Wie nehmen Sie die aktuelle demokratische Öffentlichkeit wahr?
Mit Blick auf den Präsidentschaftswahlkampf in den USA fokussiere ich die Rolle von Plattformen wie Facebook für die politische Kommunikation. Deren Bedeutung hat im Vergleich zu den traditionellen Medien in den letzten Jahren weiter zugenommen. Auch bei Rundfunk und Zeitungen wählen die Nutzer*innen aus, was sie rezipieren mögen. Aber bei sozialen Medien tritt meist noch eine durch Algorithmen personalisierte Auswahl von Beiträgen hinzu. Dies führt zu verschiedenen, aus demokratischer Perspektive problematischen Entwicklungen: Etwa, dass spektakuläre Inhalte, die für viele Reaktionen sorgen, bevorzugt angezeigt werden. Oder dass mir meinen Interessen und Meinungen, wie sie sich in meinem Verhalten auf der Plattform manifestieren, möglichst entsprechende Inhalte angezeigt werden. Freilich damit ich mehr Zeit dort verbringe, weil die Plattformen ein aufmerksamkeitsökonomisches Geschäftsmodell verfolgen. Diese Konstellationen korrespondieren zumindest mit der Fragmentierung von Teilöffentlichkeiten und einer gesellschaftlichen Polarisierung.
Gleichzeitig gibt es eine massive Diskussion vor allem über digitale Desinformation („Fake“ und „Junk News“), weil die Plattformen hier nicht als klassische Herausgeber fungieren. Doch ebenso kontrollieren sie die von Nutzer*innen publizierten Inhalte auf Konformität mit eigenen und gesellschaftlichen Regeln. Diese „content moderation“ ist hochkomplex weil kulturell und national spezifisch, zum Teil automatisiert und inhaltlich stets umstritten. Facebook richtet vor diesem Hintergrund derzeit mit erheblichem Aufwand ein internationales, unabhängiges Gremium („Oversight Board“) ein, das in diesem Bereich Grundsatzentscheidungen fällen soll, an dem sich die Plattform dann orientieren will. Des Weiteren gibt es punktuelle Faktencheck-Projekte, die die Verbreitung irreführender Inhalte durch Kennzeichnung mit Warnhinweisen sowie „down-ranking“ im „news-feed“ eindämmen sollen.
Schließlich ermöglichen Plattformen es auch, politische Werbung so spezifisch auszuspielen, dass sie vor allem den Nutzer*innen angezeigt wird, die dafür inhaltlich besonders empfänglich erscheinen. Insofern lässt sich die Ansprache potenzieller Wähler*innen weiter optimieren und auch ausdifferenzieren. Trotz Instrumenten, die etwa durch die Archivierung von unzähligen Variationen von Anzeigen-Motiven für mehr Transparenz sorgen sollen, entsteht so eine opake Situation für die Wählerschaft, aber auch für die Beobachtung durch die Wissenschaft, ebenso wie für die politische Öffentlichkeit: Für welche Botschaften stehen Kandidierende denn nun und wessen Interessen vertreten sie eigentlich? Insofern stellt die Plattformisierung politischer Kommunikation demokratische Öffentlichkeiten vor Probleme, die nach Lösungen durch Regulierung oder Selbstregulierung verlangen.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Plattformen und Rechtspopulismus?
Es gibt zumindest strukturelle Bedingungen, die es erlauben, in sozialen Medien was die Resonanz angeht recht erfolgreich populistisch zu kommunizieren. Eine Rolle spielt ein inhaltlich verkürzender wie visuell drastischer Kommunikationsstil, der sich in populären Formaten manifestiert, die gerne geteilt werden. Die virale Verbreitung solcher Inhalte profitiert davon, dass sie intensive Reaktionen auslösen. Generell funktionieren Inhalte auf vielen Plattformen besonders gut, wenn sie gerade noch zulässig sind; „borderline content“ wie Mark Zuckerberg dies nennt. Anonymität, geschlossene Gruppen und nicht-öffentliche Dienste befördern in diesem Zusammenhang auch die Kommunikation von Verschwörungserzählungen, die ansonsten eventuell durch öffentliche Gegenrede problematisiert werden. Am Beispiel von Donald Trump zeigt sich darüber hinaus wie etwa dessen Tweets nicht nur seine Follower beschäftigen, sondern dass es ihm durchaus gelungen ist, damit auch die Agenda von etablierten und kritischen Medien in einem erheblichen Ausmaß zu prägen. Von diesen Varianten der Verstärkung prekärer Inhalte profitieren gerade rechtspopulistische Akteure.
Welche Rolle spielt politische Bildung in diesem Kontext?
Der Prozess der Regulierung oder Selbstregulierung algorithmischer Öffentlichkeit hat gerade erst begonnen und bedarf vor allem einer weiteren Aufklärung von Funktionsweisen und Auswirkungen immer neuer sozial-medialer Angebote. Dies bedarf zunächst eines systematischen Monitoring der Plattformen durch externe Akteure, das mit den bislang existierenden Instrumenten in Echtzeit kaum praktikabel erscheint. Deshalb muss politische Bildung präventiv zur Medienkompetenz der Bürger*innen beitragen. Das ist keine Aufgabe, die sich ausschließlich oder prioritär an jüngere Zielgruppen richtet und deshalb allein in der schulischen Ausbildung zu erledigen wäre. Auch in der Erwachsenenbildung muss „data literacy“ für gut informierte Bürger*innen eine Rolle spielen. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach einem „öffentlich-rechtlichen“ Pendant zu den privatwirtschaftlich verfassten Plattformen. Diese könnten den Bürger*innen nicht nur vergleichbare kommunikative Funktionen anbieten, sondern vielleicht sogar als Plattform für Formate digitaler Partizipation fungieren. Solange solche Alternativen fehlen, müssen Inhalte politischer Bildung auch dort verfügbar sein, wo das Publikum zu finden ist: Auf Video-Plattformen, in Messenger-Diensten oder sozialen Netzwerken.
Dr. Erik Meyer ist Politikwissenschaftler und Fellow am Center for Advanced Internet Studies in Bochum. Dort bearbeitet er das Projekt „Die US-Präsidentschaftswahl 2020 im Kontext der Plattformisierung politischer Kommunikation: Algorithmische Öffentlichkeit und datenbasierte Kampagnenführung“. Damit schließt er sowohl an seine Publikation „Zwischen Partizipation und Plattformisierung: Politische Kommunikation in der digitalen Gesellschaft“ (Campus 2019) als auch eine Presse- und Social-Media-Schau zum Thema „Desinformation und Europawahl“ an, die er 2019 für die Bundeszentrale für politische Bildung kuratiert hat. Erik Meyer arbeitet freiberuflich als Autor und Dozent. In den kommenden Monaten berichtet er hier in einigen Beiträgen über Erkenntnisse zu aktuellen Entwicklungen bei der US-Wahl.