… und warum ein zweiter Medienhype unbedingt verhindert werden muss
Der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Prof. Dr. Kai Hafez von der Universität Erfurt trug das erste Impulsreferat der Veranstaltung vor. Lesen Sie hier sein Redemanuskript.
„Brandbeschleuniger des Rechtspopulismus. Wie die Medien zur Ausbreitung des Rechtsradikalismus beitragen und warum ein zweiter Medienhype unbedingt verhindert werden muss“ – Impulsvortrag im Rahmen der Veranstaltung „(Rechts-) Populismus, öffentliche Meinungsbildung und die gesellschaftliche Verantwortung der Medienschaffenden“ , eine Kooperation des Grimme-Instituts mit der Volkshochschule Leipzig, am 28. Oktober 2019.
Einleitung
Die Jahre 2015 und 2016 stellten für das Verhältnis von Massenmedien und westlicher Demokratie einen Wendepunkt dar. Donald Trump wurde in den Vereinigten Staaten zum Präsidenten gewählt, trotz und wegen einer häufig kritischen, in jedem Fall aber überbordenden Beachtung durch die Massenmedien. Seine zahlreichen Mitbewerber wurden im Vergleich zu Trump in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Die amerikanischen Medien verfuhren nach dem Prinzip „bad news is good news“. Thematische Aufmerksamkeit war hier deutlich wichtiger als der Inhalt, die häufig geradezu obszöne Gestalt Trumps bestimmte die Medienagenda. Nach dem kommunikationswissenschaftlichen Theorem des Agenda Setting beeinflussen die Medien nicht zwangsläufig, wie Menschen denken, aber sie prägen in hohem Maße, worüber Menschen nachdenken. Der extrem hohe mediale Beachtungsgrad einer Anti-System-Kampagne wie der von Trump verhalf dieser also zum politischen Erfolg beim Wähler.
Auch für das Verhältnis der Massenmedien zum deutschen Rechtspopulismus waren die Jahre 2015 und 2016 prägend. Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ erweckte im Frühjahr und Sommer 2015 zunächst ein sehr positives Medienecho, bis dann in einer Koalition des rechtskonservativen Teiles von CDU/CSU und großer Massenmedien ein Rechtsruck des deutschen öffentlichen Diskurses erfolgte. Die Silvesternacht 2015/16 wurde quasi zu einer arabischen Massenvergewaltigung hochstilisiert. Hooliganistische sexualisierte Übergriffe wurden mehr als andernorts medial beachtet, tendenziell zu einer – bis heute nicht nachgewiesenen – Massenvergewaltigung hochgeschrieben und zur zentralen Metapher einer in Medien und öffentlicher Meinung zunehmenden Abneigung gegenüber Migranten und Geflüchteten. „Der arabische Mann“ stand am öffentlichen Pranger. Im Jahr 2016 gab es dann etwa 50 Talkshows im deutschen Fernsehen über die Flüchtlingsfrage, keine einzige über den deutschen Abgasskandal, der seit 2015 bekannt war. Diese eine Ziffer schon zeigte eine enorme diskursive Schieflage.
In Deutschland war anders als in den Vereinigten Staaten zunächst nicht die Überbeachtung rechtspopulistischer Akteure das Problem, sondern eine geradezu freiwillige bzw. vorauseilende Übernahme der rechtspopulistischen Agenda durch weite Teile der großen Massenmedien. Zwar zeigt sich in jüngerer Zeit, vor allem nach dem antisemitischen Anschlag in Halle 2019, eine erneute Wende hin zu einer etwas konsequenteren medialen Stigmatisierung des Rechtsextremismus und des vom Rechtsextremismus infizierten Rechtspopulismus (der AfD). Für die vergangenen Jahre muss jedoch festgestellt werden, dass der Rechtsruck deutscher Medien einen erheblichen negativen Einfluss auf die öffentliche Haltung gegenüber Flüchtlingen besaß und der deutsche Journalismus leistete dem Rechtspopulismus durch massive Aufmerksamkeit für rechte Themen und Events wie Pegida (oft unbewusst) massiv. Das Mediensystem in Deutschland scheint kaum in der Lage zu sein, der Versuchung zu widerstehen, sich der theatralischen Inszenierung selbst ernannter rechter Herausforderer des politischen Systems zu entziehen. Die Skandalisierung des Politischen und die Boulevardisierung des Journalismus gehen eine unheilvolle Symbiose ein.
Der Deutsche Kulturrat hat daher nicht umsonst eine Sendepause für Talkshows gefordert. Der Rundfunkrat des WDR hat die eigenen Moderatoren und Produktionsteams kritisiert. Die Rolle der deutschen Massenmedien ist ein „Skandal im Skandal“ des erstarkenden deutschen Rechtspopulismus, über den die Medien allerdings bislang weithin schweigen. Statt sich der kosmopolitischen und antirassistischen Kritik zu stellen und seine Rolle als „Brandbeschleuniger des Populismus“ umfassend zu reflektieren, haben sich viele Journalisten in den letzten Jahren an der instrumentellen These der politischen Rechten von der sogenannten „Lügenpresse“ abgearbeitet und sich davon beeindruckt gezeigt. In der Wissenschaft gibt es kaum seriöse Studien, wonach das Bild von Migranten und Muslimen in deutschen Medien in den letzten Jahrzehnten zu positiv bewertet worden wäre – dennoch haben die großen Massenmedien in vorauseilendem Gehorsam den Diskurs nach rechts verschoben. Die Medien werden tendenziell zum Opfer ihrer eigenen Bildkonstruktion eines politischen Kampfes zwischen dem liberaldemokratischen System und seinen rechten Herausforderern, das bei aller besorgniserregender Entwicklung des deutschen Rechtsradikalismus und angesichts des mit höchstens 15 Prozent im bundesdeutschen Durchschnitt noch immer relativ geringen Zuspruchs der AfD eine gravierende Verzerrung ist, die von vielen wichtigen Problemen des Landes ablenkt und das Prinzip einer rationalen Öffentlichkeit im Kern gefährdet, da hier nicht substantielle Beiträge einer Oppositionspartei verhandelt werden – sondern Provokationen.
Es gibt viele gute Journalisten in Deutschland, die diese Problematik durchaus erkennen, die den Rechtspopulismus und Rechtsextremismus nicht überbewerten wollen, sondern ihn sinnvoll und kritisch begleiten möchten. Zudem gibt es unter den deutschen Journalisten hervorragende Experten und Detailkenner der rechten Szene. Der einzelne Journalist bleibt jedoch machtlos gegenüber den Gesetzen des Marktes und des Politainment. Die Unterwanderung der journalistischen Ethik, die die Grenzen zwischen Inszenierung, Objektivität und politischer Substanz verschwimmen lässt, schreitet voran. Das Verhältnis zwischen Medien und Rechtspopulismus lässt sich durchaus als Drama bezeichnen – ein Drama in mindestens drei Akten, wie ich im Folgenden zu zeigen versuchen werde.
These Nr. 1: Wer den Rechtspopulismus bekämpfen will, muss Islamfeindlichkeit bekämpfen, und wer Islamfeindlichkeit bekämpfen will, muss das Islambild der Medien verbessern.
Dieser Zusammenhang wird bisher in der Öffentlichkeit nur sehr selten thematisiert. Viele Studien zeigen, dass etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung islamfeindliche Züge aufweist. Der Islam wird hier pauschal als „nicht passend“ zu Deutschland oder „gewaltsamer“ als andere Religionen charakterisiert. Islamfeindlichkeit ist kein ostdeutsches Problem, wenngleich fremdenfeindliche Gewalt hier stärker ausgeprägt zu sein scheint. Mit der Realität des Islams in Deutschland hat die Negativwahrnehmung vieler Menschen nur begrenzt etwas zu tun. Der Anteil von Extremisten unter deutschen Muslimen liegt unter 1 Prozent. Es gibt mit über 160 rassistischen Morden seit der deutschen Wiedervereinigung eine viel höhere Anzahl an antiislamischen Gewalttaten in Deutschland. Zwar gibt es zweifelsohne zahlreiche Gewaltprobleme in der islamischen Welt und einen weltweit operierenden islamistischen Terrorismus. Dies begründet aber nicht die weit verbreiteten Vorurteile gegenüber Muslimen. Diese wurzeln in Wirklichkeit in sehr langen eurozentrischen und islamfeindlichen Traditionen westlicher Länder.
Zwischen der Medienberichterstattung und der in der öffentlichen Meinung verbreiteten Islamfeindlichkeit besteht ein enger Zusammenhang. In den Medien herrscht seit vielen Jahrzehnten ein Negativbild des Islams vor. Der Wendepunkt war hier die iranische Revolution von 1978/79, die als eine Art Erweckungserlebnis der medialen Islamwahrnehmung bezeichnet werden kann, mehr noch und wesentlich deutlicher als die Attentate des 11. September 2001. Je nach Medium und Zählweise sind 60-80 Prozent der Themenanlässe des Islams im deutschen Fernsehen wie auch in den großen nationalen Pressemedien negativ. Es herrschen die bekannten Themen von Frauenunterdrückung, Terrorismus, Fundamentalismus und Fanatismus vor.
Die visuelle Agenda des Islams ist geprägt von symbolischen Demarkationen wie Kopftüchern, Koran und Kalaschnikows. Publizistische Islamfotografie ist extrem angsterzeugend. Zwar sind verbale Stereotype im Laufe der Jahrzehnte zurückgegangen, ihre Funktion ist jedoch nahtlos von visuellen Stereotypen übernommen worden. Zur Visualitätsproblematik gehört auch eine verringerte Kontextsensibilität, beispielsweise dort, wo Bilder der Großen Moschee in Mekka neben Berichten über islamistischen Terrorismus platziert werden, was den Islam allgemein einem Gewaltverdacht aussetzt. Ähnliche Konstruktionen – der Petersdom in Rom neben einem Artikel über den katholischen Terrorismus der IRA – hat es wohl nie gegeben. Beim Thema Islam fehlt gerade den großen bildorientierten Pressemedien in Deutschland jede kulturelle Sensibilität.
Das Hauptproblem des deutschen Journalismus aber ist der diskursstrukturelle Rassismus, der sich nicht so sehr in stereotypen verbalen Aussagen, sondern in einer selektiven Negativagenda ausdrückt. Ohne auch nur eine einzige islamfeindliche Formulierung zu benutzen, suggeriert die permanente Thematisierung von Negativaspekten einer Weltreligion und ihrer Anhänger einen tiefen Antagonismus zum sogenannten westlichen Kulturraum (Ähnliches gilt übrigens im Bereich des Antisemitismus, wo das Judentum überwiegend im Rahmen des Nahostkonflikts Beachtung findet). Islamfeindlichkeitsraten in der öffentlichen Meinung korrelieren mit den negativen Prozentwerten der medialen Agenda in einer Weise, die Kausalitätsannahmen geradezu zwingend nahelegen.
Die Medien sind sicherlich nicht der einzige Grund für die Islamfeindlichkeit in Deutschland, aber sie sind ein zentraler Faktor, weil sie tradierte und von politischen Akteuren ständig genährte Stereotype auf Massenbasis permanent reproduzieren. Durch die großen Massenmedien in Deutschland bleibt die Islamfeindlichkeit salonfähig. Es wäre an dieser Stelle dringend erforderlich, nicht nur über einzelne differenzierte Beiträge nachzudenken, sondern über eine Wende zum sogenannten „konstruktiven Journalismus“, der negative Entwicklung im Islam keineswegs leugnet, aber auch die internen Differenzierungen der komplexen muslimischen Welt zur Kenntnis nimmt. Die Islamagenda der Medien muss nicht in Einzelteilen, sondern in ihrer Grundstruktur neu justiert werden, will man dem Rassismus in Deutschland begegnen.
Der Rechtspopulismus hat das Feindbild Islam als politische Ressource erkannt und abgeholt. Das Feindbild war virulent vorhanden und es ist nun absolut zentral u.a. für das Parteiprogramm der AfD oder selbst ernannter sozialer Bewegungen wie Pegida. Die Massenmedien haben dem Rechtspopulismus also – ohne es vielleicht zu merken – einen Dienst erwiesen.
Während der deutschen Islamkonferenz in den Jahren 2006 bis 2009 – also lange vor der Gründung der AfD – ist der Versuch unternommen worden, deutsche Medienmacher um einen Runden Tisch zu versammeln. Fast niemand aus den Chefetagen der deutschen Medien war jedoch dazu bereit, am strukturellen antiislamischen Rassismus der großen Massenmedien hat sich seitdem nichts geändert. Seit etwa 25 Jahren forsche ich auf dem Gebiet des Islambildes der Medien und warne vor der politischen Brisanz der salonfähigen Islamfeindlichkeit. Dieser gesamte Forschungszweig hat weltweit einen enormen Zulauf bei Forschern und Studierenden. Deutsche Bildungsträger und Akademien haben bereits in den 1990 Jahren große Tagungen zu diesem Thema durchgeführt. Nur die Medien selbst erweisen sich als unfähig zur Selbstreform. Immer wieder einmal gibt es selbstkritische Beiträge und Appelle, journalistische Weiterbildungseinrichtungen und Netzwerke organisieren Diskussionsrunden. Dem massiven Druck allerdings, der vor allen Dingen durch die Skandalisierung islamistischer wie rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Kräfte permanent hochgehalten wird, können sich die Medien insgesamt nicht entziehen.
These Nr. 2: Die Medien haben nicht nur langfristig die Islamfeindlichkeit bestärkt, sondern mittelfristig viele populistische Meinungsführer aufgebaut und gefördert, die heute als geistige Urheber des Rechtspopulismus gelten.
Thilo Sarrazin fand vor allen Dingen im Herbst 2010 mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine enorme Medienresonanz in Deutschland. Monatelang wurde dieses Werk, das von der Wissenschaft schnell als unhaltbare Meinungsmache dekonstruiert wurde, im deutschen Fernsehen wie auch in sämtlichen großen Pressemedien besprochen und reflektiert. Nicht nur die Boulevardmedien, sondern auch und gerade seriöse Medien in Deutschland haben Sarrazin in einer Weise hofiert, die mich bis heute erschüttert. Natürlich wurden seine Thesen weitgehend kritisch betrachtet, aber dem Autor wurde eine Bühne geboten, die erst zu dem enormen Erfolg des Buches beigetragen hat. Die Nachfrage nach den fremdenfeindlichen Thesen von Sarrazin wurde medial konstruiert. Als einfacher Buchautor hätte er eine Einzelmeinung publiziert. Als der führende Medienexperte, dessen Meinung doch immerhin ernst genommen und zentral diskutiert wurde, entwickelte sich Sarrazin allerdings schnell zum Stichwortgeber der Rechten.
In der Rassismusforschung gilt Sarrazin heute als geistiger Urheber des neuen deutschen Rechtspopulismus. In der Zeit der Debatte seines Buches im Jahr 2010 wurden Umfragen platziert, die eine Parteigründung im ultrarechten Spektrum sinnvoll erscheinen ließen. Seine Thesen fanden nicht nur Anhänger in Kreisen der CDU, sondern auch in den Reihen von FDP und SPD, und selbst unter grünen Anhängern resonierten Sarrazins vorurteilsbeladene Ansichten über deutsche Migranten und den Islam.
Ein Blick in den deutschen Pressekodex zeigt schnell, dass ein Phänomen wie Sarrazins Echo in den deutschen Medien nie hätte geschehen dürfen. Ein Werk jenseits der wissenschaftlichen Faktensicherung kann keine rationale Qualität beanspruchen und hätte von den Gatekeepern des deutschen Journalismus mit Fingerspitzen angefasst und im Grunde weitgehend ignoriert werden müssen. Stefan Russ-Mohl, ein bekannter deutscher Journalismusprofessor, kritisiert zu Recht den Übergang des Journalismus zur Fake-News-Logik. Durch den Wegfall von Klein- und Großanzeigen, so sein Argument, wird eine radikale kapitalistische Marktlogik begünstigt, die den Journalismus nicht mehr auf die Substantialität der Dinge schauen lässt, sondern auf ihre warenförmige Verkaufbarkeit. Journalismustheoretisch ist hier der Übergang von der deliberativen Demokratietheorie (Habermas, Peters, Dewey, Lippman u.a.) zum radikalen, postmodernen Funktionalismus zu erkennen. Nicht mehr die rationale Debatte und die Herstellung von Öffentlichkeit zum Selbsterhalt der Demokratie, sondern emotionale Erregung und Empörung scheinen zum Leitbild des Journalismus zu werden. Medien werden Simulationsapparate, wie Jean Baudrillard dies bezeichnet. Im Hintergrund des sich auflösenden seriösen Journalismus machen sich derweil die Akteure von AfD und Pegida ans Werk.
These Nr. 3: In der Flüchtlingskrise 2015/16 hat nach anfänglicher humanitärer Berichterstattung eine Agendaverschiebung der Medien nach rechts stattgefunden, die aus dem latenten kulturellen Programm der Islamfeindlichkeit ein politisches Projekt des Rechtsruckes gemacht hat, für das die Medien mitverantwortlich sind.
Die medialen Diskursschwankungen der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015/16 sind in der wissenschaftlichen Literatur bereits hinreichend beschrieben worden. Es zeichnet sich ein Bild ab, wonach zentrale deutsche Medien wie die Süddeutsche Zeitung und Der Spiegel im Frühjahr 2015 maßgeblich an der humanitären Wende hin zur Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen in Deutschland beteiligt waren. Lange bevor Angela Merkel ihren berühmten Spruch „Wir schaffen das!“ sagen konnte, machten diese Medien einen erheblichen politischen Druck, forderten teilweise sogar die Aberkennung des Nobelpreises an die Europäische Union und trieben so die deutsche Regierung maßgeblich an, dem Sterben der Menschen auf dem Mittelmeer ein Ende zu setzen. Hier zeigte sich in hervorragender Weise, was humanitärer Journalismus sein kann: Individuelles Leiden wurde abgebildet, Geflüchtete erschienen nicht mehr nur als angsterfüllende Masse, eine enorme Sympathiewelle war in Deutschland das Resultat, die sich auch in Zustimmungswerten zur Flüchtlingshilfe in der deutschen Bevölkerung niederschlugen, wie man sie sich heute kaum noch vorstellen kann. Das Jahr 2015 bewies, dass kapitalistische Medien und humanitäre Journalismusethik sich durchaus miteinander verbinden lassen.
Ab dem Herbst 2015 allerdings erfolgte eine weitgehende Rechtswendung im medialen Diskurs, man erinnere sich in diesem Zusammenhang etwa an die Rolle der Bildzeitung, die in einem Interview mit Angela Merkel suggerierte, deutsche Rentner bekämen keine Physiotherapien mehr wegen der Flüchtlinge. Höhepunkt in der Rechtswendung der Medien war dann die Silvesternacht 2015/16, in der selbst Medien, die sich als liberal bezeichnen, wie Die Zeit, grundsätzliche Probleme des arabischen Mannes zu diskutieren müssen glaubten. Trotz der bis heute mangelnden Evidenz suggerierte die Vorstellung von Massenvergewaltigungen durch Einwanderer ein derart negatives Framing, das dann durch etwa 50 Talkshows über Flüchtlinge im Laufe des Jahres 2016 permanent unterfüttert wurde. Der Zuzug von Geflüchteten wurde zu einem zentralen gesellschaftlichen Problem und zu einer Bedrohung hochstilisiert, von der man damals wissen konnte, dass sie überhaupt nicht bestand. Die Hilfe für die Geflüchteten war eine Kraftleistung der deutschen Bevölkerung und ein echter humanitärer Beitrag zu dieser Welt – ein zentrales oder gar bedrohendes Phänomen waren die Flüchtlinge in Deutschland nie.
Dennoch sanken parallel zur Rechtswendung der Medien die Empathiewerte in der Bevölkerung. Die Basis lieferten die Medien mit ihrer absolut überzogenen Krisenwahrnehmung, die im Grunde eine eins-zu-eins-Übernahme der rechtspopulistischen Agenda darstellte. Bei aller kritischen Distanz des Journalismus zur AfD, zum Rechtspopulismus und ganz besonders zum Rechtsextremismus ist hier eine mediale Schieflage im Umgang mit der politischen Rechten entstanden, bei der ich drei Kernprobleme sehe:
- Vertreter der AfD wurden und werden überrepräsentiert und trotz aller Ablehnung idealisiert: Ein Beispiel ist hier Björn Höcke, ein Mann, der in seinen Büchern die gewaltsame Rückführung von Migranten aus Deutschland propagiert, dessen Bild und Person aber permanent in den Medien kolportiert und diskutiert werden; und dies obwohl seine Partei in Thüringen nicht viel mehr als 200 000 Wähler hinter sich hat, sein Repräsentanzanspruch also bescheiden ist.
- Auf der Ebene des Framing wird häufig nicht kritisch genug über Rechtspopulisten berichtet, der rechtsradikale bis rechtextremistische Anteil dieser politischen Strömung wird unterbewertet: Uns allen in Erinnerung ist die Titulierung der AfD als eine „bürgerliche Partei“ durch eine Mitarbeiterin des MDR nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen. Ich selbst habe eine Analyse des AfD-Wahlprogramms in Thüringen durchgeführt, in der ich zahlreiche verfassungsfeindliche Elemente aufzeigen konnte, was wiederum von der lokalen Presse auf der Titelseite berichtet wurde. Dennoch frage ich mich an dieser Stelle, warum Journalisten nicht schon früher gründlich recherchiert und die Programme und Diskurse der AfD mit Blick auf ihre Demokratieverträglichkeit hin untersucht haben.
- Das Hauptproblem scheint mir zu sein, dass sich die rechte Agenda in den Medien auch dort durchgesetzt hat, wo das rechte Personal weder in Talkshows eingeladen noch anderweitig medial aufgewertet wird. Wer diese These für übertrieben hält, der sollte sich nicht nur die Themenstruktur deutscher Talkshows zu Gemüte führen, sondern auch das TV-Duell 2017 zur Kanzlerschaft zwischen Angela Merkel und Martin Schulz (SPD) sowie das deutsche Fernsehinterview mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihrem Wahlsieg, die in hohem Maße aus der Perspektive rechtspopulistischer Ressentiments gegenüber Einwanderung und der Vorstellung einer grundsätzlichen Erschütterung des deutschen politischen Systems geführt wurden (und diese so selbst erzeugten).
Man sollte in den deutschen Medien bei aller notwendigen Wachsamkeit gegenüber Rechtspopulisten und Rechtsextremisten und trotz der berechtigten Repräsentation einer demokratisch gewählten Partei doch viel vorsichtiger in der Übernahme und Kolportage rechter Personen, Frames und Themen sein, die geradezu unbemerkt unsere politische Debatte zu überformen drohen. Ich bin nicht allein in meiner Wahrnehmung, dass große Massenmedien in den letzten Jahren durch eine viel zu empfängliche Haltung gegenüber dem Rechtspopulismus diesen erst salonfähig gemacht haben. Bekannte Politologen wie Claus Leggewie, der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse oder Radikalismusforscher wie der Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena, Matthias Quent, sehen dies ähnlich. Schließlich gibt es auch kritische Stimmen im Journalismus selbst, die solche Positionen in deutschen Leitmedien – zum Beispiel in der Magazinsendung „Monitor“ – vertreten haben, aber sie dringen nicht durch, eine breite, selbstkritische Debatte wird von den Medien bislang verweigert. Die Inszenierung des angeblich „Fremden“ und künstliche rassistische Erregung sind auch für diejenigen Teile des Journalismus ein kommerzieller Resonanzboden, der selbst gar keine rechte politische Agenda verfolgt.
Fazit – kein zweiter Medienhype!
Die Mischung aus Schieflagen bei langfristigen, mittelfristigen und kurzfristigen Diskursen über Einwanderung, Islam und dem Rechtspopulismus/Rechtsextremismus begünstigt den politischen Rechtsruck in Deutschland. Medien sind hier sicherlich nicht allein verantwortlich, sie wirken aber als Brandbeschleuniger des Populismus. Wir benötigen heute eine Grundsatzkritik auf verschiedenen Ebenen:
- Es geht um die inhaltliche Ausrichtung der Medien, ihre politischen Funktionen und ökonomische Einflüsse. Faschisten wie Björn Höcke, der Chef der Thüringer AfD, haben bereits formuliert, dass sie nur auf einen zweiten Medienhype wie während und nach der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015/16 warten, um an die Macht zu kommen. Dies gilt es unbedingt zu verhindern, um die liberale Demokratie zu retten! Als Leitbild sollte der besonnene Nachrichtenjournalismus gelten – die populistische Anmaßung muss zurückgewiesen, ihre provokante Aufmerksamkeitsstrategie muss professionell durchschaut werden.
- Es geht um eine Erneuerung der journalistischen Aus- und Weiterbildung in diesem Feld. Zur Krise des Konservatismus und des deutsch-deutschen Zusammenhalts (Rechts/Links, Ost/West) gehört natürlich auch die dringend erforderliche Diskussion über eine postkoloniale Wende im deutschen Bildungs- und Wissenschaftssystem, die lange noch nicht abgeschlossen ist.
Wenn wir verhindern wollen, dass unser politisches System der liberalen Demokratie von rechten Kräften umgebaut wird und das Gleichheitsprinzip in der Verfassung angetastet, müssen wir die liberale Demokratie neu erfinden. Für diese Wende zur echten Toleranz brauchen wir die Medien.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
[Es gilt das gesprochene Wort]
Weiterführende Literatur von Kai Hafez:
- Kai Hafez, Compassion Fatigue der Medien? Warum der deutsche „Flüchtlingssommer“ so rasch wieder verging, in: Global Media Journal (German Edition) 6 (2016) 1, www.globalmediajournal.de
- Kai Hafez, Lost in Discourse: The Mass Media’s Role in Creating Trump and Right-Wing Populism, in: Arab Media & Society 24 (2017) Summer/Fall, www.arabmediasociety.com
- Kai Hafez, Hass im Internet. Zivilitätsverluste in der digitalen Kommunikation, in: Communicatio Socialis 50 (2017) 3, S. 318-333
- Kai Hafez, Der Islam hat eine schlechte Presse. Islam in den Medien, in: Zeit Online, 21. Februar 2017
- Kai Hafez, A Complicated Relationship: Right-Wing Populism, Media Representation and Journalism Theory, in: Global Media Journal (German Edition) 7 (2017) 2, www.globalmediajournal.de
- Kai Hafez, Political Correctness Reloaded: Zur notwendigen Neuverhandlung des Liberalismus als Metawert der Gesellschaft, in: Bacem Dziri/Amir Dziri (Hrsg.), Aufbruch statt Abbruch. Religion und Werte in einer pluralen Gesellschaft, Freiburg et al.: Herder 2018, S. 121-138
- Kai Hafez, The Staging Trap: Right-Wing Politics as a Challenge for Journalism, in: Journalism. Theory, Practice, Criticism 20 (2019) 1, S. 24-26
- Kai Hafez, „Die verhängnisvolle Neigung der Medien…“: Plädoyer für einen Humanitären Journalismus, in: Communicatio Socialis (im Erscheinen)