„Darüber nachzudenken, was einem selbst Heimat bedeutet, welche Freiheiten und Probleme mit ihr verknüpft sind, macht aufmerksam für die Probleme der unfreiwillig Heimatlosen und all derjenigen, die zwischen verschiedenen Heimaten hin und her gerissen sind.“
Zeit Online
„Das Wort ‚Heimat‘ in seinem klassischen deutschen Begriffsfeld ist in anderen Sprachen ohne direkte Entsprechung. Deshalb wird etwa im Amerikanischen zur adäquaten Bezeichnung der deutsche Begriff verwendet (german heimat).“
Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Universität Oldenburg
Der Begriff „Heimat“ wird in Deutschland kritisch diskutiert und auch das Projektteam des Grimme Lab musste sich erst einmal vorsichtig herantasten. Dies liegt an der politischen Instrumentalisierung von Heimat, die das Themenfeld häufig rückständig und ausgrenzend gegenüber Zuwanderern gebraucht. Nähert man sich dem Begriff auf persönlicher Ebene, wird deutlich, dass Heimat für viele Menschen nicht nur einen Geburts- und / oder Wohnort ausmacht, sondern viele Emotionen, Erlebnisse und Menschen damit verbunden sind. Und auch wenn der Begriff Heimat in anderen Sprachen keine direkte Entsprechung hat, haben die meisten Menschen eine enge Bindung an Orte, Menschen und Erinnerungen, die in dieses Themenfeld passen.
Viele Menschen verlieren weltweit aufgrund von Kriegen und Naturkatastrophen ihr Zuhause und müssen sich auf den Weg machen, um eine neue Basis für sich und ihre Familien zu finden. Keine leichte Aufgabe in einer Zeit, die sich auch in Deutschland erschreckend fremdenfeindlich zeigt. Entsprechend aktuell ist die Beschäftigung mit der Frage, was Heimat bedeutet und wie man eine zweite Heimat finden kann. Es wäre wünschenswert, wenn die aktuelle Diskussion um den Begriff Heimat eine Zunahme an Verständnis für Neuankömmlinge in Deutschland als Ergebnis hätte. Das Erinnern an die Wichtigkeit für jeden Menschen, ein Zuhause zu haben, sprich: die Wahrnehmung von einem gemeinsamen menschlichen Bedürfnis, könnte eine Annäherung bewirken.
Einen thematischen Einstieg bietet der Video-Beitrag „Meine Heimat Essen – Vier Wege, Heimat zu finden.“ Vier junge Protagonisten begeben sich auf die Suche nach einer Definition für den Begriff Heimat. Sie erzählen aus ihrem Leben und sammeln Aspekte, die für sie den Begriff Heimat ausmachen. Im Film findet sich die Aussage „Heimat ist kein Ort, es ist ein Gefühl.“
Wenn Heimat nicht zwangsläufig ein realer Ort sein muss, stellt sich die Frage, ob das Internet auch eine Heimat sein oder zumindest die Bedeutung von Heimat vermitteln kann. Für viele Menschen ist das Internet eine selbstverständliche Möglichkeit, um die eigene Lebensweise darzustellen und zu schauen, wie andere Menschen leben. Zudem hält man über soziale Medien Kontakt auch zu weit weg lebenden Freunden und Familienmitgliedern. Das Internet schafft somit einen virtuellen Raum, in dem man Freunde und Familie treffen und neue Menschen kennenlernen kann – eine Art virtuelle Heimat.
Der vorliegende Beitrag möchte einen Beitrag zur Annäherung an einen toleranten Heimatbegriff leisten, indem Informationsquellen im Internet vorgestellt werden, die einen Einblick in die Heimat von Menschen in aller Welt erlauben.
Im Rahmen der Recherche zum Thema Heimat im Internet haben wir zahlreiche Videos gefunden, in denen Menschen über ihr Leben berichten. Um globale Ähnlichkeiten im Heimatempfinden von Menschen aufzuzeigen, haben wir uns bei der Auswahl auf das Projekt „Global 3000“ der Deutschen Welle konzentriert. Die darin enthaltenen Serien Global 3000 Wohnzimmer und Global Snack greifen zwei wichtige Aspekte auf, die eng mit dem Begriff der Heimat verbunden sind: die Wohn- und Esskultur von Menschen in aller Welt.
Wohnzimmer weltweit
Die vielfältige Abbildung von Heimat im Internet gibt Nutzerinnen und Nutzern die Möglichkeit, Einblicke in die Lebensumstände anderer Menschen zu erlangen, die früher nur durch einen persönlichen Besuch möglich waren. (Mediale) Einblicke in Wohnungen als Repräsentanten für die Heimat seiner Bewohnerinnen und Bewohner zeigen den Wert der vertrauten Umgebung.
Im Rahmen des Projektes Global 3000 Wohnzimmer sind zahlreiche filmische Einblicke in Wohnzimmer entstanden, die den Nutzerinnen und Nutzern weltweit einen digitalen Besuch gestatten. In Form von Videobeiträgen im Internet zeigen Menschen ihren Lebensraum und ihren Alltag. Sie erzählen von ihren Familien sowie von den Besonderheiten ihres Zuhauses. Die Zuschauer können auf diese Art und Weise Ähnlichkeiten und Unterschiede zum eigenen Zuhause herausfinden.
Allen Videobeiträgen gemeinsam ist die Anfangssequenz, die Bilder aus der jeweiligen Region oder Stadt zeigt, bevor die Kamera dann auf ein Privathaus schwenkt. Im Folgenden findet sich eine kleine Auswahl an Videobeiträgen, die virtuelle Besuche in Serbien, Australien, Afrika und Kirgistan ermöglichen:
Wohnzimmer weltweit:
Belgrad, Serbien
Den Anfang macht ein Besuch in Serbien. Nataša Topalovic öffnet die Türen ihres Zuhauses in Belgrad. Dort wohnt sie mit ihrer Familie. Die Zuschauer/-innen dürfen mit ins Wohnzimmer kommen, den Kindern beim Spielen zusehen und erfahren, dass Nataša Topalovic alle Bilder im Wohnzimmer selbst gemalt hat. Dann nimmt sie die virtuellen Besucher mit in ihren Kreativraum, der direkt neben dem Wohnzimmer gelegen ist, in dem sie malt und Figuren gestaltet. Sie berichtet zudem über ihren Bezug zum religiösen Leben und lädt ein, Belgrad zu besuchen.
Wohnzimmer weltweit:
Perth, Australien
Weiter geht die Reise nach High Wycombe, einem Vorort von Perth, Westaustralien. Dort leben Patricia Crosthwaite und ihr Ehemann Lyle in einem eigenen Haus. Für sie ist ihr Wohnzimmer „ihr Leben“. Dort bewahren die beiden viele Dinge, die ihnen wichtig sind. Patricia Crosthwaite zeigt zudem im Video ihre Seifenherstellung und lässt den Kameramann gesammelte Schätze und gerahmte Fotos von Familie und Freunden auf dem Klavier abfilmen. Sie sagt, dass es für ihr Wohlbefinden wichtig ist, Dinge um sich haben, die sie liebt.
Wohnzimmer weltweit:
Ruanda, Afrika
Veneranda Mukamwkama lebt mit ihrer Familie – ihrem Mann und vier Kindern – in Ruanda. Das Wohnzimmer ist nach getaner Arbeit der Treffpunkt der Familie. Es gibt einige Sitzgelegenheiten und einen Fernseher. Veneranda Mukamwkama berichtet, dass zwei ihrer Kinder bereits die Schule beendet haben. Zwei Kinder gehen noch zur Schule. An ihrem Wohnzimmer mag Veneranda Mukamwkama besonders einen Vorhang, der ihr in seiner Farbe und seinem Muster gut gefällt. Sie sagt, dass sie nicht reich, aber glücklich sind und bisher noch nie voneinander getrennt waren. Ihr Mann ist im Video die ganze Zeit an ihrer Seite.
Wohnzimmer weltweit:
Jay-Terek, Kirgistan
Mavluda Ergeschowa wohnt mit ihrer Familie in Jay-Terek, einem Dorf im Westen Kirgistans. Ihr Wohnzimmer dient nachts als Schlafraum für fünf Personen. Die Decken und Kissen sind alle selbstgenäht und im Film ist die Mitte des Raumes üppig gedeckt mit zahlreichen Speisen der Region. An der Wand hängt die Soldatenuniform ihres Mannes und eine Seite des Raums beheimatet Besitztümer ihres ältesten Sohnes, unter anderem Computerbildschirme und Rechner. In ihrem Heimatdorf gibt es keinen Internetanschluss.
Allen Videobeiträgen gemeinsam ist, dass Menschen ihren privaten Raum zeigen, der ihr Leben widerspiegelt und der einer Einladung in den vertrauten Bereich bedarf. Es geht dabei nicht um Möbelstücke und Design, sondern um die private Umgebung der Protagonisten, bei der es sich um mehr als um eine reine Behausung handelt, die jederzeit austauschbar wäre.
50 Küchen, eine Heimat:
Marokko
Ein Bindeglied zwischen Wohnen und Essen bildet die Reihe 50 Küchen, eine Heimat der Deutschen Welle. Darin werden Restaurants und ihre Besitzer aus der gastronomischen Szene Berlins vorgestellt. Die Deutsche Welle umschreibt die Beiträge des Projektes folgendermaßen: 50 Nationen mit ihren Restaurants und Spezialitäten, 50 faszinierende Geschichten von Abschied und Aufbruch, von Risiko und Mut. In dem Videobeitrag 50 Küchen, eine Heimat: Marokko ist das Restaurant in Anlehnung an ein typisches marokkanisches Wohnzimmer gestaltet. Der Besitzer Driss Haggoud verbindet somit Essen und Wohnen mit dem Gefühl Heimat. Die Gäste können auf diese Art und Weise Aspekte der marokkanischen Kultur kennenlernen und der Restaurantbesitzer kann Teile seiner eigenen Kultur und Heimat mit in das neue Zuhause bringen und somit für sich bewahren.
Snack weltweit
Nahrungsmittel spielen eine wichtige Rolle, wenn es um Heimat und Tradition geht. Jedes Land hat seine eigenen traditionellen Gerichte, die eine emotionale Bedeutung für die Menschen haben. Rezepte werden über Generationen weitergegeben, häufig auch mit Abwandlungen unter Einfluss von zugewanderten Menschen.
Global Snack:
Deutschland
Im Rahmen des Projektes Global Snack der Deutschen Welle können Nutzerinnen und Nutzer per Video Einblick in die traditionelle Küche anderer Länder nehmen. Interessierte bekommen Anregungen, unbekannte Küchen zu probieren, die in der Vielfalt der Restaurantlandschaft längst in Deutschland angekommen sind. So wie die deutsche Küche nicht aus Weißwürsten und Knödeln besteht, finden sich in anderen Ländern vielfältige Gerichte und Rezepte, die eng mit der Geschichte des jeweiligen Landes verknüpft sind. Als Global Snack in Deutschland wird übrigens das Restaurant „Bunte Burger“ vorgestellt, in dem es alles außer Fleisch, Milch und Käse gibt. Der Imbiss ist Deutschlands erste vegane Burgerbraterei.
Neben der Zubereitung traditioneller Rezepte erhalten die Zuschauer von Global Snack auch Informationen über Essensrituale, sprich: über das wann, wo und wie. Im Folgenden finden sich paar Beispiele für Global Snacks:
Global Snack:
Niger
Der Beitrag aus dem westafrikanischen Niger stellt einen Straßenimbiss vor, der „Brochettes“ als typischen Snack des Landes vorstellt. Brochettes sind Fleischspieße, die meist mit Pommes und Soßen serviert werden. Das Video zeigt das Straßenbild und lässt den Imbissbesitzer sowie Kunden zu Wort kommen. Mit einfachen Mitteln und inmitten des geschäftigen Treibens auf der Strasse wird Fastfood an eilige Kunden und Kundinnen verlauft.
Global Snack:
Israel
Weiter geht es nach Israel. Dort wird „Großmütterchens Imbiss“ vorgestellt, der in Tel Aviv zu finden ist. Der Imbiss bietet ausschließlich traditionelle Gerichte an. Gekocht wird zudem von erfahrenen Köchinnen, die tatsächlich der Generation der Großmütter angehören. Beliebt sind Kzizots, eine Art Boulette, die mit Gemüse und würziger Tomatensoße serviert wird. Die Kunden können aus einer Vielzahl vorbereiteter Speisen wählen und entweder direkt vor Ort essen oder Gerichte für daheim mitnehmen. Aufgrund der traditionellen Zubereitung ist ein beliebter Service die Versorgung mit Speisen vor Feiertagen.
Global Snack:
Bosnien und Herzegowina
In Sarajewo besuchen wir per Video eine beliebte Snackbude, in der Burek angeboten wird. Burek ist eine Teigspirale, die mit Fleisch, Spinat oder Kartoffel gefüllt und mit Joghurt-Soße serviert wird. Dazu trinkt man Tee oder frischen Joghurt. Auch hier können die Gäste wählen, ob sie vor Ort essen möchten oder ob sie sich etwas für daheim mitnehmen. Die Zubereitung erfolgt traditionell mit viel Handarbeit und dem Backen über Holzkohle.
Menschen weltweit
Medial aufbereitete und online verfügbare Geschichten aus dem Leben von Menschen aus ganz unterschiedlichen Regionen der Welt können Anknüpfungspunkte für Gemeinsamkeiten der Protagonisten und Zuschauer schaffen. Während man die Filme anschaut, fragt man sich vielleicht, was das eigene Zuhause ausmacht, welche Rezepte in der eigenen Familie gern gekocht werden, welche internationalen Speisen man gern isst, welche man gern einmal kennenlernen würde und wie vielfältig und zugleich ähnlich das Leben ist.
Und vielleicht führt es auch zu weiteren Überlegungen:
- Was bedeutet der Begriff Heimat für die eigene Person?
- Was bedeutet es, wenn man seine vertraute Umgebung inklusive der Freunde und Familie verlassen muss?
- Wie sah die Heimat Geflüchteter aus?
- Wie wird Deutschland als neue Heimat von Geflüchteten erlebt?
- Gibt es nur die alte Heimat oder kann man auch eine neue Heimat finden?
- Welche Anknüpfungspunkte finden Zugewanderte in Deutschland?
Lesen hierzu auch „Einblicke statt Vorurteile – LSBTTI in den Medien“
Wenn wir über Heimat reden, wäre ein Bewusstsein darüber, dass alle Menschen eine ebensolche haben oder hatten, wünschenswert. In der öffentlichen Diskussion in Politik und Gesellschaft darf es nicht darum gehen, die eigene Heimat gegen alles diffus Unbekannte zu schützen, sondern sie sollte das Zeigen der eigene Lebensweise, die Erklärung von Traditionen zum Inhalt haben und trotzdem offen sein für Neues. Persönliche Kontakte und auch ein medial vermitteltes Kennenlernen können dabei helfen, Vorurteile abzubauen, und Respekt sowie Toleranz füreinander fördern.