„Die Corona-Pandemie bündelt bestehende repressive Tendenzen weltweit wie ein Brennglas. Die aktuelle Rangliste der Pressefreiheit zeigt, dass schon vor der aktuellen Krise erschreckend viele Regierungen und politische Kräfte in ganz unterschiedlichen Ländern bereit waren, die Pressefreiheit ihrem Machtstreben unterzuordnen“, sagte die Vorstandssprecherin von Reporter ohne Grenzen, Katja Gloger. „Wer freien Zugang zu unabhängigen Informationen auch künftig sicherstellen will, muss sich gerade in schwierigen Zeiten dafür starkmachen, dass Journalistinnen und Journalisten ungehindert recherchieren und berichten können.“
Reporter ohne Grenzen/Rangliste 2020
Reporter ohne Grenzen
Die Rangliste der Pressefreiheit 2020
Die aktuelle Rangliste der Pressefreiheit sowie die dieser zugrunde liegenden Länderberichte der Organisation Reporter ohne Grenzen zeigt, dass das Corona-Virus die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung insgesamt und der Pressefreiheit insbesondere in vielen Ländern verstärkt. Die unabhängige Arbeit von Journalistinnen und Journalisten wird an zahlreichen Orten der Welt massiv erschwert – deutliche und bedenkliche Ergebnisse.
Wir nehmen dies zum Anlass, einen Blick auf die internationalen Entwicklungen in der Rangliste zu werfen und im Anschluss auf die Situation von Journalistinnen und Journalisten in Deutschland zu blicken.
Internationale Entwicklungen
Reporter ohne Grenzen dokumentiert Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit weltweit und alarmiert die Öffentlichkeit, wenn Journalisten und deren Mitarbeiter in Gefahr sind. Die Organisation setzt sich für mehr Sicherheit und besseren Schutz von Journalisten ein und kämpft online wie offline gegen Zensur, gegen den Einsatz sowie den Export von Überwachungstechnik und gegen restriktive Mediengesetze.
Schaut man auf die weltweite Entwicklung der Pressefreiheit, zeigen sich besorgniserregende Tendenzen. In Diktaturen, autoritären und populistischen Regimen wie in China, Saudi-Arabien und Ägypten sitzen viele Medienschaffende wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Besonders prekär wird das Ganze, wenn in Zeiten der Corona-Pandemie Zensuranordnungen über den Gesundheitsschutz gestellt werden. Journalisten riskieren ihre Freiheit und teilweise auch ihr Leben, um die Bevölkerung über die Gefahren von Covid-19 aufzuklären. Das Verschweigen der Gefahr durch das Virus verzögerte zudem weltweit ein schnelleres Eingreifen.
„Die Covid-19-Pandemie hat weltweit gravierende Auswirkungen auf die Pressefreiheit. Regierungen halten Informationen über das Ausmaß der Epidemie zurück. Manche Regime versuchen, die Berichterstattung zu manipulieren. Journalistinnen, Journalisten und ihre Redaktionen werden festgenommen oder angefeindet, weil sie unabhängige Informationen über die Epidemie veröffentlichen.“
Pressefreiheit in der Corona-Krise
Reporter ohne Grenzen
In Singapur und Benin verkehrt sich der Kampf gegen Desinformation und Fakenews ins Gegenteil. Die dortigen Regierungen nutzen diese für eigene Zwecke und sorgen somit für eine Einschränkung der Pressefreiheit. Ein ähnliches Vorgehen findet man in Russland, Indien, den Philippinen und Vietnam. Auch dort werden Desinformationen gestreut, um die öffentliche Meinung zu steuern und Journalistinnen und Journalisten in Misskredit zu bringen.
Zusehends schwieriger wird die Situation für Medienschaffende in den USA und in Brasilien. Dort hetzen die Präsidenten selber gegen die Presse und erschweren somit nicht nur eine Berichterstattung über politische Ereignisse, sondern senken gleichzeitig die Hemmschwelle für körperliche und verbale Attacken auf Journalisten, die bspw. im Rahmen von Demonstrationen berichten. Für manch einen ist die Abwertung der Medien durch die Machthabenden eine willkommene Bestätigung für den eigenen Hass gegenüber ungewollter Berichterstattung.
2019 entlud sich das Misstrauen gegenüber den unabhängigen Medien auch bei Protesten im Irak, im Libanon, in Chile, Bolivien und Ecuador in Form von Gewalt gegen Reporterinnen und Reporter. Die Aggressoren kommen häufig aus nationalistischen Zusammenschlüssen und rechtsextremistischen Gruppierungen, so auch in Spanien, Italien und Griechenland. Dort berichten viele Journalistinnen und Journalisten von direkten Drohungen. Dies ist auch in Deutschland der Fall, weshalb wir im zweiten Teil dieses Beitrags die hiesige Situation etwas näher betrachten werden.
Reporter ohne Grenzen bietet neben einer interaktiven Weltkarte mit zahlreichen Länderberichten einen internationalen Ländervergleich.
Zusätzlich unter Druck gerät die Arbeit unabhängiger Medien durch wirtschaftliche Schwierigkeiten, die unter anderem auf schwindende Gewinne aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung der Medienlandschaft zurückzuführen sind. Konsequenzen sind Verkleinerungen von Redaktionen und die Übernahme kleinerer Medienbetriebe durch wenige große Anbieter, welches Interessenkonflikten Vorschub leistet. Reporter ohne Grenzen nennt hier betroffene Staaten wie die USA, Argentinien, Tschechien, Bulgarien, Rumänien, Slowakei und Slowenien.
Und in Deutschland?
„Gewalt, verbale Angriffe und Einschüchterungsversuche gegen Journalistinnen und Journalisten bleiben in Deutschland erschreckend häufig. Immer wieder gibt es Gesetzesinitiativen, die den Informanten- und Quellenschutz bedrohen. Journalistinnen und Journalisten sollen vermehrt durch Unterlassungserklärungen eingeschüchtert und von Veröffentlichungen abgehalten werden. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie seit März 2020 verändern die Bedingungen journalistische Arbeit drastisch.“
Nahaufnahme Deutschland
Reporter ohne Grenzen 2020
Demokratie und Pressefreiheit bedingen sich gegenseitig. In demokratisch regierten Ländern gelten Meinungs- und Pressefreiheit als hohes Gut. Die praktische Umsetzung derer wiederum stabilisiert die Demokratie. Entsprechend verwundert es nicht, dass die oberen Plätze der Rangliste der Pressefreiheit ausschließlich von Ländern mit demokratisch verfassten Regierungen belegt werden, in denen die Gewaltenteilung funktioniert. Deutschland findet sich auf dem Platz 11 (2019: Platz 13). Zunächst einmal also eine positive Entwicklung, die jedoch im Rahmen der Corona-Pandemie seit März 2020 empfindliche Störungen durch Entwicklungen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene erleidet.
Sowohl das ZDF als auch der DJV reagierten entsetzt auf die Gewalt und veröffentlichten im Anschluss Stellungnahmen. Die heute-Show thematisierte den Übergriff zudem innerhalb der Sendung. Der DJV forderte einen effektiveren Schutz von Journalistinnen und Journalisten.
Nachdem 2019 die Zahlen der Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten zurückgegangen sind, zeigt sich 2020 im Rahmen der Corona-Pandemie eine deutliche Gefährdungslage für die Berichterstattung unabhängiger Medien. Im Rahmen sogenannter Hygienedemos, deren Teilnehmer sich gegen die Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie stellen, wurde unter anderem ein Team des ZDF, welches für die Satiresendung „heute-Show“ einen Beitrag drehte, nach Beendigung der Dreharbeiten auf seinem Rückweg plötzlich von einer Gruppe heftig körperlich attackiert. Dabei sollen Eisenstangen benutzt worden sein und mehrere Mitarbeiter des ZDF mussten im Anschluss im Krankenhaus behandelt werden. Nur 5 Tage später wurde – ebenfalls im Rahmen der Berichterstattung auf einer Hygienedemo – ein Kamerateam der ARD attackiert.
Hass und Angriffe auf Medienschaffende
Eine Studie zur Wahrnehmung von und Erfahrung mit Angriffen auf Journalist*innen
Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Universität Bielefeld, Mai 2020
Die aktuelle Publikation „Hass und Angriffe auf Medienschaffende – Eine Studie zur Wahrnehmung von und Erfahrungen mit Angriffen auf Journalist*innen“ gibt Einblick in die Arbeitssituation von Journalisten und zeigt eine deutliche Gefährdungslage. Durchgeführt hat die Untersuchung das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Die Befragung erfolgte anonym und online. Fragen konnten übersprungen werden, um die Teilnahme möglichst niedrigschwellig zu halten. 2.172 Medienschaffende griffen auf die Umfrage
zu und 322 von ihnen füllten die Umfrage vollständig aus. Die Befragungsergebnisse zeigen mit knapp 60 % einen hohen Anteil von Medienschaffenden, die bereits Erfahrungen mit Drohungen und/oder Gewalt gemacht haben. 16,2 % der Befragten berichten, dass sie in ihrem Berufsleben schon einmal körperlich angegriffen worden sind und 15,8 % haben sogar bereits einmal eine Morddrohung erhalten. Themen wie „Migration“, „AfD“ und „Flüchtlinge“ werden als besonders gefährdend für die journalistische Arbeit eingeschätzt. Entsprechend werden die erlebten Anfeindungen zu einem überwiegenden Teil einem rechten politischen Spektrum zugeordnet (82,4 %).
Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) ist eine gemeinnützige Organisation, die 2015 in Leipzig gegründet wurde. Es basiert auf der Europäischen Charta der Pressefreiheit und der Charta der Grundrechte der Europäer Union. Unter anderem wurde der Press Freedom Police Codex erarbeitet, der in acht Abschnitten erklärt, wie Polizei und Journalisten einvernehmlich zusammenarbeiten können.
Ähnliche Ergebnisse zeigen auch die Daten des European Centre for Press and Media Freedom ECPMF, die jährlich seit 2015 erhoben werden. Auch hier zeigt sich insbesondere eine Bedrohungslage aus dem rechten Lager für Medienschaffende, Journalistinnen und Reporter. 92 von 119 Angriffen sind dem rechten Spektrum zuzuordnen, in 16 Fällen ist die politische Zuordnung nicht eindeutig und bei elf Übergriffen handelt es sich um Angriffe aus dem linken Lager. Aussagekräftig ist zudem der Umstand, dass von den insgesamt 92 rechten Angriffen 79 auf oder im Umfeld von Demonstrationen stattfanden. Politische Demonstrationen des rechten Lagers stellen somit die gefährlichsten Orte für Journalistinnen und Journalisten in Deutschland dar. Das traurige Fazit der 5-Jahres-Bilanz des ECPMF: „Nach fünf Jahren zeichnet sich ein deutliches Bild: Angriffe auf die Presse sind inzwischen der Normalzustand.“
ECPMF
„Virtual Talk: : No lockdown for press freedom: misuse of Corona crisis to silence journalism in Europe“
Ein Zustand, der keineswegs hingenommen werden darf. Eine unabhängige Berichterstattung über politische Demonstrationen ist wichtig, um gesellschaftliche Entwicklungen nachzuvollziehen und Gefährdungslagen zu erkennen. Der Schutz von Journalistinnen und Journalisten muss gewährleistet werden. Wir sind darauf angewiesen, dass Medienschaffende sich immer wieder trauen, über Demonstrationen (kritisch) zu berichten. Politik, Polizei und Gesellschaft müssen sich deutlich positionieren und damit vermeiden, dass es künftig „No-Go-Demonstrationen“ gibt, über die vor Ort keine unabhängige Presse mehr berichten mag oder kann.