Im Anschluss an die beiden Impulsreferate begann die Diskussion zum Thema „(Rechts-)Populismus, öffentliche Meinungsbildung und die gesellschaftliche Verantwortung der Medienschaffenden“ in Form einer Fishbowl. In einem inneren Kreis saßen geladene Referentinnen und Referenten, in einem äußeren das interessierte Publikum, das sich ebenfalls mit Redebeiträgen in die Diskussion einbrachte.
Wir haben die Direktorin des Grimme-Instituts, Dr. Frauke Gerlach, zu den Ergebnissen der Diskussion befragt. Diese fassen wir im Folgenden zusammen.
In der Fishbowl wurde drei verschiedene Grundthemen besprochen. Es ging um Berichte von Personen, die vor Ort für eine offene und freie Gesellschaft tätig sind; um Unterstützung von Journalist(inn)en in ihrer Arbeit; um Hinweise für die praktische Arbeit von Journalist(inn)en.
Frau Gerlach berichtet von einem Diskussionsteilnehmer, der sich vor Ort gegen rechts engagiert und in der Diskussion beschrieb, welche Übergriffe gegen Menschen gerichtet sind, die sich – etwa in der Flüchtlingshilfe oder für eine offene Gesellschaft – engagieren. Diese würden teilweise massiv bedroht und empfänden entsprechende Situationen als lebensbedrohlich. Die Betroffenen trauten sich kaum, mit anderen über solche Vorfälle zu reden. Sie müssten – so die Forderung des Redners – eine Stimme bekommen, besonders aber auch Schutz, insbesondere dann, wenn sie aus ländlichen Regionen stammten und sich – auch aufgrund fehlender Hilfsstrukturen – allein gelassen fühlten. Eine Konsequenz daraus, so das Fazit von Frauke Gerlach, müsse eine gesellschaftliche Ächtung menschenfeindlicher Vorfälle sein. Eine Unterstützung und Strukturen vor Ort, die einen größeren Zusammenhalt befördern, wären dringend nötig. Vor allem brauchen Betroffene eine Stimme.
Jana Merkel, eine der Macherinnen der Reportage „Vom rechten Rand“, berichtete von der Entstehung des Films. Neben Bedrohungen gebe es auch positive Beispiele. Diese müssten – unter anderem zur Ermutigung – ebenfalls gezeigt werden. Es gibt aber auch immer wieder Bedrohungen von Journalistinnen und Journalisten während ihrer Arbeit. Deshalb müsse es einen größeren Schutz von Journalistinnen und Journalisten durch die Polizei geben, etwa bei der Berichterstattung über Demonstrationen und Versammlungen. Auch Schulungen für die Polizei wurden in diesem Kontext als sinnvoll erachtet, um noch stärker herauszustellen, dass Journalisten in ihrer Rolle als Vierte Gewalt unbehelligt ihrer Arbeit nachgehen können müssen. Eine solche Initiative hat sich bereits gegründet: Das European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) hat gemeinsam mit anderen europäischen und nationalen Organisationen Anfang Dezember 2019 die Leitlinien des „Press Freedom Police Codex“ vorgestellt. Die Leitlinien sowie weitere Informationen sind hier zu finden.
Abschließend ging es um praktische Hinweise für die journalistische Arbeit bzw. darum, wie rechtspopulistische Themen in den Medien behandelt werden sollten, darunter solche, die der Binnenreflexion helfen, und solche, die sich mit (äußeren) Rahmenbedingungen bzw. praktischen Arbeitshilfen befassen. Einige der Ratschläge derer, die sich seit geraumer Zeit mit diesem Komplex befassen, sowie weitere Ergebnisse der Diskussion sind:
- Grundsätzlich gelte, dass man es vermeiden solle, der Medienstrategie der Rechten zu folgen.
- Akteure aus der rechten Szene dürften nicht (etwa durch Überhöhung und Dämonisierung) größer gemacht werden, als sie sind.
- Porträts sollten immer kontextgebunden sein und der ideologiegeschichtliche Zusammenhang sollte genannt werden.
- Man müsse in der Recherche akribisch sein. Dies wurde als unverzichtbar genannt und mit der Forderung verbunden, mehr Zeit und Geld für diese Recherchetätigkeiten zur Verfügung zu haben.
- Die Anwesenden regten auch an, klassische journalistische Formen wie Porträts und Reportagen zu hinterfragen.
- Gewünscht wurde darüber hinaus Unterstützung bei der Definition von Rechtspopulismus und Abwandlungen davon. An dieser Stelle sei auf die Dossiers „Rechtsextremismus“ und „Rechtspopulismus“ der Bundeszentrale für Politische Bildung verwiesen.
- Allgemeiner gefasst wurden mehr Medienkompetenzvermittlung für Kinder und Erwachsene und auch neue didaktische Formate mit anderen Reichweiten und Zielgruppen verlangt.
- Gewünscht wurde auch, dass ziviler demokratischer Widerstand in den Medien abgebildet werde.
- Für die Binnenreflexion wünschten sich die Anwesenden sichere, medien- und publikumsfreie Dialogräume, um sich über vorhandene Probleme und Herausforderungen auszutauschen.
- Diese Dialogräume bzw. Foren, um sich auszutauschen, sollten möglichst auch außerhalb der eigenen Medienhäuser oder Sender organisiert werden. Der Austausch selbst sollte professionalisiert und Hintergrundwissen sollte geteilt werden.
- Eine kritische Selbstbeobachtung, sowohl formal als auch inhaltlich, gehörte genauso dazu wie das Arbeiten an neuen Narrativen.
„In der … Tradition des Grimme-Preises wie auch der des Grimme-Instituts spielen die Grundwerte einer liberalen und freiheitlichen Gesellschaft eine tragende Rolle. Insofern bezieht sich der Qualitätsdiskurs auch immer wieder auf die Regeln, die sie tragen, das Grundgesetz. Insofern können diskursbegleitende Grundrechtsnormen genannt werden, wie die Unverletzlichkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), wenn es beispielsweise um die Darstellung von Gewalt, dokumentarisch wie fiktional, geht. In den Jurys und Kommissionen finden regelmäßig grundsätzliche Diskussionen über Gender- und Gleichstellungsfragen statt (Art. 3 Abs. 2 GG). Als Grundregel spielt die Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) eine wesentliche Rolle. Es ging in den letzten Jahren aus aktuellem Anlass in den bepreisten Produktionen immer wieder um Themen wie Flucht und Asyl (Art. 16 a Abs. 3 GG). Gegenstand des Qualitätsdiskurses sind auch gesellschaftszersetzende Entwicklungen, die sich gegen wesentliche Grundrechte stellen, wie Rassismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus. Die gesellschaftliche und politische Aktualität von Themen hat seit der Gründung des Grimme-Preises zentrale Relevanz im Kontext des Diskurses über Qualität. Anhand ausgezeichneter Produktionen und der Preisbegründungen lässt sich dies nachvollziehen.“
Quelle: Frauke Gerlach (Hg.), „Medienqualität. Diskurse aus dem Grimme-Institut zu Fernsehen, Internet und Radio“ (erscheint im Herbst 2020).
In diesem Kontext ist der Wunsch an das Grimme-Institut herangetragen worden, einen solchen geschützten Raum zur Verfügung zu stellen. Mit der (Vor-)Planung einer solchen (geschlossenen) Veranstaltung unter dem Titel „Marler Klausur“ ist bereits begonnen worden.
Über dieses Angebot hinaus wird sich das Grimme-Institut im kommenden Jahr sehr intensiv mit dem Thema Rechtspopulismus auseinandersetzen. In Dortmund wird es im Frühjahr 2020 eine Folgeveranstaltung zu „(Rechts-)Populismus, öffentliche Meinungsbildung und die gesellschaftliche Verantwortung der Medienschaffenden“ geben, in der die Ergebnisse der Leipziger Veranstaltung aufgegriffen und die Gesprächsrunde durch weitere Referentinnen und Referenten ergänzt werden sollen. Nach Dortmund werden neben Medienschaffenden auch Vertreter der Medien- und Innenpolitik, der Erwachsenenbildung sowie gesellschaftlich Engagierte eingeladen.
In der Grimme-Publikation „Medienqualität. Diskurse aus dem Grimme-Institut zu Fernsehen, Internet und Radio“, die im Herbst 2020 veröffentlicht wird, geht es unter anderem um die Geschichte des Instituts und seiner Preise sowie um den damit untrennbar verbundenen Qualitätsdiskurs.
Auch die Grimme-Veranstaltung Social Community Day (ebenfalls Herbst 2020) wird sich dem Thema Rechtspopulismus und Medien widmen. In der Organisation der Preise des Grimme-Instituts, dem Grimme-Preis und dem Grimme Online Award, wird ein waches Auge auf Produktionen mit gesellschaftlicher Relevanz geworfen. Eine Publikation zum Thema Rechtspopulismus ist in Planung. Im Bereich der Grimme Forschung befasst sich ein Projekt mit neuen Formen der Erinnerungskultur. Und auch der für den Herbst 2020 angesetzte Tag der Medienkompetenz im Landtag NRW wird sich mit Faktoren einer digitalen Gesellschaft beschäftigen, zu der unter anderem auch die Rolle von Medien bzw. Öffentlichkeit im Hinblick auf Mitgestaltung einer lebendigen Demokratie gehört.