„Die extrem hohe Zahl willkürlich inhaftierter Journalistinnen und Journalisten ist vor allem das Werk dreier diktatorischer Regime“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Die Zahl spiegelt wider, wie skrupellos sich autoritäre Machthaber weltweit verhalten und wie unangreifbar sie sich fühlen. Der sprunghafte Anstieg ist auch die Folge neuer geopolitischer Machtverhältnisse, in denen diese Regime zu wenig Gegenwind und Gegenwehr seitens der Demokratien in der Welt bekommen.“
Reporter ohne Grenzen – Jahresbilanz der Pressefreiheit 2021
Alle aktuellen Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 1. Dezember 2021 oder sind Momentaufnahmen zum Stichtag 1. Dezember 2021.
Schon der Untertitel „Getötete, inhaftierte, entführte und verschwundene Journalistinnen und Journalisten 2021“ lässt für die Bilanz 2021 im Bereich der Pressefreiheit nichts Gutes ahnen, auch wenn in der Zusammenfassung der aktuellen Situation darauf hingewiesen wird, dass es glücklicherweise so wenige getötete Medienschaffende wie seit 2003 nicht mehr gab. Reporter ohne Grenzen führt dies vor allem auf die nachlassende Intensität der Konflikte und Kriege in Syrien, im Irak und im Jemen zurück.
Trotzdem weist die Organisation sehr deutlich darauf hin, dass durchschnittlich noch immer fast ein Journalist oder eine Journalistin pro Woche im Zusammenhang mit seiner oder ihrer Arbeit ums Leben kommt. Zudem war die Zahl der willkürlich verhafteten Journalistinnen und Journalisten seit der ersten Jahresbilanz 1995 von Reporter ohne Grenzen noch nie so hoch. Zum Stichtag 1. Dezember 2021 wurden insgesamt 488 inhaftierte Journalistinnen, Journalisten und andere Medienschaffende gezählt, das sind 20 Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Davon sind 363 professionelle Journalistinnen und Journalisten, 103 Bürgerjournalist*innen und 22 Medienmitarbeitende. Die meisten inhaftierten Journalistinnen und Journalisten arbeiten in den folgenden fünf Ländern: Belarus, China, Saudi-Arabien, Myanmar und Vietnam.
Reporter ohne Grenzen dokumentiert Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit weltweit und alarmiert die Öffentlichkeit, wenn Journalistinnen und deren Mitarbeiter in Gefahr sind. Die Initiative setzt sich für mehr Sicherheit und besseren Schutz von Journalistinnen und Journalisten ein, kämpft online wie offline gegen Zensur, gegen den Einsatz sowie den Export von Zensur-Software und gegen restriktive Mediengesetze.
Ein Schwerpunkt in der aktuellen Auswertung der Arbeitssituation der freien Presse weltweit ist der Blick auf die vielen Einzelschicksale von Medienschaffenden international, die nicht vergessen werden sollten. Reporter ohne Grenzen benennt im Bericht exemplarisch Journalistinnen und Journalisten, die mit besonders langwierigen Bestrafungen belegt wurden, wie beispielsweise die von den längsten im letzten Jahr verhängten Haftstrafen betroffenen Journalisten Ali Abu Luhom in Saudi-Arabien und Pham Chi Dung in Vietnam. Auch die Dauer manch eines Gerichtsprozesses ist extrem, hier nennt Reporter ohne Grenzen als Betroffene Amadou Vamoulké in Kamerun und Ali Anouzla in Marokko. Weiterhin gelten zum Dezember 2021 zwei Journalist*innen als verschwunden, 65 Personen sind im Rahmen von Entführungen verschwunden. Davon geschah dies in 60 Fällen im eigenen Land und in fünf Fällen im Rahmen von Auslandseinsätzen. 46 Menschen wurden im Rahmen ihrer Arbeit getötet. Unter diesen sind 38 professionelle Journalisten und Journalistinnen, vier Bürgerjournalistinnen/-journalisten sowie vier Medienmitarbeitende. Als die fünf gefährlichsten Länder für Medienschaffende gelten Mexiko, Jemen, Afghanistan, Pakistan und Indien.
Die aktuelle „Nahaufnahme Deutschland 2021“, die im Rahmen des Rankings der Pressefreiheit entstanden ist, zeigt, dass die Corona-Pandemie bzw. die Proteste gegen die Schutzmaßnahmen für eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalisten in Deutschland sorgten. In der Rangliste der Pressefreiheit rutschte Deutschland entsprechend auf Platz 13 (2020: Platz 11). In Zahlen bedeutet die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten. Weitere fünf Fälle konnte Reporter ohne Grenzen nicht abschließend verifizieren. Jedoch wird von einer beträchtlichen Dunkelziffer ausgegangen, da es bei einer Vielzahl an Demonstrationen immer wieder zu Gewalt gegen Reporterinnen und Reporter kam, aber nicht alle Medienschaffenden die Übergriffe öffentlich machten. Besonders viele Übergriffe gab es im Rahmen von „Querdenker“-Demonstrationen, die laut Reporter ohne Grenzen massiv Misstrauen gegen die Medien schürten, was dazu führe, dass Journalistinnen und Journalisten bedrängt/bedroht und massiv an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert wurden. Zudem wurden im Rahmen der aktuellen Erhebung zahlreiche Anfeindungen und Beleidigungen bis hin zu Todesdrohungen dokumentiert.
Zum Thema: Die neue Broschüre „Journalistische Berichterstattung bei Einsatzlagen“ des Deutschen Journalisten-Verbands, Landesverband Nordrhein-Westfalen (DJV-NRW) greift die Zusammenarbeit von Polizei und Medienschaffenden im Rahmen von Demonstrationen auf. Sie klärt Polizeibeamte über die journalistische Arbeit im Rahmen von Demonstrationen auf und spricht Handlungsempfehlungen für Journalistinnen und Journalisten aus – die Broschüre nimmt somit beide Seiten in den Blick.
Eine freie und unabhängige Presse ist wichtiger Bestandteil einer Demokratie. Entsprechend hoch ist die Verantwortung bei der Presse, umfassend und einordnend zu berichten. Gleichzeitig muss die Gesellschaft dafür sorgen, dass dies gefahrenlos möglich ist. Journalistinnen und Journalisten müssen geschützt über Vorgänge berichten können und dürfen nicht in eine Situation geraten, in der sie aufgrund von Angst und Bedrohung Themen und Ereignisse nicht bearbeiten können oder wollen.
Wie wichtig dies ist und gleichzeitig wie schwierig, zeigen die Gespräche mit Medienschaffenden, Aktivist(inn)en und Wissenschaftler(inne)n, die im Rahmen der Produktionsveranstaltung „Rechtspopulismus & die Verantwortung der Medien“ des Grimme-Instituts im Oktober 2021 aufgezeichnet wurden:
Rechtspopulismus & die Verantwortung der Medien – Panel 1 (Teil 1 und 2)
Rechtspopulismus & die Verantwortung der Medien – Panel 2 (Teil 1 und 2)