolviert haben.
Ein Wissenschaftsjournalist ist außerhalb der klassischen Ressorts in dem breiten Bereich ‚Wissen‘ angesiedelt. Er recherchiert wissenschaftliche Erkenntnisse, bereitet sie auf und verdeutlicht die Bedeutsamkeit und das Gewicht dieser Einsichten. Diese Beiträge erscheinen dann in eigenständigen Spartenseiten oder werden an andere Teilgebiete des Mediums weitergeleitet.“
„Der Bachelorstudiengang verknüpft von Anfang an journalistische Kompetenzen (Recherche, Interviewtraining, Lehrredaktionen, Medienrecht, Journalismusforschung, Ethik) mit dem Wissen aus einem Zweitfach. Zur Wahl stehen Medizin & Biowissenschaften, Physik, Technikjournalismus oder Datenjournalismus. Die Studierenden lernen, wissenschaftliche Entwicklungen nicht nur vor ihrem fachlichen, sondern auch vor ihrem strukturell-politischen Hintergrund kompetent einzuschätzen.“
TU Dortmund
Es gibt also einen eigenen Studienzweig für den Bereich des Wissenschaftsjournalismus, welchen man beispielsweise in NRW in Dortmund studieren kann. Die darin enthaltene Verknüpfung vom Studienfach Journalismus mit einem Zweitfach aus den Naturwissenschaften, Technik oder Medizin zeigt bereits den fachlich hohen Anspruch an Medienschaffende, die Wissenschaft journalistisch aufbereiten und vermitteln wollen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsstände zu vermitteln bedeutet besondere Herausforderungen. Das Aufstellen von wissenschaftlichen Hypothesen, deren Verwerfung oder Anpassung aufgrund aktueller Erkenntnisse sind normale wissenschaftliche Vorgänge. Dieses entspricht jedoch nicht dem Anspruch derjenigen Leserinnen und Leser, die sich eindeutige und letztgültige Fakten wünschen und denen die Zurücknahme oder Entwicklung von Erkenntnissen verdächtig erscheint. Die Zunahme an Informationen aus der Wissenschaft aufgrund der Pandemie überfordert in der Folge vielfach, zumal die in den letzten drei Jahren seit Pandemiebeginn enormen Informationsfluten von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Forschungsergebnissen und daraus folgenden Ratschlägen an die Politik und die Gesellschaft häufig auf unsichere Rezipienten trifft, die sich klare Handlungsanweisungen zum Schutz der eigenen Gesundheit wünschen.
Journalistinnen und Journalisten sind stark gefordert, hier aufzuklären, zu vereinfachen und thematisch einzuordnen und sind gleichzeitig, insbesondere seit Beginn der Pandemie, immer wieder Übergriffen – verbalen, aber auch teils gewalttätigen – ausgesetzt. Kürzlich wurde ein Journalist im Rahmen einer Pressekonferenz zum Thema Corona-Auffrischungsimpfung körperlich attackiert. Zahlreiche weitere Übergriffe sind in den letzten Monaten bekannt geworden. In einem Mein Spiegel-Interview – dem Kinder- und Jugendbereich des Magazins Der Spiegel – fasste der Virologe Christian Drosten die Kommunikationsschwierigkeiten folgendermaßen zusammen:
„Dein SPIEGEL: Warum misstrauen manche Menschen der Wissenschaft so sehr?
Mein Spiegel / Juli 2022
Drosten: Na ja, das liegt zum Teil an den Wissenschaftlern selber. Manche reden so, dass die meisten anderen Leute nicht verstehen, worum es geht. Oder sie sagen Sachen, die nicht richtig stimmen. Oder sie widersprechen einander. Dann streiten zwei Forschende, und alle anderen Menschen verstehen nicht, worüber gestritten wird und wer recht hat. Und glauben dann, alles ist Quatsch.“
Virologe Drosten im Kinder-Interview »Ich möchte, dass die Leute die Pandemie besser verstehen«
Es gibt einige prominente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in den Medien regelmäßig über Themen wie Corona-Pandemie und Klimawandel berichten und publizieren:
Dr. Mai Thi Nguyen-Kim im Portrait der RWTH Aachen: „Der Ansatz ‚Alles, was Du brauchst, sind gute Argumente‘ reicht nicht mehr aus,‘ sagt sie.“
2018 erhielt Mai Thi Nguyen-Kim (Wissenschaftsjournalistin & Chemikerin) den Grimme Online Award für ihren YouTube-Kanal „maiLab“. Die Jury begründete die Auszeichnung unter anderem mit den folgenden Worten: „‚maiLab‘ ist cool, lustig und intelligent. Es erreicht seine junge Zielgruppe und verführt sie spielerisch zu dem großen Abenteuer einer wissenschaftlichen Weltsicht, in der empirische Evidenz, intersubjektive Überprüfbarkeit und echte Einsicht an Stelle voreiliger, schneller Schlüsse treten. Für die Jury ein herausragendes Beispiel eines jungen, zeitgemäßen Wissenschaftsjournalismus.“ (Grimme Online Award 2018)
Die Übergänge zwischen Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation sind dabei manchmal fließend und das gilt auch für die Menschen, die in diesem Bereich publizieren, online aktiv sind und medial auftreten. So studierte Ranga Yogeshwar Experimentelle Elementarteilchenphysik und Astrophysik, arbeitete am Schweizer Institut für Nuklearforschung (SIN), am CERN in Genf und am Forschungszentrum Jülich. Die journalistische Laufbahn begann 1983, zunächst bei verschiedenen Verlagen, dann im Bereich Hörfunk und Fernsehen. 1987 wurde er Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk Köln und leitete später das Ressort Wissenschaft. 2003 erhielt Ranga Yogeshwar den Grimme-Preis in der Rubrik Besondere Ehrung des Deutschen Volkshochschul-Verbandes. Er ist unter anderem durch das Format Quarks & Co. bekannt geworden und moderierte zahlreiche andere Sendeformate im ÖRR, wie beispielsweise Kopfball, bis 2018 Quarks, Globus, Die große Show der Naturwunder, W wie Wissen und Wissen vor acht.
Ein weiterer prominenter Vertreter im Bereich der Vermittlung von wissenschaftlichen Themen in den Öffentlich-Rechtlichen Medien ist Harald Lesch – deutscher Astrophysiker, Naturphilosoph, Fernsehmoderator und Hörbuchsprecher. Er ist Professor für Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Lehrbeauftragter für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München. Vielen dürfte er bekannt sein über das wissenschaftsjournalistische Format Terra X.
Und auch für Kinder gibt es diverse Formate, die Wissenschaft aufbereiten und die Welt erklären. Zu nennen sind hier beispielsweisen Pur+, Die Sendung mit der Maus und die Sendereihe Princess of Science.
Wissenschaftskommunikation
Das Informations- und Diskussionsportal wissenschaftskommunikation.de wird gemeinsam von der Organisation Wissenschaft im Dialog (WiD), dem Lehrstuhl von Annette Leßmöllmann am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie vom Nawik umgesetzt. Zielsetzung ist es Themen aufzuarbeiten, die an der Schnittstelle zum Wissenschaftsjournalismus liegen.
Eine eineindeutige Trennung der Begrifflichkeiten Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation ist also nicht so einfach. Ein Blick auf den Themenkreis „Wissenschaft und Medien“ ist aber umso spannender, da die Ausspielmedien und -methoden vielfältig sind und die Themen zwar komplex, aber eben auch äußerst relevant für Expert(inn)en und Bürger(inn)en sind.
Selbstverständlich gab es auch bereits vor der Pandemie die Herausforderungen, wissenschaftliche Erkenntnisse für ein größeres Publikum aufzubereiten. Um die Wissenschaftskommunikation zu unterstützen und zu verbessern, gab und gibt es deshalb Initiativen und Institutionen, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Kommunikation von wissenschaftlichen Themen unterstützen, wie beispielsweise das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (Nawik), dessen Zielgruppen Wissenschaftler/innen, Studierende und Mitarbeiter/innen der Öffentlichkeitsarbeit sind. Das Nawik formuliert den Bedarf an wissenschaftlicher Kommunikation wie folgt: „Wissenschaft ist ein wichtiger Teil unserer Kultur und unerlässlich für die künftige Entwicklung der Gesellschaft. Wenn Wissenschaft viele Menschen erreichen soll, muss sie verständlich sein.“ (Über uns – Wissenschaft in einer Sprache, die jeder versteht). Eine der dort tätigen Dozentinnen ist übrigens Dr. Mai Thi Nguyen-Kim.
Die Uni Potsdam fasst die Herausforderungen in der Wissenschaftskommunikation folgendermaßen zusammen:
„An Wissenschaftler*innen wird oft kritisiert, dass sie eine Sprache sprechen, die nicht jede*r versteht. Auch scheint es so, als würde so manche wissenschaftliche Forschung kein öffentliches Interesse finden oder aber, dass wissenschaftliche Entdeckungen und Innovationen unseren Alltag so schnell auf den Kopf gestellt haben, dass sie nicht mehr nachvollziehbar sind, uns überfordern und bei manchen sogar auf Misstrauen oder Ablehnung stoßen. Genau an dieser Stelle setzen Wissenschaftskommunikator*innen an: Sie wollen Wissenschaft verständlich machen, damit Wissenschaft und Öffentlichkeit, aber auch Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen miteinander in Dialog treten können.
Wissenschaftskommunikation / Uni Potsdam
Im Grunde umfasst Wissenschaftskommunikation alles, was wissenschaftliche Sachverhalte in eine für Laien verständliche Form bringt: öffentliche Vorträge von Wissenschaftler*innen, populärwissenschaftliche Sachbücher und Ratgeber, Wissenszeitschriften, TV- und Hörfunksendungen, Museen, Planetarien, Ausstellungen, Gedenkstätten, Blogs, Podcasts, Erklärvideos, Aufklärungskampagnen, Wissenschaftswettbewerbe, Schüler*innenlabore und vieles mehr.“
„Und noch eine Besonderheit bindet Wissenschaft und Journalismus aneinander: die gegenseitige Abhängigkeit – auf der einen Seite, um Berichte zu gewichten, auf der anderen um Ergebnisse zu vermitteln. Dieses Dossier beinhaltet Beiträge, die sich mit diesem Spannungsverhältnis auseinandersetzen.“
Dossier: Spannungsverhältnis Wissenschaft und Journalismus (Gerda Henkel Stiftung)
Welche Schwierigkeiten es bereiten kann, Abläufe in der wissenschaftlichen Arbeit zu erklären, wie beispielsweise die stete Korrektur vorangegangener Annahmen, sieht man in den teils wütenden Reaktionen aus der Bevölkerung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die besonders präsent sind, sind in der Folge häufig Hass und Drohungen ausgesetzt. Versuche, wissenschaftliche Vorgänge zu erklären, deutlich auf die Gefahren der Pandemie hinzuweisen, ohne Panik zu verursachen, sind nur in Teilen geglückt, zumal die Informationen auf ein höchst heterogenes Publikum treffen.
Angebote von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die kontinuierlich durch die Pandemie begleitet haben, gibt es ebenfalls. Was viele Menschen dankbar angenommen haben, um eine eigene Orientierung im Informationswust zu schaffen, führte bei anderen zu aggressiven Anfeindungen den publizierenden Personen gegenüber.
Die Publikation zum Grimme Online Award 2022 hat sich dem Thema Wissenschaftskommunikation gewidmet.
Ein Bespiel ist Christian Drosten (Virologie an der Berliner Charité), der durch seine Beteiligung an Pressekonferenzen, Talkshows und einem gemeinsamen Podcast mit Sandra Ciesek (Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main) eng verbunden war und ist mit der Corona-Pandemie. 2020 erhielt der NDR für diesen Podcast „Das Coronavirus-Update“ den Grimme Online Award. In der Projektbeschreibung heißt es:
„Seit der Podcast ‚Das Coronavirus-Update‘ am 26. Februar 2020 vom Norddeutschen Rundfunk gestartet wurde, hat er sich zu einer Instanz für viele Hörer*innen entwickelt. Mehrmals die Woche sprechen Korinna Hennig oder Anja Martini mit dem Virologen Christian Drosten über die jüngsten Entwicklungen der Coronakrise. Dabei gibt der Podcast dem Wissenschaftler ausreichend Raum, um über aktuelle Studien, Symptome oder mögliche Gegenmaßnahmen zu sprechen – und um sich aufgrund neuer Entwicklungen auch zu korrigieren.“
Grimme Online Award 2020
Aber auch der Umgang der Medien mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist nicht konfliktfrei. In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur nahm die Soziologin Jutta Allmendinger (Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) Stellung zum BILD-Artikel „Die Lockdown-Macher“ und der Entscheidung des Presserates, diese nicht zum Anlass für eine Rüge an BILD zu nutzen. Per Twitter äußerte sie ihre Verärgerung:
Dr. Annette Leßmöllmann (Professorin für Wissenschaftskommunikation am Karlsruher Institut für Technologie) fasst die Herausforderungen in einer Pandemie und die daraus folgende Verantwortung für die Wissenschaft in einem Gespräch mit MDR KULTUR Moderatorin Ellen Schweda folgendermaßen zusammen:
„In Krisen hat man es ja nicht mehr mit einer ‚normalen Wissenschaftskommunikation‘ zu tun, sondern mit einer Krisensituation. Da ist der Druck viel größer auf die Wissenschaft, Wissen bereitzustellen, das als Handlungsgrundlage dient, oder zu beraten oder auch zu helfen. Sie ist dann in diesem vermaledeiten Dilemma, gerade bei Corona war das so vor einem Jahr ganz besonders stark, es kommen ständig neue Studien und aus diesen Studien muss man quasi täglich herausfiltern, was mache ich jetzt damit in Bezug auf das Handeln. Da geht es nicht locker um Grundlagenforschung und mal sagen: ‚Oh, wir haben hier diese Erkenntnis‘. Es geht um Politik und die Menschen wollen wissen, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken können oder nicht. Das ist ein sehr, sehr hoher Druck. Das ist ein Effekt von so einer Krise.“
Wissenschaft, Kommunikation und Corona – Forschende müssen sich der Debatte stellen
Stand: 05. Mai 2021 / MDR Wissen
Den Auftakt zum neuen Dossier macht ein Beitrag mit dem Themenschwerpunkt Social Media und Wissenschaft. Alle bisher erschienenen Beiträge zum Thema finden Sie im Dossier „Wissenschaft & Medien“.