DRUCK – Folge 1 – Liebe ist alles
„Meine Generation – was auch immer das ist – soll angeblich wieder politischer sein. Vielleicht wirkt es ja so, als wären wir politischer, weil es wieder klare Fronten gibt. Nazis sitzen bei uns im Reichstag, Donald Trump im Weißen Haus, Wladimir Putin, Erdogan – klar ist man dagegen. Ich glaube allerdings, dass die meisten in meiner Generation im Grunde unpolitisch sind. Politik ist so stark Teil der Jugendkultur geworden, dass wir vergessen, dass unsere FuckNazi-Handyhülle nicht dazu führt, dass das herrschende System aufhört, Schwache gegen Schwache auszuspielen, dass unsere Fairtrade-Schokolade zwar besser ist als die anderen, aber nur ein radikaler und entschiedener Kampf zur Umverteilung auf der Welt dazu führen wird, dass jedes Produkt fair ist. Die Generationen vor uns haben noch über Utopien nachgedacht. Wir haben aufgegeben.“
Das Zitat stammt aus dem Vorspann der ersten Folge der Jugendserie „Liebe ist alles – Druck“, welche die deutsche Adaption der norwegischen Erfolgsserie „SKAM“ ist. Herausgeber ist das Online-Format funk von ARD und ZDF. Gesendet wird auf Drittplattformen wie Facebook, YouTube, Snapchat, aber auch in der eigenen funk-App sowie auf der funk-Webseite und neuerdings auch im linearen Fernsehprogramm ZDFneo. Zumindest für die ältere Generation bemerkenswert ist die Art der Veröffentlichung: Neue Folgen können jederzeit online gehen. Parallel wird die Geschichte über fiktive Chat-Protokolle und die Instagram- und Snapchat-Accounts der fiktionalen Charaktere im Netz weitererzählt. Hauptdarstellerinnen der Serie sind zunächst fünf junge Mädchen, die im Wechsel als Hauptfigur die vornehmlich jungen Zuschauer(innen) mit in ihr Leben nehmen. Themen sind unter anderen Liebe, Eifersucht, Freundschaft, Schule und Diskriminierung.
Der Erfolg der Serie basiert wohl auf der Nähe zur Lebensrealität von jungen Menschen in Deutschland und ermöglicht somit auch den älteren Generationen einen kleinen Einblick in die Gefühls- und Lebenswelt der heutigen Jugend.
Mitten in diesem Wirbelsturm von hormonellen Veränderungen, schulischen Anforderungen und der je eigenen Abnabelung vom Elternhaus treffen junge Menschen in allen medialen Kanälen auf Krisenherde wie Klimawandel, Gefährdung der Demokratie und Krieg: Themen, die nicht nur Kindern und Jugendlichen Angst machen, sondern auch zunehmend Erwachsenen. Denn alle diese Themen finden ihre Darstellung in den Medien, fremdproduziert, selbstproduziert, jederzeit verfügbar, gut recherchiert, gefaked, viral. Die jungen Nutzerinnen und Nutzer sind Produzenten und Follower. Sie berichten über und interessieren sich für Lifestyle, Musik, Sport, Kosmetik und vieles mehr. Gleichzeitig greifen viele Jugendliche aber auch politische, nachhaltige und / oder soziale Themen medial auf.
„Weltweit sieht eine Mehrheit der Menschen den Klimawandel als die größte Bedrohung für Sicherheit und globalen Wohlstand.“
Tagesschau.de am 11.02.2019
Die Angst vor dem Klimawandel und seinen Folgen ist weltweit bei einer Mehrheit der Bevölkerung angekommen und wird als größte Bedrohung im aktuellen Weltgeschehen wahrgenommen. In Deutschland bewerten sogar fast drei Viertel der Befragten den Klimawandel als primäre Bedrohung, gefolgt von der Angst vor IS-Extremisten, internationalen Cyberattacken, dem Nuklearprogramm Nordkoreas und der Welt-Wirtschaftslage. Das ist ein Ergebnis der aktuellen Studie des Pew Research Centers, die Anfang 2019 veröffentlicht wurde. Tagesschau.de titelte am 11. Februar 2019 mit „Globale Studie: Die Welt hat Angst vor dem Klimawandel“.
„In diese Welt setze ich keine Kinder“ – warum Klimapolitik auch Familienpolitik ist
bento / Thembi Wolf / 07.03.2019
Die Sorge um eine irreparable Schädigung der Umwelt, die neben einer Bedrohung für Tiere und Pflanzen auch den Menschen betrifft, ist sehr vielen Menschen im Erwachsenenalter tagtäglich präsent und wird als ultimative Bedrohung wahrgenommen. Um wie viel mehr muss es Kinder und Jugendliche beunruhigen, die einen Großteil ihres Lebens noch vor sich haben und die eines Tages vielleicht auch eigene Kinder haben wollen.
Der vorliegende Beitrag versucht, die Lebensphasen Kindheit und Jugend, junges politisches Engagement für das Thema Klimawandel, den Einfluss von Medien am Beispiel der Initiative Fridays for Future zusammenzubringen.
Weltweit erleben Menschen altersübergreifend den Klimawandel als reale Bedrohungslage. Kinder und Jugendliche tun dies im Rahmen besonderer Entwicklungsphasen bei einer gleichzeitigen Abhängigkeit vom Engagement der erwachsenen Generation. Protest und Wut sind die Folge und politisches Engagement in Form von Demonstrationen on- und offline eine logische Konsequenz. Der (weltweite) Erfolg der Initiative Fridays for Future dürfte somit nicht erstaunen. Gleiches gilt für die rasche Verbreitung von Informationen und Demonstrationsvorbereitungen über den Weg der sozialen Medien. Erwachsene erstaunen vermutlich sowohl die Ausdauer, die Intensität der Unzufriedenheit und Angst der jungen Demonstranten, als auch die selbstverständliche Nutzung von sozialen Medien, die der älteren Generation häufig immer noch fremd ist.
Medienprojekt Wuppertal: Schulstreik für Klima-Revolution hört nicht auf!
Reaktionen von Politikern, Lehrern und Eltern lassen nicht lange auf sich warten. In den Medien wird aus vielen Richtungen über das Schulschwänzen geschimpft und darauf hingewiesen, dass man den Klimaschutz doch eher den Profis überlassen sollte. Die andere Seite gibt es jedoch auch. Erwachsene solidarisieren sich mit den Kindern und Jugendlichen, ermutigen zur Fortführung und sind dankbar für das vehemente Aufzeigen von Versäumnissen. Die Chancen der Mediennutzung – Informationsfluss und soziale Interaktion mit Mitstreitern – werden begleitet von Risiken: HateSpeech und Verunglimpfung. Junge Aktivisten werden online von Leugnern des Klimawandels oder Vertretern der politisch rechten Szene (online) beschimpft und klein gemacht, man wirft ihnen Fremdsteuerung und Unwissenheit vor.
„Why should I be studying for a future that soon may be no more, when no one is doing anything to save that future? And what is the point of learning facts when the most important facts clearly means nothing to our society?“ Greta Thunberg, Rede am 3. Dezember 2018 in Katowice
Ein gutes Beispiel für Durchhaltevermögen, aber auch leider für Hass im Netz, ist Greta Thunberg. Die Schülerin demonstriert seit dem Sommer 2018, zunächst täglich, dann jeden Freitag vor dem Schwedischen Reichstag in Stockholm. Im gleichen Jahr wurde sie in die Liste TIME’s 25 Most Influential Teens of 2018 aufgenommen und sprach bei der UN-Klimakonferenz in Katowice 2018. Im darauffolgenden Jahr nahm sie mit eigenen Redebeiträgen am Weltwirtschaftsforum Davos 2019 und am Kongress des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses 2019 in Brüssel teil. Greta Thunberg hat inzwischen einen ausführlichen Eintrag auf Wikipedia. Wie groß der Medienrummel um Greta Thunberg inzwischen ist, zeigt auch ein Beitrag von Spiegel TV im Rahmen ihrer Teilnahme an einem Schülerprotest in Hamburg Anfang März 2019.
„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“ – Slogan zum Klimaprotest von Schülerinnen und Schülern in Deutschland 2019.
Greta Thunberg ist für viele Schülerinnen und Schüler in Deutschland ein Vorbild. In Anlehnung an ihre freitäglichen Demonstrationen in Schweden kam die Initiative Fridays for Future in Deutschland auf. Die Initiative ist eine Bewegung von jungen Menschen, die aus eigenem Interesse heraus die Aktion Fridays For Future in Deutschland umsetzen und verbreiten. Sie ist parteilos und nicht an eine Organisation gebunden. Allein in Deutschland gibt es bereits über 190 Ortsgruppen (Artikel Zeit Campus / 01.03.2019), die über die Projekt-Website und weitere soziale Medien freitägliche Protestaktionen planen. Die Plattform Fridays for Future klärt im Bereich FAQ zudem über die rechtlichen Hintergründe von Streiks während der Schulzeit auf und nimmt deutlich Stellung zur häufig geäußerten Kritik, dass Unterricht versäumt wird.
Der Kinderfernsehsender KiKa von ARD und ZDF berichtet regelmäßig im Rahmen seiner Nachrichtensendung Logo über das Engagement der Schülerinnen und Schüler und sendete am 14. März 2019 zudem ein Special zu Fridays for Future im Rahmen seines Formats „Erde an Zukunft“.
Um zu verstehen, was die Kinder und Jugendlichen weltweit bewegt, hat Zeit Campus im März 2019 ein WhatsApp-Interview mit jungen Aktivisten aus fünf Ländern geführt und online gestellt. Im Gesprächsverlauf stellen sich die jungen Leute vor, bewerten den Klimaschutz im eigenen Land, stellen ihre Forderungen zum Thema Klimaschutz vor und berichten über ihr Engagement, Kritik und Unterstützung. Allen gemeinsam ist die große Sorge vor Umweltverschmutzung und Klimawandel. Deutliche Unterschiede sind jedoch zu erkennen bezüglich des Ausmaßes der Unterstützung in der Bevölkerung und in der Politik.
euronews: Dänemark: Umweltminister hört auf junge Klima-Berater (08.03.2019)Insgesamt ernten die weltweiten jungen Proteste viel Zustimmung. In Dänemark haben das Engagement und die Ausdauer junger Menschen bereits Konsequenzen auf politischer Ebene. Dort wurde ein Klimarat aus zehn gewählten Beraterinnen und Beratern zwischen 17 und 27 Jahren gebildet, der den Umweltminister Lars Christian Lilleholt künftig berät.
Und auch in Deutschland reagieren viele Politiker positiv auf das Engagement der jungen Menschen. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier nahm am 8. März 2019 an einer Mahnwache der Initiative Fridays for Future in Neumünster teil. Er bestärkte die Demonstranten in ihrem Tun und sagte: „Wir brauchen junge Menschen, die sich einmischen“.
Bundesregierung: Den Klimaschutz in Europa gemeinsam anpacken am 02.03.2019
Ähnlich positiv äußerte sich auch Bundeskanzlerin Merkel mit ihrer Aussage: „Ich unterstütze sehr, dass Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gehen und dafür kämpfen“ (SZ/02.03.2019). Bildungsministerin Anja Karliczek hingegen kritisierte das Engagement aufgrund des dadurch entstehenden Unterrichtsausfalls.
Über den Unterrichtsausfall hinaus kritisiert Christian Lindner (FDP) die Initiative Fridays for Future. In einem Interview vom 10. März 2019 mit der Bild am Sonntag sagte er „Ich bin für Realitätssinn. Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis.“
BPK: „Scientists for Future“ zu den Protesten für mehr Klimaschutz – 12. März 2019 – Thilo Jung, 12.03.2019
Dies sehen viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ganz anders. Sie unterstützen unter anderem mit der Initiative Scientists for Future die jungen Demonstranten und formulieren eine Stellungnahme unter dem Titel „Die Anliegen der demonstrierenden jungen Menschen sind berechtigt“. Darin fordern sie von der Politik, die Anliegen der jungen Generation ernst zu nehmen und Maßnahmen zu ergreifen. Im Rahmen einer Pressekonferenz im März 2019 stellten die Wissenschaftler der Politik die Frage, warum die Digitalisierung trotz Strukturwandel und Wegfall von Arbeitsplätzen positiv bewertet und vorangetrieben wird, jedoch der Energiewende mit großer Zurückhaltung begegnet wird .
Mit der Website Parents for Future unterstützen Erwachsene in Deutschland und weltweit die jungen Demonstranten. Sie bieten Informationen zur Initiative Fridays for Future, zeigen Beteiligungsmöglichkeiten für Erwachsene auf und verfassen Briefe an Schulen, die eine Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an den Protesten anregen. Auch bei den Erwachsenen gibt es Regionalgruppen und unterstützende Pressearbeit, alles ehrenamtlich organisiert.
Eine interessante Auseinandersetzung mit der Wirkung der Reaktionen von Politikern auf den jugendlichen Protest findet sich im Podcast Stimmenfang von Spiegel Online unter dem Titel „Vom Klimaschutz bis Upload-Filter – Ignoriert die Politik die Wut der Jugend?“.
Die mediale Präsenz, die zahlreichen Stellungnahmen – auch von prominenten Politikerinnen und Politikern – und das Durchhaltevermögen der jungen Demonstranten für einen besseren Klimaschutz machen deutlich, dass es sich um ein drängendes und nicht verdrängbares Anliegen handelt. Junge Menschen, die ihre eigene Zukunft massiv bedroht erleben, können und wollen nicht mehr darauf warten, dass sich die jetzt Erwachsenen des Klimaschutzes ausreichend annehmen. Sie gehen bewusst an die (mediale) Öffentlichkeit, provozieren durchdacht mit Demonstrationen während der Schulzeit und haben es geschafft – nun schon über mehrere Monate – weltweit Aufmerksamkeit zu erregen, sowohl in Form von Kritik als auch in Form von Unterstützung.
Am 8. April 2019 stellte die Initiative Fridays for Future ihre Forderungen zum Thema Klimaschutz an die Politik im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin vor. Unter dem Titel „Unsere Forderungen für den Klimaschutz“ fordern die jungen Klimaschützer die Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens und des 1,5°-Ziels. Erarbeitet wurde das Dokument in Kooperation mit Experten und Wissenschaftlern. Die Pressekonferenz wurde im Live-Stream unter anderem auf Welt.de übertragen.
GRETA THUNBERG-EFFEKT: 1992 hieß die „Ur-Greta“ Severn Suzuki – Die Welt, 24.03.2019
Die Bedeutung der sozialen Netzwerke bei der Verbreitung und Koordination des jungen Protestes ist deutlich sichtbar. Gehen wir 27 Jahre zurück und schauen auf die Kanadierin Severn Cullis-Suzuki. Sie war zu diesem Zeitpunkt zwölf und richtete im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Rio de Janeiro einen persönlichen Appell zum Thema Klimaschutz an die Erwachsenen. Dieser ging ebenfalls durch die Presse. Sie sagt in einem Interview in der Welt vom 24.03.2019 rückblickend und auf das aktuelle Geschehen schauend, dass Greta Thunberg heute erfolgreicher sein wird, als sie es damals war – auch aufgrund sozialer Netzwerke.
(Soziale) Medien sind für die heutige Jugend eine Chance, aber auch eine Herausforderung. Facebook, Twitter, Instagram können für die eigenen Zwecke genutzt werden, können sich aber auch gegen Personen(kreise) wenden. So wie Fridays for Future die sozialen Medien nutzt, streuen andere Gruppierungen oder Einzelpersonen Gegenmeinungen oder aber Hate Speech über das Internet.
Das Zusammenwirken von (politischem) Engagement junger Menschen und (sozialen) Medien ist ein aktuelles und spannendes Thema. Natürlich ist die Initiative Fridays for Future nicht die einzige im aktuellen Geschehen, wenn auch aktuell besonders präsent. Abseits dessen gibt es vielfältiges und dauerhaftes Engagement von jungen Menschen, die Zukunft politisch mitzugestalten. In einem zweiten Teil zum politischen Engagement von Kindern und Jugendlichen werden wir diesen Themenkreis erneut aufgreifen und weitere Initiativen und Projekte vorstellen.