Wer sich heute für die konservative Medienszene in den USA interessiert, kennt Namen von Sendern und Personen wie Fox, Sean Hannity oder Rush Limbaugh – obwohl es um Letzteren ein wenig ruhiger geworden zu sein schien, seitdem ihm Donald Trump selbst in Stil und Inhalt Konkurrenz macht …
Diese Szene ist laut und eindeutig positioniert. Unter den 20 Radio-Hosts, denen im Jahr 2018 vom Fachmagazin Talker der größte Einfluss zugeschrieben wird, finden sich 15 dezidiert konservative, darunter neben international bekannten Personen wie Sean Hannity oder Glenn Beck auch die Talkerin Dana Loesch, die mit der National Rifle Association, der US-amerikanischen Waffenlobby, verbunden ist und durch Sätze auffiel wie „we‘re coming for you“ (in einem Video der NRA aus dem April 2017, an die Adresse der New York Times gerichtet. Siehe auch unsere Timeline zur Situation der Presse in den USA, 5. September 2017). Zu den Top 20 gehören darüber hinaus der notorische Howard Stern sowie ein Host, der paranormale Phänomene diskutiert.
Rush Limbaugh hat in dieser Liste erstmals seinen fast schon angestammten Spitzenplatz verloren und an Sean Hannity / Fox News abtreten müssen (dieser zählt zu den erklärten Lieblingsjournalisten von Trump, mehr hierzu später).
“ For the first time in more than two decades, Rush Limbaugh did not own the top spot. He’d been surpassed by Sean Hannity, a nod to President Donald Trump’s obsession with cable news and the Fox News star’s unprecedented speed-dial relationship with the president. While Trump frequently tweets the latest thing he has seen on Fox — and sometimes hires the person who said it — it’s not even clear he much listens to talk radio, which for years had served as the backbone of the conservative media ecosystem, and the age of talk radio primacy seemed like it might have passed.”
(Politico, 21.12.2018)
Doch Limbaugh arbeitet – erfolgreich – an der Rückeroberung seiner herausragenden Rolle, in dem er, wie einige andere konservative Hosts und Kommentatoren auch, Trump mit Verweis auf seine Wählerschaft vor sich herzutreiben versucht. Im Unterschied zu anderen, gegen die der Präsident in der Vergangenheit ausgeteilt hat oder ihnen auf Twitter ostentativ nicht mehr folgt, ließ er unmittelbar nach einer Kritik von Limbaugh, noch in der laufenden Sendung, vermelden, er würde sich wie versprochen um das angesprochene Problem kümmern.
Wie nachweislich sich konservative Medien an die Seite des Präsidenten gestellt haben, zeigt sich insbesondere beim Nachrichtensender Fox News. Zum Verhältnis zwischen Fox News und Trump gibt es mittlerweile eine Reihe von Artikeln, die sich nur noch uneins darüber sind, ob es der Präsident oder der Sender ist, der am meisten von dieser Allianz profitiert. Deutschsprachige Artikel zu diesem Thema sind etwa der SPIEGEL-Beitrag zur neuen Sprecherin des US-Außenministeriums, ein weiterer SPIEGEL-Text zum Einfluss von Fox oder ein Bericht über den Kontext zwischen den Trump-Tweets und der Sendung Fox & Friends; eine ausführliche Analyse zur Entstehung der Verbindung (aus der auch in den beiden hier genannten SPIEGEL-Artikeln zitiert wird) ist im Magazin New Yorker erschienen. [Hinweis: Nur eine begrenzte Anzahl an Artikeln des New Yorker ist monatlich kostenfrei zu beziehen.]
Watchdog ist der englische Begriff für eine Organisation oder einen Zusammenschluss von Personen, die bestimmte Prozesse überwachen und dokumentieren – „etwa im Diskurs um investigativen Journalismus als Watch Dog im Sinne einer ‚vierten Gewalt‘ oder in der Debatte um verantwortungsvolle Regierungsführung und die Korrektivfunktion einer vitalen Zivilgesellschaft“ (Wikipedia).
Klar scheint jedenfalls zu sein, dass kein Sender, keine Radiostation und keine Zeitung so großes Vertrauen beim US-Präsidenten genießt wie Fox News. Matthew Gertz ist ein Senior Fellow bei Media Matters for America, einer progressiven Medien-Watchdog-Organisation in den USA, die konservative Medien kritisch beobachtet.
Er hat zwischen Oktober 2017 und Januar 2018 verfolgt, welche unmittelbaren Wechselwirkungen zwischen Trump und Fox News festzustellen sind. Er schreibt, dass einige glauben, Trumps Neigung zu aggressiven Tweets am frühen Morgen diene dazu, von potentiellen Schwächen seiner Regierung abzulenken, oder dass diese die öffentliche Debatte nach seinen Vorlieben formen sollen. (Wiederum andere warnten davor, dass sein stetiger abrupter Wechsel von einem zum nächsten Thema auf psychische Labilität hindeuten könnte.)
“But my many hours following the president’s tweets for Media Matters for America, the progressive media watchdog organization, have convinced me the truth is often much simpler: The president is just live-tweeting Fox, particularly the network’s Trump-loving morning show, Fox & Friends.”
Es sei kein Geheimnis, dass Trump täglich stundenlang fernsehe, und auch Journalisten von CNN, des New York Magazine und der Washington Post (Hinweis: Nur eine begrenzte Anzahl von Artikeln der WP ist monatlich kostenfrei abrufbar) hätten bereits Äußerungen des Präsidenten zusammengetragen, die „Fox-inspiriert“ seien. Doch Matthew Gertz ging einen Schritt weiter und „überwachte“ die Trump-Tweets über Monate, nachdem ihm merkwürdige zeitliche Übereinstimmungen zwischen Fox News-Meldungen und Trump-Tweets aufgefallen waren. In einer lesenswerten Übersicht hat er Nachrichten und Reaktionen aneinandergekoppelt und so gezeigt, wie akribisch der Präsident Fox News verfolgt und kommentiert. Gertz fasst zusammen:
“Here’s what’s … shocking: A man with unparalleled access to the world’s most powerful information-gathering machine, with an intelligence budget estimated at $73 billion last year, prefers to rely on conservative cable news hosts to understand current events.”
Hinzu kommt, dass andere Medien sich dieser engen Verbindung nicht entziehen können – ist ein Trump-Zitat doch in der Regel nachrichtenrelevant. Dies hat zur Folge, dass Fox News unter stetiger Beobachtung anderer Nachrichtenhäuser steht, damit diese im Zweifelsfall schnell reagieren und berichten können.
In einem weiteren Beitrag für Media Matters for America beschreibt Matthew Gertz, wie die Gastgeber der morgendlichen Nachrichtensendung „Fox & Friends“ den Präsidenten zu beraten scheinen oder republikanische Politiker in Live-Interviews Ideen an die Adresse von Trump richten. Da andere Medien die Reaktionen von Trump nicht ignorieren können und wollen, führe dies dazu, dass Fox & Friends die Macht habe, die Agenda für den Rest der Presse zu bestimmen.
“That’s what happened this morning. Fox & Friends devoted several segments to a story that the other cable news morning shows did not cover. But then Trump tweeted about the Fox & Friends segment. And within a few hours, CNN and MSNBC had both reported on his tweets, thrusting the Fox & Friends narrative into the mainstream media spotlight.”
Matthew Gertz, Media Matters for America
Die Journalistin Jane Mayer beschreibt das Phänomen „Trump & Fox News“ in dem bereits genannten Bericht des New Yorker (Hinweis: Nur eine begrenzte Anzahl von Artikeln des New Yorker ist monatlich kostenfrei abrufbar) und widmet sich auf mehr als 20 Seiten dem momentanen Zustand dieser engen Verbindung und ihrer Entstehungsgeschichte. Einige ihrer Erkenntnisse, die mithilfe einer ganzen Reihe von Medienexperten, darunter auch ehemalige Fox-Angestellte, zusammengetragen wurden, sind – allerdings nur ausschnitthaft – bereits in verschiedenen deutschsprachigen Publikationen zitiert worden. Deshalb wird ihr Beitrag hier noch einmal ausführlich zusammengefasst.
Jane Mayer schildert in ihrem Artikel „The Making of the Fox News White House. Fox News has always been partisan. But has it become propaganda?“ (11. März 2019, The New Yorker) das Erstaunen von Medienvertretern über die Bevorzugung von Sean Hannity (Fox News): Als diese anlässlich eines Fototermins zu Trump vorgelassen wurden, war Sean Hannity bereits da; er war auch derjenige, der nach dem Termin ein exklusives Live-Interview führte:
“Politico later reported that it was Hannity’s seventh interview with the President, and Fox’s forty-second. Since then, Trump has given Fox two more. He has granted only ten to the three other main television networks combined, and none to CNN, which he denounces as ‘fake news’.”
Sie schreibt, dass Hannity in dieser Situation wie ein Mitglied der Regierung behandelt wurde, weil er praktisch eines sei – genau wie Rupert Murdoch, dessen Familie die Fox Corporation gehört. Obwohl Fox bereits seit langer Zeit ein Dorn im Auge von Liberalen war, haben Beobachter der Medienszene (darunter auch ehemalige Fox-Mitarbeiter) in den vergangenen beiden Jahren festgestellt, dass sich der Sender zu etwas zuvor nicht Dagewesenem in den USA entwickelt hat.
Nicole Hemmer ist Assistant Professor of Presidential Studies am Miller Center / University of Virginia und hat die Entstehungsgeschichte der konservativen Medienlandschaft in den Vereinigten Staaten untersucht. Sie sagt über Fox: “It’s the closest we’ve come to having state TV.”
Auch der Personalaustausch zwischen Fox News und dem Weißen Haus sticht ins Auge: Von Juli 2018 bis März 2019 war der vormals langjährige Fox-News-Produzent Bill Shine der Kommunikationsdirektor und stellvertretende Stabschef des Weißen Hauses – ein enger Freund des so oft bevorzugt behandelten Talkers und Trumps Vertrauten Sean Hannity. Bereits im Juli 2018 veröffentlichte CBSNews eine Liste ehemaliger Fox-Angestellter, die – teilweise nur vorübergehend – ins Weiße Haus gewechselt hatten. Das bislang neuste Beispiel ist Morgan Ortagus, die im April 2019 berufene Sprecherin des US-Außenministeriums.
Sie erklärt, dass Fox den Einfluss von Trump auf die Republikanische Partei verfestige und die Unterstützung für ihn intensiviere. Der Sender messe nicht lediglich die Temperatur der Basis, er erhöhe sie: “It’s a radicalization model.” Sowohl für Trump als auch für Fox sei Angst ein Geschäftsmodell. Sie bringe Menschen dazu, einzuschalten. Das Weiße Haus und der Sender interagierten so nahtlos, dass es während der Berichterstattung über bestimmte Ereignisse schwer zu bestimmen sei, wer auf wen reagiere. Trump retweetet Behauptungen, die Fox gesendet hat; seine Pressesprecherin hat Pressekonferenzen annähernd abgeschafft, ist aber bereits rund dreißig Mal zu Gast bei Fox-Talkshows wie „Fox & Friends“ und „Hannity“ gewesen. Trump sei fast ein Teil des Programms geworden.
Selbstverständlich weisen die Verteidiger von Fox – so Jane Mayer – diese Kritik als unzutreffend und voreingenommen zurück und halten dagegen, dass Fox-Angestellte das Gleiche über die Obama-Administration und die Presse gesagt hätten. Und die Public-Relations-Abteilung bei Fox listet zahlreiche Beispiele dafür auf, wie viele Reporter und Talk-Show-Hosts die Trump-Regierung kritisiert hätten.
Aber viele Menschen, die Fox seit vielen Jahren beobachtet oder selbst für den Sender gearbeitet haben, sind über die „Trump-Orthodoxie“ von Fox beunruhigt. Darunter sind dezidiert Konservative wie der politische Kommentator Bill Kristol, der sagt, dass aus der konservativen Berichterstattung bei Fox Propaganda geworden sei (“Before, it was conservative, but it wasn’t crazy”), oder Joe Peyronnin, ein Mitglied der Geschäftsführung in Fox‘ Anfangsjahren, der über den Anschein redet, dass der Präsident seine eigene Presseorganisation hätte: “It’s not healthy.”
Die konservative Kolumnistin Jennifer Rubin tritt nicht mehr bei Fox auf. Der Sender habe zwar seine Arbeit mit der guten Absicht aufgenommen, ein Gegengewicht zur [liberalen] Parteilichkeit anderer Medien zu bilden:
“‘… but it’s morphed into something that is not even news,‘ she says. ‘It’s simply a mouthpiece for the President, repeating what the President says, no matter how false or contradictory.’” Die Feedback-Schleife sei so stark, führte Jennifer Rubin aus, dass Trump selbst Fehler, die in der Berichterstattung gemacht wurden, unkorrigiert wiederholt habe.
Jane Mayer zitiert aus einem Bericht von Axios, dass 60 Prozent eines typischen Trump-Tags auf unstrukturierte „executive time“ entfielen, wovon viel dem Fernsehen gewidmet werde. Ein ehemaliger Trump-Berater aus dessen Vor-Präsidentschaftstagen, Charlie Black, erzählte ihr im Zuge ihrer Recherche, dass Trump aufstehe, die Sendung „Fox & Friends“ sehe und glaube, dies seien seine Freunde. Trump selbst habe Vertrauten erzählt, dass er die Loyalität von Reportern gerne auf einer Skala von eins bis zehn bewerte. “Bret Baier, Fox News’ chief political anchor, is a 6; Hannity a solid 10. Steve Doocy, the co-host of ‘Fox & Friends,’ is so adoring that Trump gives him a 12.”
Im Artikel wird die enge Verbindung zwischen Trump und dem Fox-Gründer und „Medienmogul“ Rupert Murdoch beschrieben, der immer wieder in Ranglisten nicht nur der reichsten, sondern auch der mächtigsten Menschen der Welt erscheint. Nachgezeichnet wird der gemeinsame Weg der beiden Männer und auch eine Wechselwirkung in ihrem Handeln, deren eine Konsequenz die heutige Fixierung von Trump auf Fox ist:
Im Artikel „How policy decisions spawned today’s hyperpolarized media“ der Washington Post vom 17. Januar 2019 heißt es hierzu: „Under Ailes’s direction, Fox News soon embraced a conservative slant, playing up the scandals (and ’scandals‘) of the Clinton administration. ‚Talk-radio shows started to go crazy‘ with coverage of Clinton’s misdeeds, NBC network president Bob Wright remembered. ‚We were not paying much attention to it at NBC News. And MSNBC wasn’t. CNN wasn’t. And what Fox did was say, ‘Gee, this is a way for us to distinguish ourselves. We’re going to grab this pent-up anger — shouting — that we’re seeing on talk radio and put it onto television.“ … ‚Am I slanted and biased?‘ Fox anchor Neil Cavuto once said in response to critics. ‚You damn well bet. … You say I wear my biases on my sleeve. Well, better that than pretend you have none, but show them clearly in your work.’”
Murdoch habe bereits in den 90er Jahren Reed Hundt, den damaligen Vorsitzenden der Federal Communications Commission, über seine Pläne informiert, einen radikal neuen Fernsehsender zu gründen, der sich explizit nicht an die Mittelschicht wenden sollte – vielmehr solle er dem Modell der Regenbogenpresse folgen, mit dem Murdoch im Printbereich bereits in Australien und England erfolgreich war. Hundts damaliger Kollege Blair Levin ergänzt: “The genius was seeing that there’s an attraction to fear-based, anger-based politics that has to do with class and race.”
“Murdoch didn’t invent Trump, but he invented the audience. Murdoch was going to make a Trump exist. Then Trump comes along, sees all these people, and says, ‘I’ll be the ringmaster in your circus!’”
(Reed Hundt, zitiert nach: Jane Mayer, The Making of the Fox News White House)
Mit Trumps Erscheinen auf dem politischen Parkett änderte sich der Tonfall bei Fox. Wurden Senderangestellte vorher noch von Zeit zu Zeit zurückgepfiffen, wenn sie eine zu große Nähe zu konservativen Politikern suchten, fanden diese Bemühungen um Distanz zwischen Medien und Politik nun ein Ende. Stattdessen erschien Sean Hannity bei einem Wahlkampfauftritt Trumps zu den Midterm-Wahlen 2018 auf der Bühne. Hannity bezeichnete die anderen Medien, die den Wahlkampf begleiteten, als „Fake News“; genau wie derjenige, der ihn auf die Bühne gerufen hatte. Fox distanzierte sich lediglich halbherzig und ohne weitere Konsequenzen, obwohl sich selbst frühere und aktuelle Fox-Mitarbeiter über diesen Auftritt beschwert hatten.
Dennoch hatte es eine Weile gedauert, bis Fox sich im Präsidentschaftswahlkampf hinter Trump gestellt hat. Rupert Murdoch fand ihn anfangs peinlich, für seine [politischen] Freunde, aber auch für das ganze Land, und stritt sich öffentlich mit ihm, etwa über Migration. Er wies Roger Ailes, den langjährigen Geschäftsführer von Fox, an, sicherzustellen, dass seine Moderatoren Trump hart angingen. Dennoch ging es beiden Männern letztlich zuallererst um ihr Publikum. In Zeiten, in den rechte Medien-Outlets wie Breitbart steigende Zugriffszahlen verzeichnen konnten, musste gewährleistet werden, dass dies nicht auf Kosten der Fox’schen Einschaltquoten ging.
Die Hoffnung, dass sich nach dem Weggang von Roger Ailes die Situation verändern würde, erfüllte sich – allerdings nicht auf die Weise, die von einigen erwartet wurde. Statt sich wieder mehr einer Berichterstattung zuzuwenden, die dem (inzwischen abgeschafften) Sendermotto „fair & balanced“ entspricht, unterdrückte Fox, so mehrere von Jane Mayer benannte Zeugen, wohl bereits gegen Ende des Wahlkampfs eine Story, die Trump hätte schaden können.
Das Verhältnis zwischen Trump und Murdoch wurde enger:
“As Murdoch’s relations with the White House have warmed, so has Fox’s coverage of Trump. During the Obama years, Fox’s attacks on the President could be seen as reflecting the adversarial role traditionally played by the press. With Trump’s election, the network’s hosts went from questioning power to defending it. Yochai Benkler, a Harvard Law School professor who co-directs the Berkman Klein Center for Internet & Society, says, ‘Fox’s most important role since the election has been to keep Trump supporters in line.’”
(Jane Mayer, The Making of the Fox News White House)
Seitdem verbreite der Sender ein permanentes Gegennarrativ, in dem Kritiker des Präsidenten der Verschwörung bezichtigt werden, die illegale Einwanderung einer Invasion gleicht und Medien mit abweichender Haltung als Staatsfeinde diffamiert werden.
Diese Einschätzung beruht auf einer Analyse von annähernd vier Millionen Nachrichtenstorys, die Benkler mit seinen Ko-Autoren Robert Faris and Hal Roberts für die Studie „Network Propaganda: Manipulation, Disinformation and Radicalization in American Politics“ vorgenommen hat. Die Storys stammen aus dem Wahlkampfjahr 2016 und aus dem ersten Jahr der Trump’schen Präsidentschaft. Die Autoren hatten eine „symmetrische Polarisierung“ in der linken wie der rechten Ecke der Medienlandschaft erwartet. Sie lagen falsch:
“It’s not the right versus the left,” Benkler says. “It’s the right versus the rest.”
(Zitiert aus: Jane Mayer, The Making of the Fox News White House)
Literaturangabe: Yochai Benkler, Robert Faris, Hal Roberts: Network propaganda : Manipulation, Disinformation, and Radicalization in American Politics. Oxford University Press, 2018.
Ein Befund der genannten Studie sei, so Jane Mayer, dass die meisten amerikanischen Medienhäuser versuchten, sich an die Fakten zu halten. Wenn Fehler unterlaufen, würden diese korrigiert, und wenn Nachrichtenmaterial als verdächtig extrem empfunden werde, verzichte man lieber auf eine Veröffentlichung. Konservative Medien hingegen bedienten in wesentlich stärkerem Maße die Voreingenommenheit ihres Publikums und seien allein aus diesem Grunde empfänglicher für Desinformation, Propaganda und Falschaussagen.
Im US-amerikanischen Politjargon gibt es den Begriff der „October Surprise“: willkürlich herbeigeführte oder nur zufällig in die Aufmerksamkeit geratene Vorfälle, die dazu angetan sind, das Ergebnis von Wahlen zu beeinflussen. Für den Oktober 2018 war es die von der Trump-Regierung so bezeichnete und mit Falschmeldungen unterfütterte „Caravan of Migrants“, die angeblich auf dem Weg in die Vereinigten Staaten sei. Quelle: Wikipedia (englisch)
Fallberichte aus der Studie von Benkler, Faris und Roberts zeigten, wie leicht sich Lügen und Verzerrungen von extremistischen Websites in Massenmedien wie Fox weiterverbreiten; sie werden nur gelegentlich korrigiert. Und wenn diese Unwahrheiten aufgedeckt werden, reagiere das Stammpublikum oft verärgert. Hosts verschiedener Talk Shows von Fox hatten vor den Midterm-Wahlen die Bezeichnung „Invasion“ für die Zuwanderung von Migranten auffällig oft verwendet. Als sich ein weiterer Fox-Angestellter, der Nachrichten-Anchor Shepard Smith, gegen die Benutzung dieses Begriffs ausgeprochen hatte (mit den Worten „There is no invasion, no one is coming to get you“, wendeten sich die Zuschauer(innen) via Social Media gegen ihn. Media Matters for America hat das entsprechende Video und Kommentare verlinkt.
Problematisch ist diese Entwicklung (neben vielen anderen Faktoren, versteht sich) wegen der sich abzeichnenden „Stammeszugehörigkeit“. So („tribalism“) nennt man in den USA die Lagerbildung zwischen Politikern, Medien und Publikum, die ihre Wirkung so dominant entfaltet, dass Faktenwissen, fundierte Gegenargumente oder belastbare Beweise für die Unwahrheit dessen, was verbreitet wurde, keine nennenswerte Rolle mehr spielen.
Eine Tendenz zu einer Haltung, die Missliebiges abwehren soll, ist dem Großteil der Menschheit sicherlich immanent; allerdings doch in der Regel nur solange, bis die Realität uns dazu zwingt, von unseren Überzeugungen abzurücken oder die Existenz von Gegenentwürfen zumindest zu tolerieren.
Was aber, wenn Gegenmeinungen aus dem Grunde keinen Raum erhalten, weil man sich selbst im Besitz der Wahrheit (und zwar der einzigen) wähnt? Wenn dies meine Grundüberzeugung ist, warum sollte ich andere Haltungen zulassen – wenn diese in diesem Konstrukt doch unwahr sein müssen?
Um eine solche Entwicklung wird es im nächsten Kapitel zur Situation der US-amerikanischen Presse gehen; die bereits erwähnte Nicole Hemmer hat die Entwicklung der konservativen Medien seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts untersucht und kommt zu dem Schluss, dass heute alles extremer ist – damals aber bereits seinen Anfang genommen hat.