Bitte stellen Sie sich kurz vor.
Im Grimme-Institut habe ich im April 2016 angefangen, seit 2017 bin ich Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der damals neu eingerichteten Grimme Forschung. Einen Magister-Abschluss habe ich in Allgemeiner Literaturwissenschaft, Psychologie und Medienwissenschaft. Neben der Mitarbeit an Forschungsprojekten, Veranstaltungen und Studien betreue ich die Internetseiten der Grimme Forschung redaktionell im Team.
Dabei und während meiner Lehrtätigkeit ist mir aufgefallen, dass das Aufbereiten von Wissen heute anders funktionieren muss. Es gibt einen neuen Anspruch: Wissenschaftliche Texte werden (außer von einem Fachpublikum) kaum noch gelesen oder verstanden, generell haben es lange Texte heute schwer, ihr Publikum zu finden. Die Aufmerksamkeitsspanne verkürzt sich immer mehr, denn die Masse an Informationen wächst unaufhörlich und ist jederzeit und von überall aus zugänglich. Jetzt könnte man sagen, dann müssen diese Texte spannender aufbereitet werden, sonst „interessiert das halt niemanden“ oder dass Ergebnisse aus der Wissenschaft hauptsächlich für Akademiker:innen von Belang sind.
Aber so einfach ist es nicht: Wissenschaftskommunikation wird immer wichtiger – für jeden, was wir zum Beispiel besonders jetzt während der Corona-Pandemie merken. Also habe ich eine Methode zum besseren Verständnis komplexer Inhalte gesucht – und Sketchnoting gefunden. Da ich gerne zeichne und male und mich diese Technik neugierig machte, habe ich im September 2019 in München bei Rocketpics an einem Visualisierungs-Workshop zum Thema Sketchnoting und Live-Visualisierung teilgenommen. Dort lernte ich die Grundlagen und das Handwerkzeug und kam zurück mit Ideen, guten Tipps und neuen Stiften im Gepäck. Seit meiner Babypause konnte ich bereits mehrere Veranstaltungen mit Sketchnotes für das Grimme-Institut visuell dokumentieren. Und die Methode funktioniert. Richtig gut.
Was sind Sketchnotes?
Der Begriff „Sketchnotes“ setzt sich zusammen aus Sketch (engl. Skizze) und Notes (Notizen). Ins Leben gerufen hat den Begriff 2007 der US-amerikanische Illustrator Mike Rohde. Sketchnotes gibt es aber schon sehr viel länger, man könnte sogar die ersten Höhlenmalereien so bezeichnen.
„Ideas, not art!“, („Ideen, nicht Kunst!“), ist einer der viel zitierten Leitsätze von Mike Rohde, der es knackig auf den Punkt bringt, was Sketchnoting ist.
Wenn ich Sketchnotes erstelle, vereinfache ich die Inhalte zum Beispiel von Vorträgen und „übersetze“ sie in eine Bildsprache. Meine Notizen veranschauliche ich mit handgezeichneten Bildern und Piktogrammen. Verschiedene Schriften, Diagramme, Pfeile, die Reihenfolge und Anordnung der Bildnotizen sorgen für eine bildhafte Struktur.
Eine Leuchte im Zeichnen muss man nicht sein, um Sketchnotes zu erstellen. Wichtig aber sind die Fähigkeiten gut zuzuhören und das Wesentliche herauszufiltern zu können und dies mit eigenen Ideen anzureichern. Sketchnotes sollten auf Anhieb verständlich sein, ohne etwas zu verfälschen oder Wichtiges wegzulassen.
Wozu soll das gut sein? Powerpoint zum Beispiel liefert doch schon Diagramme, Piktogramme und solche Sachen. Und dann gibt es Fotos, Videos… technisch alles viel professioneller.
Technisch ja. Inzwischen werden wir aber von Informationen, Texten, Bildern und Clips überflutet und die Masse an Informationen und Nachrichten kann überfordern. In diesem – eigentlichen Luxus – zu viel zu bekommen, wächst der Wunsch nach Reduktion, Einfachheit und den ursprünglichen Dingen.
Hinzu kommt, dass uns heute Informationen mit Texten und Bildern nur digital hergestellt begegnen. Schon Jugendliche verändern ihre Fotos für soziale Netzwerke so professionell, dass man mitunter das Original nicht mehr wiedererkennt. Und Fragen im Internet beantworten Chatbots. Die Sehnsucht nach Handgemachtem und Menschlichem wächst.
Zunehmend mehr Leute gestalten etwas Neues aus alten Dingen (Upcycling), besuchen Kurse zum Schönschreiben und „Handlettering“ und auch die Minimalismus-Bewegung wächst; weniger ist mehr. Sketchnotes greifen diese Entwicklung auf: Inhaltlich konzentrieren sie sich auf das Wesentliche und die Notizen und Piktogramme sind von Hand geschrieben und selbst gezeichnet.
Sketchnoting ist eine ernst zu nehmende Technik, die immer beliebter wird. In Betrieben helfen Sketchnotes, komplizierte Arbeitsabläufe zu veranschaulichen und Kongresse nutzen sie zur Dokumentation von Panels und Vorträgen. Auch die Wissenschaft hat diese Methode für sich entdeckt, etwa für die Öffentlichkeitsarbeit an der Universität Oxford oder als Forschungsprojekt zum Einsatz von Sketchnotes an Berufskollegs an der Universität Paderborn, ausgezeichnet vom Stifterverband.
Welche Vorteile bieten Sketchnotes gegenüber anderen Methoden zur Wissenskommunikation?
Sketchnotes reduzieren Vorträge, Tagungen, Interviews und Texte auf das Wesentliche, sodass man sich auf einen Blick zum Beispiel über mehrstündige oder -tägige Veranstaltungen oder den Inhalt längerer Texte schlau machen kann. Das Grimme-Institut nutzte diese Technik zum Beispiel für die Dokumentation des Social Community Day 2020, der Veranstaltung #meinfernsehen2021 oder zum Veranschaulichen der Grimme Forschung.
Außerdem helfen Sketchnotes Inhalte besser zu verstehen und sich diese zu merken. Für Zeichnungen anschauen und Schrift lesen benutzt unser Gehirn unterschiedliche Kanäle und verankert so die Inhalte auf zwei Wegen – doppelt hält besser (Paivios „dualer Kodierungstheorie / Dual Coding Theory).
Ein weiterer Vorteil ist, dass diese Methode überall funktioniert: beim Dokumentieren von Tagungen oder Protokollieren von Besprechungen, beim Zusammenfassen von Texten, sogar ganzen Büchern oder als tägliche Übung, zum Beispiel bei einer Aufgabenliste. Beliebt ist zum Beispiel auch das Sketchnoten von Rezepten oder Reisen.
Und überall dort, wo etwas darauf wartet, mit Bildsprache erzählt zu werden.