Es kam in der Wahlnacht, wie es kommen musste, zumindest was die Präsenz des präsidialen Superspreaders auf den Plattformen angeht: Zunächst seine aus der Luft gegriffene Behauptung, man versuche die Wahl zu stehlen – es dürften keine Stimmen nach Schließung der Wahllokale abgegeben werden. Facebook und Twitter versahen diesen Beitrag mit Warnhinweisen, und bei Twitter wurde zudem seine virale Verbreitung erschwert. Dann die vorzeitige Proklamation des Wahlsiegs seitens des amtierenden Präsidenten, unter anderem als Video via Facebook Live zu sehen. Facebook reagierte darauf wie angekündigt:
Die prominent platzierte Einbindung redaktioneller Informationen im nutzergenerierten News Feed ist allerdings kein Allheilmittel: Instagram erinnerte Nutzer*innen damit an den bevorstehenden Wahltag, aber die Mitteilung „Tomorrow is Election Day“ war auch am Wahltag selbst dort noch so zu sehen: „Instagram spokesperson Raki Wane declined to specify how many people had been affected, but according to their tweets, a number of reporters (…) received the message.„
Ähnlich problematisch zeigte sich auch wieder die algorithmische Amplifikation problematischer Inhalte bei YouTube. Bevor die Wahllokale schlossen waren auf der Plattform diverse Livestreams prominent verfügbar, in denen falsche Wahlergebnisse verbreitet wurden. Wohl weniger zum Zweck politischer Manipulation, als um durch Werbeeinnahmen Profit zu machen: „None of the channels Insider found broadcasting fake results were affiliated with any political or news organizations; rather, hip-hop and music-related channels were found to be usurping outlets like CBS News and NowThis News in YouTube search results. Three of the top four results for „LIVE 2020 Presidential Election Results“ were all misinformation, an Insider search found.“
Insofern wird exemplarisch deutlich, dass der von Facebook verfügte temporäre Bann zur Einstellung neuer politischer Werbung auf der Plattform wohl nur eine begrenzte Wirkung gegen Desinformation zur Wahl entfalten kann. Der Start des unbefristeten Moratoriums eine Woche vor der Wahl war zudem mit erheblichen Problemen verbunden. Die Biden-Kampagne beklagte, dass rechtzeitig eingereichte Anzeigen nicht ausgespielt wurden; Facebook verlautbarte, man habe „some technical issues“ . Gleichzeitig stellte eine Untersuchung des Tow Center for Digital Journalismfür Anfang Oktober fest, dass die Applikation von Warnhinweisen durch Facebook bei Inhalten, die von unabhängigen Faktenprüfungs-Organisationen als falsch erachtet wurden, nicht umfassend implementiert wird: „Our review of fact-checking labels on Facebook during this five-day period found that the company failed to consistently label content flagged by its own third-party partners. Facebook’s ten US fact-checking partners debunked over seventy claims. We identified over 1,100 posts across Facebook and Instagram containing the debunked falsehoods; less than 50 percent bore fact-checking labels„.
Während die Auszählung der Stimmen bei der Abfassung dieser Zeilen andauert, gilt vor allem die Herausforderung, die Adi Robertson am Wahlabend im Online-Magazin „The Verge“ skizzierte: „Big social media platforms are collectively moderating billions of accounts. But on election night and the days that follow, there are two key issues: stopping high-profile users from breaking sites’ rules and spreading accurate facts as fast as (or faster than) false claims.“ Ansonsten lässt sich im Hinblick auf die Bemühungen der Plattformen mit den Technologie-Journalistinnen Issie Lapowsky und Emily Birnbaum vorläufig folgende Bilanz ziehen: „Big Tech is finally ready for Election 2016. Too bad it’s 2020.”
Dr. Erik Meyer ist Politikwissenschaftler und Fellow am Center for Advanced Internet Studies in Bochum. Dort bearbeitet er das Projekt „Die US-Präsidentschaftswahl 2020 im Kontext der Plattformisierung politischer Kommunikation: Algorithmische Öffentlichkeit und datenbasierte Kampagnenführung“. Einen ersten Einblick gibt sein Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Aktuelle Aspekte dokumentiert er in einer Presse- und Social-Media-Schau und bespricht sie hier in weiteren Beiträgen bis zur Wahl.