Während Facebook-Cheflobbyist Nick Clegg die – fraglos unternommenen – Anstrengungen der Plattform beim Kampf gegen Desinformation zur US-Wahl preist, sind noch einmal ganz grundsätzliche Probleme offenbar geworden. Als es darum ging, den Charakter der Plattform weniger kontrovers zu gestalten, ging es Zuckerberg wohl primär um ein politisches Kalkül. Ein Beitrag des Wall-Street-Journals beschäftigt sich unter anderem mit den Auswirkungen algorithmischer Änderungen Facebooks auf Nachrichtenseiten in der Vergangenheit. Es hätte dabei unabhängig von den verbreiteten Inhalten eine Abwägung zwischen der Beeinträchtigung der Präsenz politisch unterschiedlich ausgerichteter Medienorganisationen in den personalisierten News Feeds gegeben. Im Ergebnis jedenfalls prosperierten rechtsgerichtete Publikationen weiter, während etwa das linksliberale Magazin Mother Jones reklamiert, dass ihm durch weniger Weiterleitungen etwa eine halbe Million US-Dollar an Einnahmen entgangen wäre.
Facebook weist den Vorwurf einer spezifischen Absicht freilich zurück, doch Mother Jones untermauert ihn in einem eigenen Beitrag . Letztlich liege es in der Hand der Plattform für Transparenz zu sorgen, indem die damals Verantwortlichen vorgeführte Folienpräsentation zu den kalkulierten Konsequenzen veröffentlicht werde: „how much of the information you see on this powerful platform is shaped by partisan political considerations inside a company obsessed with avoiding regulation? There’s a deck out there that could help unlock some of the answers. Publishers and regulators need to see it„, resümieren die MoJo-Chefinnen Monika Bauerlein und Clara Jeffery.
Doch Transparenz liegt nur bedingt im Interesse Facebooks. Dies zeigt sich nun auch wieder beim Thema „politische Werbung“. Dass es beim Archiv der Plattform für betreffende Anzeigen aus der Perspektive von Wissenschaft und kritischer Öffentlichkeit Defizite hinsichtlich der Qualität der Daten und ihrer Aufbereitung gibt, ist bekannt. Dass mehr Auskunft etwa über die Absichten der Akteure möglich wäre, demonstrieren Monitoring-Initiativen. Originell ist der Ansatz von „Who targets me“, die aus den in der Werbebibliothek hinterlegten Adressen der Anzeigen von Biden und Trump diverse Details dazu ableiten können, was die Kampagnen jeweils intendieren. Ebenfalls aktiv ist das Online Political Ads Transparency Projectan der New York University. Ein aktuelles Ergebnis des Forschungsprojekts ist etwa, dass die Werbe-Kategorie der „paid partnerships“ nicht adäquat in Facebooks Ad Library berücksichtigt wird.
Und was macht die Plattform? Sie hat den Verantwortlichen eine Abmahnung geschickt, und versucht das Plug-in zu deaktivieren mit dem Freiwillige dem Projekt Daten spenden. Datenschutz und Privatsphäre seien gefährdet und die Nutzung des Instruments deshalb einzustellen. Die Forschenden haben diese Forderung abgelehnt und lassen sich in der Angelegenheit nun vom Knight First Amendment Institute der Columbia University vertreten. Auch eine Woche vor der Wahl bleiben für die Beurteilung der algorithmischen Öffentlichkeit Facebooks relevante Aspekte im Dunkeln, und tiefere Einsichten in diese black box müssen der Plattform mühsam abgerungen werden.
Plattformisierung und US-Wahlkampf VII
Dr. Erik Meyer ist Politikwissenschaftler und Fellow am Center for Advanced Internet Studies in Bochum. Dort bearbeitet er das Projekt „Die US-Präsidentschaftswahl 2020 im Kontext der Plattformisierung politischer Kommunikation: Algorithmische Öffentlichkeit und datenbasierte Kampagnenführung“. Einen ersten Einblick gibt sein Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Aktuelle Aspekte dokumentiert er in einer Presse- und Social-Media-Schau und bespricht sie hier in weiteren Beiträgen bis zur Wahl.