Im Fokus der Diskussion stehen derzeit Szenarien, die sich mit der Phase nach dem Wahlgang beschäftigen. Ausgangspunkt dafür ist die wiederholt vorgetragene Weigerung Trumps, jeden Wahlausgang vorbehaltlos zu akzeptieren. Diese wiederum basiert darauf, dass eine Diskrepanz zwischen der zeitnahen Auszählung der in Wahllokalen abgegebenen Stimmen und dem endgültigen Resultat inklusive der per Briefwahl oder ähnlicher Verfahren abgegebenen Stimmen möglich ist. Denn durch die Pandemie-Situation wird eine Erhöhung des Anteils letzterer erwartet. Nicht unwahrscheinlich erscheint ein Szenario, an dem Trump am Wahlabend als Sieger dasteht, während nach der Auszählung aller Stimmen Biden derjenige ist, den das Wahlkollegium zum Präsidenten zu wählen hat (oder vorsichtiger formuliert: hätte). Insofern eröffnet diese Konstellation auch Optionen zur Intervention, die von Trump beständig ventiliert werden.
Auf diese Situation stellen sich nun die Plattformen mit Spezifizierung ihrer Regeln für politische Werbung ein. Bei Facebook annoncierte ein Verantwortlicher die neuen Vorgaben etwas lapidar per Tweet:
Das mag selbstverständlich erscheinen, aber die Plattform setzt sich ansonsten nicht mit der Faktizität der Aussagen in Anzeigen von politischen Akteuren auseinander. Sie können also durchaus auf diesem Weg auch die Unwahrheit verbreiten. Nun lässt sich über diese Positionierung streiten, grundsätzlich zu monieren ist aber, dass die Plattform relevante Änderungen nicht kohärent kommuniziert. Bei der permanenten Transformation der Regularien zur elektoralen content moderation mangelt es an Transparenz und einer zentralen Auflistung aller aktuell gültiger Vorgaben als Voraussetzung für die Kontrolle ihrer Einhaltung. Stattdessen müssen externe Monitoring-Initiativen die Veränderung der Vorgaben rekonstruieren und dokumentieren, so wie es eine Koalition von Akteuren als Election Integrity Partnership macht.
Für Google berichtet nun ein Online-Angebot von einer Mail an Kund*innen, die Werbung auf Plattformen des Unternehmens schalten. Das Vorgehen vor allem für die Suchmaschine selbst und YouTube ist im Vergleich zu Facebook umfassender: Es wird ein post-elektoraler Blackout nicht nur für politische Werbung angekündigt. Dafür wird kein bestimmter Zeitraum definiert, und er betrifft inhaltlich nicht nur das Wahlergebnis, sondern “ads ‚referencing candidates, the election, or its outcome”.
Aber auch Beiträge, die nicht als Werbung adressiert werden, bleiben problematisch. Dies zeigt ein Blick auf die Kommunikation der Trump-Kampagne bei Facebook und Twitter. Die Kennzeichnung problematischer Inhalte durch warnende Links unter den Postings stehen etwa für den New-York-Times-Autoren Charlie Warzel in keinem Verhältnis etwa zur dort vertretenen Behauptung, die Wahl werde vom politischen Gegner gestohlen:
Darüber hinaus lohnt ein Blick auf die beworbene Website. Dort werden Freiwillige für Trumps Election Day Team rekrutiert. Die Darstellung impliziert, dass Beteiligte am Wahltag vor den Wahllokalen in Konfrontationen geraten.
Auch für solche Fragen betreibt Facebook seit einiger Zeit mit erheblichem Aufwand die Einrichtung eines unabhängigen Expert*innen-Gremiums, das Entscheidungen der Plattform zur content moderation überprüft und dessen Beurteilungen dann für das Unternehmen bindend sein sollen. Bislang hieß es, dieses Oversight Board könne frühestens nach der US-Wahl tätig werden, nun soll es bereits im Oktober arbeitsfähig sein. Welche Rolle das Gremium aber tatsächlich spielen kann, bleibt unklar. Hier die Einschätzung eines Experten: „‚We were told this was going to be the supreme court of Facebook, but then it came out more like a local district court, and now it’s more of a traffic court,‘ Douek told the Guardian.„ Nicht zuletzt deshalb hat sich ein Real Facebook Oversight Board als zivilgesellschaftliche Gegenveranstaltung mit 25 Kritiker*innen gegründet. Diesen geht es nun vor allem darum, die Defizite der Plattform vor der Wahl plakativ zu skandalisieren. Die Demokratie sei in Gefahr.
Plattformisierung und US-Wahlkampf IV
Dr. Erik Meyer ist Politikwissenschaftler und Fellow am Center for Advanced Internet Studies in Bochum. Dort bearbeitet er das Projekt „Die US-Präsidentschaftswahl 2020 im Kontext der Plattformisierung politischer Kommunikation: Algorithmische Öffentlichkeit und datenbasierte Kampagnenführung“. Einen ersten Einblick gibt sein Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Aktuelle Aspekte dokumentiert er in einer Presse- und Social-Media-Schau und bespricht sie hier in weiteren Beiträgen bis zur Wahl.