Autor: Lukas Boehnke
Dieser Text will versuchen, verschiedene Perspektiven gesellschaftswissenschaftlicher Theorie zum Populismus zusammenzufassen und Bezüge zu exemplarischen Antworten politischer Erwachsenenbildung herstellen. Ich führe dabei an Beispielen die These aus, dass und wie in der Praxis politischer Bildung eine theoretische Ursachendiskussion zum Populismus gewissermaßen implizit oder explizit mitgeführt (und mit geführt) wird. In den Fußnoten wird auf weiterführende Literatur, auf Vorträge und Quellen zum hier oft nur kurz angerissenen Inhalt hingewiesen.
Teil 3: Populismus und politische Bildung – Fakten, Fake News, Medienkompetenz
Die Medien spielen in der Populismusdiskussion eine große Rolle. Einerseits spielen verschiedene Dynamiken der medialen Berichterstattung und bestimmte Formate dem Populismus in die Hände, weil auch sie auf Skandalisierung, Verkürzung, Polarisierung und die subtile Stereotypisierung bestimmter Gruppen setzen.1 Darüber kann politische Bildung aufklären, bzw. auch verbreitete negativ-Stereotypen in anderen Kontexten vermeiden oder dekonstruieren, um reflexive (Selbst-)Lernprozesse zu ermöglichen. Zugleich steht politische Erwachsenenbildung in erhöhtem Maße vor der Herausforderung, Inhalte zur Diskussion zu stellen, die verschiedenen Altersgruppen und Lebenswelten erreichen. Nicht nur sind die Medienkompetenzen, -zugänge und -gewohnheiten von jüngeren und älteren Erwachsenen sind auch im Zuge der Digitalisierung diverser geworden, sondern auch die veränderten Kommunikations- und Organisationsformen in den sozialen Medien, die eine Entwicklung von Filterblasen, Echokammern und Feedbackloops begünstigen und als Katalysator für Populismus wirken können.2
Ausgehend von der populistischen Krisendiagnose über eine ungerechte Entzweiung von ‘Volk’ und ‘Elite’ liegt der Übergang zum legitimatorisch-instrumentellen Gebrauch von Fakten nahe, aber auch zum verschwörungstheoretischen Denken. Ganz prominent stechen dabei nicht nur die mehr oder weniger organisiert produzierten und geteilten Falschmeldungen irgendwelcher Horrorgeschichten über die politische Elite oder vermeintlich ‘unpassende’ Fremde heraus. Ebenfalls fällt die politische Ignoranz gegenüber wissenschaftlich nachgewiesenen Fakten auf, etwa zum Klimawandel. Heute stehen die staatlichen Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie in der populistischen Kritik. Das wissenschaftlich überwältigende Urteil der Literatur und Studienlage zu beiden Themen kann im Rahmen populistischer Interpretationen als elitäre Verschwörung gegen die herkömmlichen Gewohnheiten und Werte ,des Volkes‘ mit ‘seiner’ besonderen Identität und Freiheit interpretiert werden. Unzählige kleine und große Geschichten – mit denen die Vorstellungswelt um populistische Politikformen bedient wird, runden die gegenwärtige Erfahrungswelt in einschlägigen Kommunikationsblasen ab. Allerdings liegen in dieser Entwicklung die Fakten durchaus niemals geschichtlich hinter uns, wie es die Rede vom ‘postfaktischen Zeitalter’ suggeriert. Sondern vielmehr gibt es heute verschiedene politische Interpretationen verschiedener ‚alternativer Fakten‘ manchmal auch besonders fragwürdiger Herkunft, die nebeneinander bzw. ‘parafaktisch’ auf den politischen Bühnen und in den sozialen Netzwerken präsentiert werden, um unterschiedliche politische Positionen zu begründen oder zu rechtfertigen.3
Politische Entscheidungen auf Grundlage von Fakten stehen also nach wie vor hoch im Kurs. Doch gerade in der Auswahl der Informationen und deren Präsentation als Fakten scheiden sich die Geister, manchmal weniger zur Begründung und mehr zur Rechtfertigung politischer Positionen. Demokratie funktioniert nur, wenn Fakten einerseits geteilt und zugleich unterschiedlich interpretiert werden können. Politische Bildung muss selbstverständlich prüfen, ob Informationen stimmen. Sie kann aber darüber hinaus die Rolle politischer Urteile bei der Auswahl und Bewertung von Fakten thematisieren und konkurrierende Interpretationen ggfs. auf politische Interessensgegensätze zurückführen. In der mediatisierten Gegenwartsgesellschaft mit einer pluralistischen Presselandschaft und neuen Formen der Kommunikation und Wissensbildung über Soziale Medien werden außerdem Kompetenzen im Bereich der Recherche, Auswahl und Beurteilung von Informationen zunehmend wichtiger. Diesem Thema kann sich politische Erwachsenenbildung mit dem Fokus auf Medienkompetenz widmen, z.B. mit Kursen zum Umgang mit Fakten und Fake News und auch im Bereich des informellen (Selbst-)Lernens mit Websites und Online-Tools.4 In diesem Feld ergeben sich innovative und interdisziplinäre Verknüpfungsmöglichkeiten von politischer Bildung und Journalismus beinahe wie von selbst.5
Fazit
In Veranstaltungen politischer Erwachsenenbildung wird das oft antipopulistisch gesonnene Publikum zum besonnenen Bohren dicker Bretter ermutigt: Populismus ist aus der ‘Mitte der Gesellschaft’ und wahrscheinlich auch ‘gekommen um zu bleiben’. Diese Entwicklung von Verschiebungen im Diskurs und in der Politik geschah Stück für Stück, allmählich, auch teils schleichend. Umgekehrt brauchen auch gesellschaftlich-demokratische Lernprozesse Zeit: Gespräche und Erfahrungen wirken nicht sofort, manchmal auch scheinbar gar nicht oder nicht wie erwartet – besonders in schwierigen und emotionalen Situationen und insbesondere bei erwachsenen Menschen, die selbst entscheiden, wann und was sie lernen und die ihre bestehenden politischen Urteile und Meinungen gewöhnlich über Jahre und Jahrzehnte entwickelt und gefestigt haben. Wenn politische Bildung bloß als ‘Feuerwehr’ wirkt, bedeutet das, dass eine nachhaltige politische Bearbeitung der gesellschaftlichen Ursachen von radikalem Populismus, Faschismus oder Rechtsextremismus – auch und gerade außerhalb der politischen Bildung in der Gesellschaft und ihrer Politik – nicht stattfindet. Gerade in Zeiten fortgeschrittener Radikalisierung und beschleunigter Polarisierungen in der Ökonomie und im politischen Diskurs um die ‘Krise der Demokratie’ stellen sich somit der politischen Erwachsenenbildung alte Herausforderungen mit neuer Brisanz.
Den Gesamttext finden Sie hier.
- Dokumentation der Grimme-Veranstaltung in Leipzig 2019 – wie die Medien zur Verbreitung des Rechtsradikalismus beitragen: https://www.grimme-lab.de/2019/12/19/doku-leipzig-teil-2-wie-die-medien-zur-ausbreitung-des-rechtsradikalismus-beitragen/ [↩]
- Schriftenreihe Medienkompetenz der BPB – Diskussionsräume in Sozialen Medien https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/290851/diskussionsraeume-in-sozialen-medien [↩]
- Tim Engarter über „Demokratiebildung in Zeiten des Populismus“: https://www.youtube.com/watch?v=0nUKqDMjIWw [↩]
- Zum Beispiel bietet die VHS Mittelsachsen einen „Faktencheck im Selbstversuch“ an. Im Ankündiger der Veranstaltung heißt es: „Trauen Sie allen Nachrichten, Meldungen und Bildern aus Medien und Internet?“ In dieser Veranstaltung können Sie lernen, wie Falschmeldungen und manipulierte Bilder entstehen und wie man deren Glaubwürdigkeit prüfen kann. Wir zeigen an anschaulichen Beispielen wie durch Manipulation Bildaussagen komplett verändert werden, um z. B. gezielt andere politische oder gesellschaftliche Botschaften zu verbreiten. Sie lernen einfache Wege und Möglichkeiten kennen, wie Sie Quellen und Glaubwürdigkeit von Medieninhalten überprüfen können. https://www.vhs-mittelsachsen.de/index.php?id=92&kathaupt=1&katid=1048&katvaterid=977&knr=RF11602&katname=Freiberg&browse=forward&knradd=TF10412 [↩]
- Björn Milbradt und Sally Hohenstein – Populismus im Internet: „Wie eine zeitgemäße politische Bildung reagieren muss.“
https://www.dji.de/themen/medien/populismus-im-internet.html
Christa Goede: Stimmt das oder stimmt das nicht? 15 Websites und Tools für den Faktencheck https://www.christagoede.de/faktencheck-nachrichten-bilder-und-informationen-ueberpruefen/?cli_action=1583495645.901
Das erste gemeinnützige Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum arbeitet zu verschiedenen Streitthemen als Antwort auf Populismus und Fake News: https://correctiv.org [↩]