US-amerikanische Medien und ihr Versuch, die Wahrheit zu retten
Die Reaktionen auf die Langzeitstudie „Medienvertrauen“ des Instituts für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz fasst das „Altpapier“ vom 7.3.2019 wie folgt zusammen: „‚Vertrauen in deutsche Medien bleibt konstant‘, heißt es bei Zeit Online. ‚Vertrauen in etablierte Medien steigt‘, schreibt der Wissenschafts-Dienst Forschung & Lehre. ‚Vorbehalte gegenüber Medien wieder gestiegen‘, liest man bei ZDF ‚heute‘“.
Die in dieser Studie vorgestellten Ergebnisse basieren – selbstverständlich – auf Zahlen, ihre Gewichtung blieb aber den berichtenden Medien überlassen. Eindeutig belegt allerdings sind Angaben dazu, dass etablierte Medien pauschal eher von denjenigen verurteilt werden, die sich „überdurchschnittlich häufig an den Rändern des politischen Links-Rechts-Spektrums [finden]. Sie sind formal niedriger gebildet, politisch weniger interessiert und blicken mit mehr Sorgen auf ihre wirtschaftliche Zukunft als diejenigen Bürger, die die etablierten Medien nicht pauschal verurteilen.“ (aus der Pressemeldung zur Studie)
Außerdem handele es sich bei diesen Kritikern, so ein Befund der Studie, oft um Personen, die „alternative Nachrichtenquellen im Social Web konsumieren und regelmäßig Nutzerkommentare auf den Seiten der etablierten Medien lesen“.
44 Prozent der Befragten vertrauen den etablierten Medien in „wichtigen Fragen“, 22 Prozent „äußern grundsätzliches Misstrauen“. Der Anteil derer, die eine „teils, teils“-Haltung einnehmen, sank von 63 (vor zehn Jahren) auf 41 (im Jahr 2018) auf nun 34 Prozent: „Offenbar sehen sich viele Menschen angesichts einer polarisierten Debatte dazu veranlasst, auch selbst Position für oder gegen die Medien zu beziehen.“
Die Gefahren einer solchen Polarisierung sind spätestens seit dem US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 Gegenstand unzähliger Leitartikel, Studien und Initiativen in den Vereinigten Staaten. Dort scheint es vielerorts nicht mehr möglich, Menschen das Konzept von Wahrheit wieder nahe zu bringen. Fakten werden als Meinungen diskreditiert, Falschmeldungen zu „alternative facts“.
Fakten vs. Zugehörigkeit
„Nothing on this page is real“ lautete der Disclaimer auf der (mittlerweile offline gesetzten) Facebook-Seite „America’s Last Line of Defense“. Doch besuchten monatlich bis zu sechs Millionen Menschen die Seite, von denen viele alles glaubten, was dort veröffentlicht wurde.
Christopher Blair hatte die Seite während des US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs 2016 als ausgewiesene politische Satire verfasst – anfangs gedacht als Witz unter liberalen Bloggern, die sich über extremistische Ideen der Rechten in den Vereinigten Staaten lustig machen wollten.
Ein Artikel von Politifact weist auf die Gefahren solcher satirischer Seiten hin: “By actively encouraging the spread of disinformation, Blair is facilitating its repetition,” Amazeen said. “Repetition breeds familiarity. Familiarity encourages belief.” (Michelle Amazeen, Boston University, die im Bereich der Massenkommunikation forscht.)
Veröffentlicht wurden dort Artikel darüber, dass Kalifornien die Scharia eingeführt habe, dass der ehemalige US-Präsident Bill Clinton zum Serienmörder geworden sei, dass illegale Einwanderer Mount Rushmore verunstaltet hätten, dass Barack Obama sich während des Vietnamkriegs vor der Einberufung gedrückt habe, als er neun Jahre alt war.
Blair fand ein Foto, das während einer Zeremonie im Weißen Haus aufgenommen worden war; hinter Präsident Trump standen neben anderen Teilnehmern eine weiße und eine schwarze Frau. Der Blogger markierte die beiden und schrieb: “President Trump extended an olive branch and invited Michelle Obama and Chelsea Clinton. They thanked him by giving him ‘the finger’ during the national anthem.”
Aggressive Kommentare waren die Folge: “Gross. Those women have no respect for themselves” oder “They deserve to be publicly shunned” oder “Not surprising behavior from such ill bred trash” oder “Jail them now!!!”
Reporter der Washington Post haben eine der Frauen besucht, die den Post von Blair kommentiert hatten. Sie war erstaunt, als ihre Replik von liberalen Followern geschmäht wurde: “Who were these people? And what were they talking about? Of course Michelle Obama and Chelsea Clinton had flipped off the president. It was true to what she knew of their character. That was what mattered.“
Der Blogger schrieb direkt neben den Post: “That is Omarosa and Hope Hicks, not Michelle Obama and Chelsea Clinton. They wouldn’t be caught dead posing for this pseudo-patriotic nationalistic garbage . . . Congratulations, stupid.” Und Mitglieder seiner liberalen Community antworteten – ihrerseits recht aggressiv – auf einige der Kommentare.
Zwei Jahre nach der Initiierung von „America’s Last Line of Defense“ (als die Seite noch online war) dokumentierte die Washington Post, wie aus den erfundenen Geschichten Realität wurde, wie sie die Vorbehalte der Menschen verstärkten, wie sie überschwappten auf mazedonische und russische Fake-News-Seiten. Der Witz, der ursprünglich Anlass für diese Seite war, enthüllte nun etwas, was wesentlich finsterer ist (Hinweis: Nur eine begrenzte Anzahl von Artikeln der Washington Post ist monatlich kostenlos abrufbar):
“No matter how racist, how bigoted, how offensive, how obviously fake we get, people keep coming back,” so Christopher Blair auf seiner persönlichen Facebook-Seite. “Where is the edge? Is there ever a point where people realize they’re being fed garbage and decide to return to reality? … It’s getting to the point where I can no longer control the absolute absurdity of the things I post. No matter how ridiculous, how obviously fake, or how many times you tell the same taters . . . they will still click that ‘like’ and hit that share button.” (Zitiert aus dem Artikel der Washington Post.)
Der Begriff „alternative facts“ hat seine Berühmtheit durch Kellyanne Conway, eine Präsidentenberaterin, erlangt, die ihn benutzte, um die Falschaussage des damaligen Pressesprechers Sean Spicer zu den Besucherzahlen bei der Trump’schen Amtseinführung zu verteidigen.
Das Phänomen, das in dieser Geschichte beschrieben wird, illustriert das Problem, mit dem sich nicht nur Politiker(innen) oder engagierte Mitglieder von zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen, sondern vor allem Vertreter(innen) der Presse auseinandersetzen müssen: Der öffentliche Diskurs ist von den „alternative facts“ überrollt worden.
Die amerikanischen Medien haben ein Problem mit der Wahrheit. Allerdings nicht so, wie es ihnen von einer wachsenden Zahl von Menschen vorgeworfen wird, als Teil des demokratischen Establishments, als Mainstreammedien, als getarnte Liberale, als Agenten, die Falschnachrichten verbreiten, um die Wähler in die Irre zu führen etc. etc.
Sondern mit der Wahrheit als Gut, das sie verbreiten wollen. Die Redaktionen investieren Zeit und Mühe in Aufklärung, in Faktenchecks, in Rubriken, in denen sie die nachgewiesenen Lügen von Präsident Trump seit Amtsantritt zählen (und erläutern), in Hintergrundreportagen und vieles andere mehr; nur um festzustellen, dass Wahrheit, also Fakten, aus der Mode gekommen zu sein scheinen.
Der Beitrag „We are Internet: Whataboutism“ von extra 3 / NDR illustriert dieses Phänomen.
Whataboutism, ein Phänomen, das in den Vereinigten Staaten in der Vor-Trump-Ära eher mit sowjetischer / russischer Propaganda gleichgesetzt wurde, hat mit dem amtierenden Präsidenten Einzug in die öffentliche Debatte gehalten. Es beschreibt, wie auf Kritik geantwortet wird, indem – oft kontextlose – Gegenvorwürfe geäußert werden. „What about Hillary …“, gefolgt durch eine der zahlreichen Anklagen, die Trump an die Adresse seiner Konkurrentin im Wahlkampf (und auch danach) gerichtet hat, ist ein schon fast klassisches Beispiel für Whataboutism geworden.
Die konservative Medienlandschaft in den Vereinigten Staaten
Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass auch konservative Medienvertreter von der Post-Regierungswechsel-Medienlandschaft nicht uneingeschränkt profitieren können.
Zu den Verlierern in der US-amerikanischen Medienlandschaft unter Trump zählen Medienmacher und Publikationen, die sich an ein deutlich konservatives Publikum wenden, im Spektrum aller Medien aber eher zwischen Mitte und rechts angesiedelt sind – also nicht zu den extremer rechten zu zählen sind.
In der Studie „Partisanship, Propaganda, and Disinformation: Online Media and the 2016 U.S. Presidential Election“ des Berkman Klein Centers ist anhand einer Datenwolke zu sehen (Abb. 7), wie sich die Gemengelage zwischen Medien verschoben hat, die eine vorwiegend linke, in der Mitte verortete oder rechte Leserschaft anziehen. Der übergeordnete Schwerpunkt in der Gesamtansicht liegt auf „Mitte-links“-Medien; stärker linksorientierte Medien spielen eine nachgeordnete Rolle. Hingegen liegt der Mittelpunkt, sowohl im Hinblick auf Aufmerksamkeit als auch auf Einfluss, für konservative Medien bei den stark rechtsgerichteten. „Mitte-rechts”-Medien sind die am wenigsten repräsentierte Menge im Medienspektrum. (Die Datenwolke ist hier noch einmal in höherer Auflösung zu sehen, aber Achtung: Das PDF ist knapp 4,5 MB groß.)
Der konservative Radio-Show-Host Charlie Sykes aus Wisconsin konstatierte nach seinem Ausstieg, dass seine Zuhörerschaft während des Präsidentschaftswahlkampfs nur in sehr geringem Anteil etwa auf anti-muslimische Wahlkampf-Rhetorik eingegangen sei. Er selbst attestiert dem konservativen Talk Radio, dass die (vermeintliche) Voreingenommenheit der „Mainstream-Medien“ immer eine der thematischen Klammern dieses Formats gewesen sei, die schon immer breite Angriffsflächen gegen etablierte Medien geboten hätte. 2016 sei allerdings eins klar geworden: “We had succeeded in persuading our audiences to ignore and discount any information from the mainstream media. Over time, we’d succeeded in delegitimizing the media altogether — all the normal guideposts were down, the referees discredited.”
Das konservative Talk Radio habe jahrelang Rassisten, Anhänger von Verschwörungstheorien und andere ignoriert, etwa die, die über Präsident Obamas „secret Muslim plot “, das Christentum zu unterwandern oder über die Mordopfer von Hillary Clinton fantasiert hätten. “After all, they were our allies, whose quirks could be allowed or at least ignored.” So sei die eigene Immunität gegenüber Fake News zerstört worden, während die schlimmsten und hemmungslosesten Stimmen der Rechten gestärkt wurden.
Dies sei keine reine Naivität gewesen, sondern ein moralisches Versagen. Nun, da die Wahl entschieden sei, solle man von der Republikanischen Partei nicht erwarten, dass sie sich diesen Trends entgegensetze: “The gravitational pull of our binary politics is too strong.” Denn dies sei, so Sykes, eine der am stärksten wirkenden Ursachen für diese Entwicklung gewesen: “What they [die Zuhörer] did buy into was the argument that this was a ‘binary choice’. No matter how bad Mr. Trump was, my listeners argued, he could not possibly be as bad as Mrs. Clinton. You simply cannot overstate this as a factor in the final outcome. As our politics have become more polarized, the essential loyalties shift from ideas, to parties, to tribes, to individuals. Nothing else ultimately matters.” (Zitiert aus einem Artikel der New York Times; nur eine begrenzte Anzahl von Beiträgen der NYT ist monatlich kostenfrei abrufbar.)
In diesem politischen Universum, führt Sykes in seiner Analyse aus, akzeptieren Wähler, dass sie bizarres Verhalten, Unehrlichkeit, Geschmacklosigkeit und Grausamkeit tolerieren müssen – „because the other side is always worse“. Er sagt, dass er durchaus darauf hingewiesen habe, dass einige der solchermaßen verbreiteten Geschichten nachweislich falsch waren, aber die Hörer hätten sich Beweisen verweigert, die ihren Ursprung außerhalb ihrer Filterblase hatten. “The echo chamber had morphed into a full-blown alternate reality silo of conspiracy theories, fake news and propaganda.” Und an dieser Stelle sei es „schmerzhaft“ geworden: Selbst unter Republikanern, die sich keinerlei Illusionen über den Charakter oder die Urteilskraft von Donald Trump hingegeben hätten, hätten die Ansprüche dieser „Stammesloyalität“ überwogen. Diesen zu widerstehen, sei ein Akt des Verrats geworden. Er beschreibt, wie Kampagnen gegen ihn lanciert und er als Verräter an der konservativen Sache geschmäht wurde.
Der konservative Host Michael Medved bekam die Konsequenzen seiner dezidierten Anti-Trump-Haltung zu spüren. Bereits während des Präsidentschaftswahlkampfs verlor er seinen Primetime-Sendeplatz. Er war der einzige unter den Gastgebern von landesweit ausgestrahlten Talk-Shows der einflussreichen (konservativen) Salem Media Group, der sich vehement gegen diesen Kandidaten der Republikaner ausgesprochen hatte. Das US-Magazin Politico beschrieb, wie er durch seinen Widerwillen, ein auch nur zögerlicher Trump-Unterstützer zu sein, das Salem Konsortium, viele lokale Partner und Hörer(innen) verärgert hatte. Medved selbst sagte in dem Artikel:
“There’s no question it would have helped my career to even be reluctantly on the Trump train.”
Bei vielen Mediennutzer(inne)n, die sich in ihrer politischen Orientierung rechts von der Mitte positionieren, ist seit dem US-Präsidentschafts-wahlkampf 2016 zu erkennen, dass sie sich den stärker rechtsgerichteten Medien zuwenden. Wie Charlie Sykes ausführte: Die Loyalität dem eigenen Lager gegenüber wird wichtiger. Diese Entwicklung ist womöglich neu in ihrer quantitativen Ausprägung; tatsächlich neu ist sie allerdings nicht:
In einem weiteren Beitrag wird es um die historische Entwicklung der konservativen Medienlandschaft in den USA gehen.