Wie nehmen Sie die aktuelle demokratische Öffentlichkeit wahr?
Wir erleben derzeit eine globale Krise, die den Alltag aller Menschen – wenn auch in verschieden starkem Ausmaß – unmittelbar beeinträchtigt. Auch wenn alle betroffen sind, werden dabei ohnehin bestehende soziale Ungleichheiten sicht- und spürbarer. Die einen bangen um ihren Job und ihre Existenz, für die anderen steht vor allem der Auslandsurlaub auf dem Spiel. Gleichzeitig macht die Coronakrise eine unpolitische Haltung des Einzelnen derzeit unmöglich. Im privaten wie im öffentlichen Leben haben sonst alltägliche Entscheidungen eine moralische Dimension und bedürfen der Abwägung: Soll ich die geplante Geburtstagsfeier durchführen? Mit wem darf sich mein Kind verabreden? Ist der Besuch bei den Verwandten vertretbar? Wir sind mit staatlich auferlegten Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der individuellen Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit konfrontiert, die zumindest in der BRD bisher einmalig sind und die noch vor einem halben Jahr undenkbar waren.
In dieser Situation ist auf der einen Seite ein starkes Vertrauen von Teilen der Bevölkerung in staatliches Krisenmanagement und wissenschaftliche Forschungserkenntnisse zu beobachten. Auf der anderen Seite wachsen in Teilen der Bevölkerung Verunsicherung und Ängste über den Umgang und den Weg aus der Corona-Krise.
Ausdruck dessen sind unter anderem die sogenannten Hygiene-Demos der vergangenen Monate. Die in einer Demokratie legitime Kritik an konkreten politischen Entscheidungen und Auflagen zur Bekämpfung der Krise mischt sich hier mit der Verbreitung absurder Verschwörungsmythen und demokratiegefährdenden Umsturzphantasien. Hier besteht die Gefahr der Übernahme der bisher eher diffusen und nur lose organisierten Proteste durch rechtspopulistische und rechtsnationale Kräfte. Die aktuelle Krisenerfahrung trifft uns ja in einer Phase, in der die offene Gesellschaft ohnehin zunehmend rechtsextremen, rassistischen und antidemokratischen Angriffen ausgesetzt ist, wie der Mord an Walter Lübke und die Anschläge von Halle und Hanau auf traurige Weise zeigen. Politische Bildungsarbeit ist in dieser Situation umso wichtiger, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die demokratische, offene Gesellschaft zu stärken.
Wie definieren Sie das Feld politische Bildung?
Politische Bildung ist Aufklärungsarbeit und die Befähigung des Einzelnen zu kritischer Meinungsbildung und selbstbewusster Meinungsäußerung. Auf dieser Grundlage ist es das Ziel politischer Bildungsarbeit, Menschen dazu zu befähigen, für ihre Anliegen aktiv einzutreten – also Handlungskompetenz zu vermitteln. Das bedeutet zum einen, dass die politische Bildungsarbeit sachliches Wissen vermittelt über den Aufbau, die Abläufe und die Entscheidungsfindungsprozesse des politischen Systems. Zum anderen ist es Ihre Aufgabe, den Einzelnen in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen und Position zu beziehen und damit zu einer demokratischen Streit- und Debattenkultur und einer aktiven Bürgerschaft beizutragen. Dazu gehört ganz wesentlich auch die Vermittlung von kritischer Medienkompetenz, also der Fähigkeit, sich Informationen zu beschaffen und seriöse von unseriösen Informationen zu unterscheiden.
Welche Herausforderungen ergeben sich in Ihrem Arbeitsfeld im Umgang mit Rechtspopulismus?
Für uns als Volkshochschulen geht es ganz konkret darum, unseren gestalterischen Freiraum im Bereich der politischen Bildungsarbeit gegen rechtspopulistische Angriffe zu behaupten. Es gibt Kommunen, in denen rechtspopulistische Kräfte versuchen, die Gestaltungsfreiheit der Volkshochschulen einzuschränken, etwa durch die Drohung, die öffentliche Finanzierung einzuschränken. Die Volkshochschulen sind hier
sowohl hinsichtlich der Bildungsfinanzierung als auch mit Blick auf ihr Programmangebot herausgefordert. Der immer wieder erhobene Vorwurf fehlender politischer Neutralität im Programmangebot der Volkshochschulen ist dabei entschieden zurückzuweisen. Ihm liegt oftmals ein falsches Verständnis des Beutelsbacher Konsenses zugrunde. Politische Bildung an Volkshochulen kann und will nicht „neutral“ sein, in dem Sinne, bestimmte politische Themen zur Wahrung des Neutralitätsgebots nicht behandeln zu dürfen. Auch dürfen sich vhs-Dozent*innen in ihren Veranstaltungen politische positionieren – nur Agitation oder Indoktrination darf nicht vorkommen.
Nur wenn es gelingt, diesen Freiraum zu bewahren, können die Volkshochschulen als kommunal verankerte Orte der politischen Bildungsarbeit ihre Aufgabe erfüllen, die Menschen dazu zu ermutigen und zu befähigen, rechtspopulistischen, rassistischen und antidemokratischen Parolen etwas entgegenzusetzen. Dabei ist nicht zuletzt die Vermittlung der oben angesprochenen Medienkompetenz eine Herausforderung. Gerade die Volkshochschulen mit Ihrer kommunalen Verankerung und ihrem
bundesweiten Netzwerk sind aufgefordert und in der Lage, der Verbreitung von Fake News, wie sie gerade in Zeiten der Coronakrise zu beobachten ist, entgegenzuwirken. Um dies leisten zu können bedarf es flächendeckender Qualifikationsmaßnahmen für Kursleiterinnen und Kursleiter im politischen Bildungsbereich. Diese sind besonders gefordert, diskriminierenden, marginalisierenden oder antidemokratischen
Äußerungen professionell zu begegnen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist zu achten, rassistische Agitation aber darf nicht geduldet werden.
Wo sehen Sie die Grenzen dessen, was politische Bildung erreichen kann?
Es gibt in unserer Gesellschaft einen geringen Anteil an Menschen mit einem fest verankerten rechtsextremistischen/rassistischen Weltbild (das zeigt u.a. die aktuelle Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung). Diese Menschen werden wir auch durch politische Bildungsarbeit nicht mehr erreichen. Gleichzeitig ist eine besorgniserregende Verfestigung rechtspopulistischer Einstellungen in der gesellschaftlichen Mitte
zu beobachten. Um diese Entwicklung aufzuhalten, muss politische Bildungsarbeit die Gruppe der Unentschlossenen, Enttäuschten und mit unserer Parteiendemokratie Hadernden adressieren. Diese Menschen können wir, zumindest zum Teil, erreichen, informieren und zur Diskussion einladen. Das ist unserer Aufgabe ebenso, wie die große demokratische Mehrheit in unserer Gesellschaft immer wieder in ihrer
Haltung bestärkt werden muss.
Wo sehen Sie Aufgaben, die über Ihren Bereich hinausgehen und etwa von der Politik oder der Gesetzgebung übernommen werden müssten?
Politische Bildungsarbeit kann nur dann wirksam sein, wenn ihre Finanzierung langfristig verlässlich gesichert ist. Eine Finanzierung politischer Bildung nach dem Feuerwehrprinzip, also kurzfristig in Krisensituationen, kann nicht funktionieren. Demokratie ist die einzige Staatsform, die gelernt werden muss und deren Grundlagen permanent diskutiert werden müssen. Das ist nur durch eine verlässliche Regelfinanzierung zu erreichen. Dabei muss immer auch der Bereich der Erwachsenenbildung berücksichtigt werden. Das muss seitens der Politik stärker ins Bewusstsein rücken, wie zuletzt die Verhandlungen zu den Corona-Hilfsmaßnahmen wieder deutlich gemacht haben. Ein zweiter Bereich ist die konsequente und effektive juristische Strafverfolgung bei rassistisch motivierten und diskriminierenden Vergehen. Das betrifft zunehmend auch den digitalen Raum. Beleidigungen, Gewaltandrohungen und Hetze im Netz sind keine Kavaliersdelikte, sondern müssen konsequent geahndet werden. Sie vergiften sonst nachhaltig das gesellschaftliche Klima.
Philip Smets ist Referent beim Deutschen Volkshochschul-Verband mit dem Arbeitsschwerpunkt Politische Bildung. Zuvor arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Göttingen zu den Themenfeldern Protest- und Bewegungsforschung und dem Verhältnis von Politik und Religion in der BRD. Außerdem engagierte er sich im Projekt „Europa Verstehen“ der Schwarzkopf Stiftung Junges Europa und war als Referent für politische Bildung für die Katholische Studierende Jugend (KSJ) aktiv.