Die Direktorin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach, erläutert, wie die Idee zur geplanten Veranstaltung „(Rechts-)Populismus, öffentliche Meinungsbildung und die gesellschaftliche Verantwortung der Medienschaffenden“ entstanden ist und warum Projekte dieser Art zum Wesenskern des Grimme-Instituts gehören. (Die Veranstaltung findet am 28. Oktober 2019 in Kooperation mit der VHS Leipzig statt. Veranstaltungsort & Anmeldung hier.)
„Wir sind fassungslos und tief getroffen von den Anschlägen auf die Synagoge und den Imbiss in Halle am 9. Oktober 2019 und die Ermordung des Regierungspräsidenten Walter Lübke im Juni dieses Jahres. Bei der Analyse und Aufarbeitung der schockierenden rechtsradikalen Anschläge geht es auch darum zu analysieren, welchen Einfluss das Einsickern von antisemitischem, rassistischem, völkischem Gedankengut und von verbaler Hetze gegen die Werte eines freiheitlichen und liberalen Zusammenlebens auf die Gesellschaft haben. Wie stehen Gewalt und eine zunehmende Verrohung der Sprache, öffentlicher und privater Diskurse im Zusammenhang? Populismus erscheint zunehmend als akzeptierte Form der politischen Auseinandersetzung.
Mit der Veranstaltung ‚(Rechts-)Populismus, öffentliche Meinungsbildung und die gesellschaftliche Verantwortung der Medienschaffenden‘ soll der Begriff ‚Populismus‘ konturiert und seine Wechselwirkung mit Massenmedien beleuchtet werden. Dabei stehen der erstarkte Rechtsradikalismus, seine (populistischen) Sprachmuster und die gesellschaftlichen Wechselwirkungen, die Medienlogiken und -effekte im Fokus. In der Veranstaltung soll es um die Fragen der Zusammenhänge zwischen öffentlicher medialer Kommunikation und deren gesellschaftlicher Wirkzusammenhänge gehen. Dabei sollen der Osten und der Westen betrachtet werden. Mit der Spiegelung des Diskurses in Leipzig und im Jahr 2020 in Dortmund sollen Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden.
Das Ziel ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit Populismus im Kontext der Medien und ihrer Berichterstattung, auch im Sinne einer produktiven Medienkritik – ganz in der Tradition des Grimme-Instituts: Mit dem Grimme-Preis wird vorbildliches Fernsehen ausgezeichnet, beim Grimme Online Award sind es herausragende Online-Angebote. Die Intention der Ehrungen geht weit über die bloße Vergabe von Preisen hinaus. Mit dem Grimme-Preis und Grimme Online Award werden ausgezeichnete Produktionen als Debattenbeitrag gezeigt und diskutiert. Auch hierbei stellt sich die Frage, ob es unterschiedliche Sichtweisen im Hinblick auf den Qualitätsdiskurs zwischen Ost und West gibt und wenn ja, welche.
Das Grimme-Institut greift diese Themenstellung vor allem wegen der Aktualität und der beunruhigenden gesellschaftlichen Relevanz auf. Darüber hinaus verpflichtet auch die Gründungsgeschichte des Grimme-Instituts, nach Wegen aus der zunehmenden Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft zu suchen. Diese Geschichte ist eng mit den Fragen der Aufgaben und Verantwortung der Medien im gesellschaftlichen und politischen Diskurs verbunden. Die Erfahrungen aus der Nazi-Diktatur und die Kriegsrhetorik des 2. Weltkrieges zeigten deutlich, welche Macht Populismus in Verbindung mit Massenmedien entfalten kann.
Neben dem Radio etablierte sich Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts das Fernsehen. Der Grimme-Preis wurde 1964 vom Deutschen Volkshochschulverband gestiftet, auf Initiative von Bert Donnepp, des damaligen Leiters des Marler Bildungswerks ‚die insel‘. Er verband den Diskurs über Medien mit der Erwachsenenbildung und dem Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und war von der Gründungsidee getragen, dass das Massenmedium Fernsehen einen entscheidenden Beitrag zur Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger der jungen BRD leisten müsse.
So weist der erste Grimme-Preis in Gold auf die Intention des Preisstifters hin, indem aus der Serie ‚Das Dritte Reich‘ die Folge ‚Der SS-Staat‘ ausgezeichnet wurde. Auch der Namensgeber des Preises und des Instituts ist mit den Wertvorstellungen einer aufgeklärten, demokratischen und freien Gesellschaft verbunden: Der Kulturpolitiker Adolf Grimme wurde wegen ‚Nichtanzeige eines versuchten Hochverrats‘ 1942 von der Gestapo verhaftet und am 03.02.1943 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Er war in der jungen BRD erst niedersächsischer Kulturminister und dann Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR), der bis dahin vom britischen Kontrolloffizier Hugh Carleton Greene geleitet worden war.
Der Diskurs über Massenmedien, ihre Qualität und Funktionsweise ist damals wie heute eine zentrale Aufgabe des Grimme-Instituts.
Mit der Veranstaltung ‚(Rechts-) Populismus, öffentliche Meinungsbildung und die gesellschaftliche Verantwortung der Medienschaffenden‘ soll zum einen ein Beitrag zum medienkritischen Diskurs über die Frage des Umgangs mit (Rechts-)Populismus geleistet werden. Zum anderen sollen Möglichkeiten der Erwachsenenbildung in den Volkshochschulen ausgelotet werden. Nicht zuletzt geht es darum, herauszuarbeiten, welchen Beitrag Medienschaffende, Volkshochschulen und das Grimme-Institut leisten können, um der Radikalisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken.“