Im ersten Teil unseres Schwerpunkts zur Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa haben wir in einige Nachbarländer Deutschlands geblickt, um zu zeigen, mit welchen Argumenten und Strategien dort derzeit für und gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestritten wird.
Dänemark, Österreich und die Schweiz sind nicht Deutschland. Rechtspopulisten sind nicht an der Regierung, und den Rundfunkbeitrag per Volksabstimmung abzuschaffen, ist nicht möglich in einem Rundfunksystem, das seine Legitimation und seinen Auftrag aus Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezieht, die von den Länderparlamenten in Gesetzgebung umgesetzt werden. Dennoch, viele der Debatten, die in Deutschlands Nachbarschaft geführt werden, finden auch hier statt. Die Objektivität der Berichterstattung wird in Zweifel gezogen. Politiker(innen) aus dem rechtspopulistischen Spektrum versprechen die Abschaffung der Rundfunkgebühren. Von Seiten der Privatwirtschaft wird eine Einschränkung des Angebotsumfangs gefordert, und die Frage, ob jeder für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zahlen muss, steht besonders seit der Umstellung auf die Haushaltsgebühr im Jahr 2013 im Raum.
Staatsfunk?
Die nahende Abstimmung der Schweizer über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk führte auch in Deutschland zu einer öffentlichen Debatte. So wurde in einer Spezial-Ausgabe von Maischberger zur Frage diskutiert: Wozu brauchen wir noch ARD und ZDF?
ARD, ZDF und Co. würden „Hofberichterstattung“ für die Regierung betreiben, kritisierte Frauke Petry im Dezember 2017 die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland. Noch härtere Worte fand kürzlich der medienpolitische Sprecher der AfD im Interview mit DWDL.de. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk arbeite an der Umformung des Bewusstseins des Volkes und wolle es zu einer von ihm definierten „politicalcorrectness“ erziehen.
Kritik aus der Medienwirtschaft
Der Streit um die Tagesschau-App zeigt, dass auch die private Medienwirtschaft in Deutschland öffentlich-rechtliche Angebote als unfaire Konkurrenz wahrnimmt. Nach sieben Jahren juristischer Auseinandersetzung zwischen dem NDR und einem Zusammenschluss mehrerer deutscher Zeitungsverlage stellte das Oberlandesgericht Köln Ende 2017 fest, dass es sich bei der App um ein „in unzulässiger Weise presseähnlich[es]“ Angebot handele. Gegen das Urteil legte der NDR Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Unabhängig von diesem Streit um ein konkretes Angebot einigten sich die Ministerpräsidenten der Länder im Juni 2018 darauf, das textliche Angebot von ARD und ZDF im neuen Rundfunkänderungsstaatsvertrag beschränken zu wollen, während zum Beispiel die Nutzung von Social Media durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten ausdrücklich befürwortet wurde.
Reformvorschläge
Das Branchenmagazin DWDL.de hat im Sommer 2018 mit den medienpolitischen Sprechern aller Parteien im Bundestag über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesprochen. In der FDP wurde der Kompromiss zwischen Zeitungsverlagen und öffentlich-rechtlichen Sendern positiv bewertet. Thomas Hacker, medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, erklärte im Interview mit DWDL.de, dass seine Partei mittelfristig für eine Halbierung des Rundfunkbeitrags eintrete und Doppelstrukturen abbauen wolle. Den Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sieht er in der Differenz zum Privatfernsehen, nicht in der Konkurrenz:
„Die Öffentlich-Rechtlichen sollten sich nicht im Bereich Unterhaltung und Lizenzen mit den Global Playern zu Lasten des Rundfunkbeitrages verkämpfen, sondern den Mehrwert eines solchen dualen Systems hervorheben. Qualitätsjournalismus, Dokumentationen und schnelle und fundierte Berichterstattung sowie Kulturbeiträge.“ (Thomas Hacker, FDP)
ÜBERMEDIEN hat in ihrer Publikationsreihe „Wahlhelfer – Die Serie“ unter anderem der AfD 20 Ja-/Nein-Frage zu Medienthemen gestellt.
Mit dem Versprechen, den Rundfunkbeitrag abzuschaffen, trat die AfD zur Bundestagswahl an. Statt des bisherigen Systems fordert die Partei laut ihrem Konzept zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein abgespecktes Informations-, Bildungs- und Kulturprogramm, das nur bezahlen müsse, wer es auch nutze. Übrige Angebote von ARD und ZDF sollen privatisiert werden. Das Modell, das der AfD vorschwebe, sei eine eine Art Bezahlfernsehen, wie man es zum Beispiel vom Sender Sky kenne, heißt es in einem Artikel hierzu im Deutschlandfunk.
Zu viel Gewicht auf Unterhaltung legt der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch nach Ansicht der Union. Dennoch sei der öffentlich-rechtliche Rundfunk unverzichtbar in Zeiten gezielter Desinformation, betont Elisabeth Motschmann, die medienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Weniger versöhnliche Töne stimmte im Herbst 2016 Horst Seehofer mit seiner Forderung an, ARD und ZDF zusammenzulegen. Er beschwerte sich zudem über die „realitätsferne Berichterstattung“ der öffentlich-rechtlichen Sender zur Flüchtlingskrise. Auf Seehofers Kritik reagierten nicht nur Sendervertreter, sondern auch der damalige Justizminister Heiko Maas von der SPD. Er twitterte:
„Wer Journalisten die eigenen politischen Überzeugungen absprechen will, sollte sein Verständnis von Pressefreiheit hinterfragen. Wir sollten uns hüten, denjenigen nach dem Mund zu reden, die Journalisten als Lügenpresse diffamieren.“ (Heiko Maas)
Öffentlich-rechtliche „Selbstverteidigung“
Aufgrund der wachsenden Debatte um ihre Legitimation gehen öffentlich-rechtliche Sender mittlerweile vermehrt auf Kritik ein und versuchen, dem Publikum ihren Wert zu vermitteln. Mehr Dialog mit dem Publikum und Offenheit für Fragen verspricht die ARD seit Juni 2018 in ihrer neuen „Public Value“-Kampagne unter dem Motto „Wir sind deins“. Dieser Slogan soll zeigen, dass die ARD mit ihren Angeboten der Gesellschaft dient.
„Als Rundfunk der Gesellschaft bringen wir Menschen und Meinungen zusammen: Mit unserer publizistischen Vielfalt, der multimedialen Ausrichtung sowie dem freien Zugang zu unseren Angeboten können wir wie kein anderes Medienangebot Gesamtöffentlichkeit herstellen.“ (ARD)
Ein Gemeinschaftsgefühl bildlich vermitteln wollen die TV- und Radio-Spots der Kampagne. Im Fokus stehen Momente, in denen die ARD über deutsche Zeitgeschichte berichtete, wie die Öffnung der DDR-Grenze, sowie Programme, die die Nation vor dem Bildschirm vereinen, wie das Fußball-WM-Finale 2014 oder auch der Tatort.
Für das jüngere Publikum erklärten in letzter Zeit auch einige der „funk-“ Moderator(inn)en auf Youtube, warum es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht. Rayk Anders, der für funk unter anderem das Politik-Magazin Headlinez moderiert, geht zum Beispiel auf den Vorwurf mangelnder Neutralität ein, indem er darauf aufmerksam macht, dass die Achtung von Menschenwürde und Freiheit im Programmauftrag der ARD verankert sind:
„Und die Würde des Menschen und die Achtung vor der Freiheit schützt man eben nicht nur, indem man brav die Fresse hält und die Hände in den Schoß legt, während andere sie grade mit Karacho angreifen. Sondern indem man grade dann den Mund aufmacht. Dass man sich gerade dann für die Demokratie grade macht.“ (Rayk Anders)
Mai Thi Nguyen-Kim, die 2018 mit zwei Grimme Online Awards ausgezeichnet wurde, erklärt, warum Formate wie ihre Wissenschaftssendung maiLab nur mit öffentlich-rechtlicher Finanzierung funktionieren können.
Aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland verteidigt sich nicht nur selbst. In zehn Thesen zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die im Herbst 2017 veröffentlicht wurden, haben Wissenschaftler(innen) und Vertreter(innen) der Zivilgesellschaft dargelegt, warum Deutschland einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht.
These 1: „Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, müsste man ihn gerade jetzt erfinden.“ (Zehn Thesen zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks)
Die Autoren des Appells machen aber auch Reformvorschläge, zum Beispiel zur Stärkung der Transparenz durch öffentliches Tagen der Rundfunkgremien. Und sie fordern die Überprüfung bestehender Angebote.
Das Bundesverfassungsgericht
Im Juli 2018 urteilte das Bundesverfassungsgericht zur Rechtmäßigkeit des Rundfunkbeitrags. Dass es sich beim Rundfunkbeitrag um keine Steuer handelt, stellte das Bundesverfassungsgericht klar. In der Entscheidung wurde ebenfalls betont, dass es nicht darauf ankomme, ob das Angebot genutzt wird. Alleine die Möglichkeit dazu rechtfertigt die Erhebung der Gebühr.
„Ebenfalls unerheblich ist, ob einzelne Beitragsschuldner bewusst auf den Rundfunkempfang verzichten, denn die Empfangsmöglichkeit besteht unabhängig vom Willen des Empfängers. Es widerspräche dem Beitragscharakter, wenn die Zurechnung des Vorteils vom Willen abhinge, von der bestehenden Nutzungsmöglichkeit Gebrauch zu machen.“ (BVerfG Urteil vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16)
Mit diesem Urteil ist die gemeinschaftliche Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in seiner heutigen Form gesichert, die gesellschaftliche Debatte um seine Legitimation ist damit aber nicht beendet. ARD, ZDF und Deutschlandradio bleiben weiter herausgefordert, sich Kritik zu stellen und zu erklären, wozu es sie heute noch oder gerade heute braucht. Wirkungsvoller aber noch sind Verteidigung und Verbesserungen des öffentlich-rechtlichen Systems, die aus der Gesellschaft kommen.
Dieser Beitrag ist Teil unseres Jahresthemas ’18 „Globales Leben“. |