Deutschland ist nicht die USA. Auf diese banale, aber wichtige Erkenntnis haben wir schon im Vorfeld der Bundestagswahl mit Blick auf Meinungsmanipulation via Fake News, Social Bots oder Micro-Targeting hingewiesen. Sie gilt auch mit dem Blick auf Pressefreiheit, Qualität und Vertrauen in die Medien, deren Entwicklung in den USA wir im Rahmen eines eigenen Dossiers mit Sorge betrachten. Die Stärke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa sieht US-Medienforscher Jay Rosen als den fundamentalen Unterschied zu den USA an, der Europa vor einer „Ressentiment-Maschine“ wie Fox News schützt. Gleichzeitig warnt Rosen im Interview mit Deutschlandfunk Kultur vor Plänen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schwächen, wie sie hierzulande zum Beispiel von der AfD verfolgt werden.
„Und wenn jetzt in Deutschland, Österreich, Großbritannien oder Australien bestimmte Parteien ihre Pläne durchsetzen können, wird der öffentliche Rundfunk auch hier geschwächt werden. Dann kann man herausfinden, ob die deutsche Demokratie stark genug ist, diesen Attacken zu widerstehen.“ (Jay Rosen).
Einen umfassenden Blick auf die aktuelle Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Polen, Frankreich, Österreich, Großbritannien und Norwegen wirft Weltspiegel Extra.
Die öffentlich-rechtlich dominierten Mediensysteme seiner Nachbarn sind Deutschland viel näher als das markt-liberale US-System. In Deutschlands unmittelbarer Nachbarschaft ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk aktuell von unterschiedlichen Seiten unter Beschuss. Die Situation in Osteuropa haben wir bereits betrachtet. Aber auch in der Schweiz, in Österreich und Dänemark kam es in den vergangenen Monaten von verschiedenen Seiten zu Attacken auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die bereits Auswirkungen in der Debatte über ARD und ZDF in Deutschland zeigen.
Vor diesem Hintergrund wagen wir den Blick in die Rundfunksysteme und Debatten unserer Nachbarn, um zu verstehen, mit welchen Argumenten und Reformvorschlägen dort aktuell die zentrale Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für Demokratie und öffentliches Leben beschnitten werden soll. Gleichzeitig schauen wir, wie unter dem Druck Ideen und Initiativen für eine Erneuerung der Legitimation öffentlich-rechtlicher Medien entstehen.
Dänemark
Kommissarin Lund, Borgen oder 1864, aus Dänemark kamen in den vergangenen Jahren viele Qualitätsserien mit starken Heldinnen und komplexen Reflektionen über Politik und Gesellschaft auf deutsche Fernsehbildschirme. Hinter all diesen Produktionen steht Danmarks Radio (DR), das fest in der dänischen Gesellschaft verankert ist: DRs Eigenproduktionen erreichen regelmäßig über 50 Prozent Marktanteil. DR steht aber nicht nur für Qualität in der Fiktion, auch in Zeiten der Vertrauenskrise der Medien in Deutschland ging der Blick nach Norden: 2016 berichtet Zapp, wie sich DRs Nachrichtenredaktionen durch Selbstkritik, Publikumsdialog und gesteigerte Transparenz das Vertrauen der Bürger(innen) zurückerobert haben. Die rechtpopulistischen Stimmen im Parlament genauso zu behandeln, wie jede andere Partei, wird im Bericht ebenso als eine Strategie im Umgang mit Kritik hervorgehoben. In den vergangenen Jahren waren es aber genau diese Stimmen aus der Dansk Folkepartie, der Dänischen Volkspartei, die öffentlich eine Beschneidung DRs forderten. Die Dansk Folkepartie stellt aktuell die zweitstärkste Kraft im dänischen Parlament und stützt die liberal-konservative Regierung von Lars Løkke Rasmussen.
Eine umfassende Erörterung des Skandals um „1864“ liefert der schwedische Filmwissenschaftler Erik Helding.
Einen öffentlichen Eklat zwischen DR und der Dansk Folkepartie löste 2014 das Fernsehdrama 1864 aus. Die historische Mini-Serie zeichnete den Zweiten Schleswig-Krieg zwischen Dänemark und Preußen / Österreich nach, der eine Million Dänen das Leben kostete sowie mit dem Verlust Südschleswigs endete. Die Serie zeigte den Krieg als ein von nationalistischer Verblendung motiviertes Schlachten und zog Parallelen in die Gegenwart zum Afghanistan-Einsatz der dänischen Armee. Rund um die Ausstrahlung der Mini-Serie brach eine öffentliche Debatte los, die über 800 Presseartikel in den großen nationalen Zeitungen des Landes und eine hitzige Diskussion in den sozialen Medien umfasste. Wie Erik Heldings Zusammenfassung der Debatte veranschaulicht, wurde der Serie und ihren Machern Geschichtsfälschung und die Verschwendung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Die Sprecherin und frühere Vorsitzende der Dansk Folkepartie nannte die Serie „ein Stück Demagogie“, das völlig unverständlich sei für all diejenigen, die auf ein ernsthaftes historisches Drama gehofft hatten. Dänischer Nationalismus werde karikiert und der Lächerlichkeit preisgegeben, schrieb Kjærsgaard verärgert. Wie Helding berichtet, schlug ihre Partei daraufhin vor, die historischen Serien von DR sollten in der Zukunft einem Faktencheck unterzogen werden.
Trailer zu 1864
Um die empörten Reaktionen der Rechtspopulisten zu verstehen, ist die Produktionsgeschichte der Serie wichtig: Finanziert wurde 1864 zum größten Teil durch ein Sonderbudget von 100 Millionen Dänischen Kronen, das das dänische Parlament DR 2010 zur Verfügung stellte, versehen mit dem erklärten Ziel, den Dänen, über eine qualitativ hochwertige Produktion, Wissen über wichtige Ereignisse der dänischen Geschichte zu vermitteln. DR hatte sich beim Parlament um einen solchen Sonderzuschuss bemüht und weitere Gelder von Ko-Produktionspartnern wie Arte akquiriert, um insgesamt ein 23-Millionen-Euro-Budget auf die Beine zu stellen. Die Debatte um 1864 als gezieltes politisches Propagandawerk von links kochte seitdem immer wieder hoch.
Auf breite öffentliche Kritik stießen auch Finanz-Skandale bei DR. So geriet der Nachrichtenchef von DR in die Kritik, weil er regelmäßig auf Senderkosten von seinem Wohnort Aarhus nach Kopenhagen zur Arbeit flog. Aufsehen erregte auch der Transport eines Pferdes von Dänemark in die USA. Es gehörte der Ehefrau des neuen USA-Korrepondenten. „Ihr habt euch benommen wie Adlige, und die Lizenz-Zahler waren eure Leibeigenen; Bauern“, kommentierte Mads Kastrup, Redakteur bei der Zeitung Ekstra Bladet die Skandale gegenüber DRs Intendantin Maria Rørbye Rønn. Mit diesen Skandalen leistete DR Forderungen nach Kürzungen Vorschub. In einem Interview mit dem NDR zeichnete Henrik Søndergaard die Argumentation der Kritiker von DR nach: Wenn Geld für solche Verschwendungen da sei, könne das Programm ja kaum unter Kürzungen leiden.
Kein breiter Mastodont, sondern ein schlanker Leuchtturm solle DR in Zukunft sein, verkündete die dänische Kultursministerin, Mette Bock, im März 2018.
Mitte März 2018 war es dann soweit, die dänische Regierung verkündete, die Haushaltsabgabe für den Rundfunk in eine Steuer umwandeln zu wollen. Mit dieser Reform soll nach dem Plan der Regierung aber auch eine Kürzung des Budgets von DR um 20 Prozent im Laufe von fünf Jahren einhergehen. Dadurch soll eine Konzentration DRs auf „public service“-Inhalte erreicht werden, also eine Konzentration auf die Aufgaben, die dem öffentlich-rechtlichen Auftrag an DR entsprechen, um das Gleichgewicht zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk zu verbessern, heißt es von der Regierung.
Diese Ankündigung der Budgetkürzung verdeutlicht aber auch das fundamentale Problem eines steuerfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Durch die Reform, so schätzt es Volker Nünning für die Medienkorrespondenz ein,
„dürfte die Sendeanstalt stärker in die Gefahr geraten, abhängig von der Regierung und deren Parlamentsmehrheit zu werden, weil diese künftig direkter Einfluss nehmen können auf das Budget, das der Rundfunkanstalt bewilligt werden soll“.
Dass ein Gefühl der Rechtmäßigkeit einer solchen Beeinflussung zumindest in Teilen der dänischen Politik vorhanden ist, verdeutlichte der Fall 1864.
Endgültig ist die Entscheidung der Reform für DR noch nicht, da die Verhandlung des alle vier Jahre zu erneuernden Medienabkommens noch aussteht. Zwar kritisieren die Oppositionsparteien die Höhe der geforderten Kürzungen deutlich, die Transformation der Rundfunkgebühr in eine Steuer unterstützen sie indes. Das erste Land mit steuerfinanziertem Rundfunk in Europa wäre Dänemark nicht. In Finnland wurde 2013 eine Reform der Finanzierung beschlossen. In Schweden wird aktuell ebenfalls über eine Rundfunksteuer diskutiert.
Mit Blick auf ähnliche Debatten u. a. in Polen und Österreich erklärt die Medienjournalistin Caroline Schmidt, es überrasche nicht, dass vor allem Länder dieses Modell diskutieren oder einführen wollen, in denen Rechtspopulisten mächtig sind:
„Das Steuermodell für Sender ist gefährlich, weil es Politikern erlaubt, schleichend ihren Einfluss auszubauen. Wer weiß schon genau, wie viele Euro aus dem Staatshaushalt wohin gehen und unter welchen Bedingungen?“ (Caroline Schmidt, ZAPP)
Österreich
Auch in Österreich wird die Transformation des Rundfunkbeitrags in eine Steuer diskutiert. In den Schlagzeilen war der ORF aber zuletzt aus anderen Gründen: ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz wolle seinen Mitarbeiter(inne)n politische Meinungsäußerungen in sozialen Medien untersagen. Bekannt wurde diese Überlegung, da der Entwurf einer neuen Dienstanweisung versehentlich an Mitarbeiter der Anstalt verschickt wurde. Zu verzichten sei unter anderem auf:
„öffentliche Äußerungen und Kommentare in sozialen Medien, die als Zustimmung, Ablehnung oder Wertung von Äußerungen, Sympathie, Antipathie, Kritik und ‚Polemik‘ gegenüber politischen Institutionen, deren Vertreter/innen oder Mitgliedern zu interpretieren sind“. (Entwurf einer Dienstanweisung an Mitarbeiter des ORF)
ZAPP-Sommerinterview mit ORF-Journalist Armin Wolf
Allein der Vorschlag der Maßnahme wurde als „Knickserl“ der Anstaltsleitung vor der neuen rechts-konservativen Regierung in Österreich gewertet. Die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) trat mit dem Versprechen, den ORF auf seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag zurückzuführen, zum Wahlkampf 2017 an. Darunter versteht die FPÖ zum Beispiel die verstärkte Ausstrahlung österreichischer Inhalte. Sie wurde Regierungspartner der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) von Kanzler Sebastian Kurz, mit der gemeinsam sie eine Reform des ORF im Regierungsprogramm ankündigte. Vorgesehen ist unter anderem eine „Verschärfung der Transparenzbestimmungen zur Sicherung einer objektiven und unabhängigen Berichterstattung“. Während sich die Regierung offiziell zum Erhalt des öffentlich-rechtlichen Systems bekennt, kommt es dennoch von FPÖ-Seite zu Angriffen gegen den ORF, die fragen lassen, welche Vorstellungen die Regierungspartner von objektiver und unabhängiger Berichterstattung haben.
Im April 2018 wurde Armin Wolf im Rahmen des Grimme-Preises mit der Besonderen Ehrung des Deutschen Volkshochschulverbandes ausgezeichnet. „Mit seiner Expertise und journalistischen Hartnäckigkeit klärt er auf und demaskiert demokratiezersetzende Strömungen in Gesellschaft und Politik“, heißt es in der Begründung der Ehrung.
In einem Facebook-Post bezeichnete Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der auch Vorsitzender der FPÖ ist, den ORF als den Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Abgebildet auf dem als „Satire“ überschriebenen Post war Armin Wolf, der Sprecher der Österreichischen Spätnachrichten ZIB2. Tags drauf legte Strache beim politischen Aschermittwoch seiner Partei nach: Man glaube dem ORF ja nicht mal mehr die Uhrzeit, bei dieser tendenziösen Berichterstattung.
In einem Interview mit dem deutschen Weltspiegel zeigte sich Wolf erschüttert über diesen Vorwurf:
„Dass der Vizekanzler der Republik so etwas postet und wirklich dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und auch mir persönlich, vor allem aber dem öffentlich-rechtliche Rundfunk vorwirft, bewusst Lügen zu verbreiten. Das habe ich eigentlich in einem westlichen Land noch nicht gesehen. Das kennt man eigentlich nur von Donald Trump.“ (Armin Wolf)
Im Sommerinterview mit ZAPP erklärte Armin Wolf sein Verständnis von Objektivität und Neutralität. Diese seien nicht dadurch gewährleistet, dass Journalist(inn)en einfach nur referieren, was unterschiedliche Akteure sagen, sondern dass diese Aussagen auch eingeordnet werden müssen:
„Und wenn eine Partei sagt, zweimal zwei ist fünf, dann ist es Journalismus, zu sagen, zweimal zwei ist nicht fünf, wir haben es überprüft. Zweimal zwei ist vier. Und jetzt versuchen wir mal herauszufinden, warum diese Partei sagt, zweimal zwei ist fünf. Was hat sie für ein Interesse daran? Ist ihr ein Irrtum passiert? Macht sie das absichtlich? Wenn sie das absichtlich macht, mit welcher Absicht macht sie das? Also dieser klassische he-said/she-said-Journalismus ist noch kein Journalismus. Das ist Stenographie.“ (Armin Wolf)
Der ORF plant 80 Prozent seiner Facebook-Auftritte einzustellen, als Reaktion auf die Datenskandale des US-amerikanischen Dienstes.
Die vermeintliche Parteilichkeit des Senders ist weiterhin ein Thema für die FPÖ. Als Beispiel, warum es an der Zeit sei, die von Wrabetz angekündigten Social-Media-Richtlinien umzusetzen, führte dort FPÖ-Mediensprecher Jennewein einen Facebook-Post der ORF-Redakteurin Patricia Pawlicki an. Sie hatte einen Beitrag des Oppositionspolitikers und Chefs der sozialdemokratischen SPÖ, Christian Kern, auf Facebook geteilt. „Sich aber so unverschämt als Fan vom Kurzzeitkanzler Kern zu outen und dessen Lügenpropaganda gegen die Bundesregierung auch noch aktiv zu unterstützen“, sei eine inakzeptable Grenzüberschreitung und wird ein Fall für den ORF-Stiftungsrat, heißt es in der Meldung auf der FPÖ-Website.
Der Stiftungsrat ist das höchste Aufsichtsgremium des ORF. Dort wird unter anderem über die Leitlinien des Programms, die Besetzung der Generaldirektion und die Höhe des Programmentgelts, also über die Höhe der Rundfunkgebühren, entschieden (siehe ORF-Gesetz § 21). Mit der FPÖ in der Regierung sitzen nun auch Vertreter der Partei an entscheidenden Stellen des ORF-Aufsichtsgremiums, da der Stiftungsrat nach jeder Wahl dem Parteienproporz entsprechend neu besetzt wird. Der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrats, Norbert Steeger (FPÖ), forderte bereits kurz nach seiner Ernennung die Entlassung von Auslandskorrespondenten, falls diese sich „nicht korrekt verhalten“. Hintergrund der Aussage war die Berichterstattung zum Parlamentswahl in Ungarn, die Steeger als zu einseitig empfand. Bei ZEIT Online ordnet Florian Gasser die Attacken der FPÖ gegen den ORF als Schritt in Richtung Ende des ORF ein:
„Die langfristige Strategie: Der ORF soll wohl in seiner jetzigen Form zerschlagen werden – weil er von der FPÖ nicht kontrolliert werden kann, kritische Medien lästig sind und die Freiheitlichen davon ausgehen, dass sie ihn nicht mehr brauchen, um ihre Botschaften zu verbreiten.“ (Florian Gasser)
Die FPÖ braucht den ORF deswegen nicht mehr, weil sie sich über Social Media und FPÖ TV ihre eigenen Kanäle geschaffen hat. Dass die Schwächung des ORF Ziel der FPÖ ist, diese Einschätzung teilt auch Generaldirektor Alexander Wrabetz. Ein Bündnis mit dem Publikum sei die einzige Antwort, die der ORF darauf geben könne, sagte Wrabetz dem Weltspiegel:
„Solange wir der absolute Marktführer im Fernsehen, im Radio und im Onlinebereich sind, ist das der wichtigste Rückhalt, den wir haben.“ (Alexander Wrabetz)
Die Marktführerschaft des ORF ist in der österreichischen Medienlandschaft tatsächlich noch nicht in Gefahr. 2017 erreichte die ORF-Sendergruppe über ein Drittel Marktanteil; in der Hauptsendezeit sogar 39 Prozent. Die stärkste Konkurrenz für das ORF-Fernsehen sind die Privatsender aus Deutschland, die jeweils um die 4 Prozent Marktanteil erreichen. Andere österreichische Privatsender wie Puls4 und ATV erreichen um die drei Prozent Marktanteil. Armin Wolfs Interview mit Wladimir Putin für ZIB im Juni 2018 erreichte einen Marktanteil von 30 Prozent. Mit knapp 900.000 Zuschauern sahen das Interview mehr Menschen als das parallel stattfindende Fußballspiel zwischen Österreich und Deutschland. Trotz politischer Angriffe stehen die Österreicher(innen) also weiter zum ORF und seinem Programm.
Gleichzeitig ist aber genau die Popularität des ORF einigen Politikern und der privaten Medienwirtschaft ein Dorn im Auge. So schwebt Teilen der FPÖ, aber auch der liberalen Partei NEOS vor, dass der ORF in Zukunft nur noch auf Programme wie den Kultursender ORFIII beschränkt wird und die populäreren Sender wie ORFeins oder die Radiowelle Ö3 privatisiert werden. Ziel dahinter ist die Stärkung der privaten Medienwirtschaft, die dem ORF Wettbewerbsverzerrung vorwirft. Ob eine solche Privatisierung aber die heimische Medienwirtschaft in Österreich stärkt, ist fraglich. Als vor zehn Jahren bereits einmal über eine Teilprivatisierung von ORFeins diskutiert wurde, brachte sich RTL als Käufer in Stellung. Die zwei marktanteilstärksten österreichischen Privatsender Puls4 und ATV gehören bereits zur deutschen ProSiebenSat.1-Gruppe. Angesichts dieser starken Präsenz der deutschen Privatsender in Österreich ist damit zu rechnen, dass es bei RTL und ProSiebenSat.1 auch heute noch Interesse an ORFeins gibt.
Schweiz
Während es in Dänemark und Österreich die Regierungen und Parlamente sind, die derzeit über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in ihren Ländern entscheiden, konnte in der Schweiz am 4. März 2018 die ganze Bevölkerung darüber abstimmen, ob sie weiterhin Rundfunkbeiträge zahlen will. Damit hätte die Schweiz als erstes Land in Europa seinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen können. Die Initiative zur Volksabstimmung nannte sich, nach dem Namen der Gesellschaft zur Erhebung der Rundfunkgebühren, „No Billag“. Die Kampagne wurde über mehrere Monate hitzig geführt. Am Ende stimmten über 71 Prozent der Wähler(innen) gegen die Initiative und damit für die Fortführung der gemeinschaftlichen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Systems in der Schweiz.
Die Stärkung des heimischen Medienmarktes durch eine Privatisierung der SRG war auch eines der Argumente für die Abschaffung der Rundfunkgebühr, aber es war ausgerechnet ein privater Radiomacher, der das Argument in der Debatte entkräftete: Roger Schawinski war in den 1980ern ein Pionier des Privatradios in der Schweiz und mit daran beteiligt, das Monopol der öffentlich-rechtlichen Sender zu brechen. Als Fürsprecher für die Beibehaltung der Rundfunkfinanzierung machte Schawinski unter anderem darauf aufmerksam, dass sich nicht alle Arten des Programms kommerziell finanzieren lassen: Sport, Film und Porno fuktionierten als Pay TV, nicht aber Informationsangebote.
Das SRF Magazin Zeitblende berichtet über die Geschichte des Rätoromanischen, das vor 80 Jahren zur vierten Landessprache wurde.
Wie in Östereich wären es auch in der Schweiz die privaten Medienunternehmer der Nachbarn, die von einer Privatisierung der SRG profitiert hätten, denn für deutsche, französische und italienische Sender ist es ein Leichtes, auch Fernsehen und Radio in der Schweiz anzubieten. Kaum privatwirtschaftliches Interesse wurde hingegen für Medien in der vierten Amtssprache der Schweiz prognostiziert: Rätoromanisch, eine Sprache, die von etwa 60.000 Menschen in Graubünden, im Südosten der Schweiz, gesprochen wird. Ladina Heimgartner, stellvertretende Generaldirektorin SRG und Direktorin der Radiotelevisiun Svizra Rumantscha (RTR), machte in der öffentlichen Debatte immer wieder darauf aufmerksam, wie wichtig Rundfunk und Fernsehen in Rätoromanisch für die Leute der Region sind:
„Radio und Fernsehen geben dieser Sprache eine Normalität, das finde ich fast das Wichtigste an RTR. Wir begleiten diese Sprache, reflektieren sie, entwickeln sie auch weiter – unsere Nachrichtenleute müssen täglich Wörter neu erfinden, weil es sie einfach auf Rumantsch noch nicht gibt.“ (Ladina Heimgartner)
Das Hauptargument der Gebührengegner war aber: Warum für etwas zahlen, dass ich nicht nutze?
„Jeder weiss selbst am besten, wie er sein hart erarbeitetes Geld verwenden möchte. Indem allen eine Radio- und Fernsehgebühr in der Höhe von jährlich über 450 Franken aufgezwungen wird, nimmt man den Menschen das Recht auf Selbstbestimmung, bevormundet sie und raubt ihnen damit Lebensqualität. Werden die Billag-Zwangsgebühren abgeschafft, erhalten alle mehr Entscheidungsfreiheit und Lebensqualität.“ (No Billag)
Diese Argumentation entstammt dem politischen Denken der sogenannten Jungfreisinnigen, der liberalen Jungpartei der Schweiz, die sich dem Slogan „Mehr Freiheit. Weniger Staat“ verschrieben hat. Es waren Mitglieder der Jungfreisinnigen, die 2013 die „No-Billag“-Initiative auf den Weg gebracht haben. In einem Gespräch mit der ZEIT erklärt einer der Mitinitiatoren, dass er auch in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens nur für das zahlen wolle, was er brauche: „Ich würde am liebsten aus der AHV [Altersvorsorge] austreten, aus dem Steuersystem und natürlich auch aus der obligatorischen Krankenversicherung.“
Gegen diese Absage an das Solidaritätsprinzip der schweizerischen Gesellschaft wendete sich unter anderem die Kampagne „Filmschaffende gegen No Billag“. In einer Reihe von Youtube-Videos wurde dargestellt, wie eine Schweiz aussehen würde, in der jeder nur noch für das zahlt, was er oder sie braucht: Feuerwehr? Nur wenn vorher ein Löschabo abgeschlossen wurde. Bürgersteig? Nur noch mit gelöstem Ticket zu betreten. Französischunterricht? Nur noch für Kinder von reichen Eltern.
Stimmen und Argumente gegen die No-Billag-Initiative versammelten sich in Online-Kampagnen wie Nein zu No Billag oder Sendeschluss Nein. Erstere argumentierte etwa:
Die rein werbefinanzierten Medien laufen zudem Gefahr, bei kritischer Berichterstattung wirtschaftlich unter Druck zu geraten. Wohlhabende politische und wirtschaftliche Interessensgruppen können sich mit Geld viel Raum in den Medien kaufen.“ (Nein zu No Billag)
Noch im Winter 2017 sah es so aus, als ob die No-Billag-Initiative eine Chance hätte. Wie die zahlreichen Gegenkampagnen zeigen, übernahmen gesellschaftliche Kräfte die Verteidigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und übersetzten die oft abstrakten Gedanken hinter dem öffentlich-rechtlichen System und den Vorschlägen seiner Gegner in konkrete Argumente. „Rückblickend betrachtet, war das eine Riesenchance für uns“, sagte Ladina Heimgartner dem Deutschlandfunk.
„Man konnte auf die Straße und mit jedem und jeder eine Diskussion über Medien führen auf sehr, sehr hohem Niveau.“ (Ladina Heimgartner)
Gespart wird in Zukunft bei der SRG trotzdem. Insgesamt sollen 100 Millionen Schweizer Franken weniger ausgegeben werden. Das liegt nicht nur an der Kritik im Rahmen des Referendums, sondern auch an der Senkung des Rundfunkbeitrags in der Schweiz, die bereits vor der Volksabstimmung beschlossen wurde. In Zukunft wird auf Werbeunterbrechungen bei Filmen im Abendprogramm verzichtet und man plant bei der SRG, Kooperationen mit der Privatwirtschaft auszubauen. Auch beim Programm wird eingespart, während gleichzeitig Investitionen in Eigenproduktionen im Kulturbereich angekündigt wurden.
Fazit
Die Debatten um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschlands Nachbarschaft zeigen, wie sich bestimmte Argumente in jedem Land wiederholen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei zu links, staatsgelenkt und nicht objektiv, tönen besonders rechtspopulistische Stimmen. Dahinter steckt aber nicht unbedingt der Glaube an das Ideal objektiver Berichterstattung, sondern der Wunsch selbst Kontrolle auf die Nachrichtenagenda ausüben zu können, indem man Kriterien für Objektivität selbst definiert und damit unliebsame Kritik zurückweisen kann.
Aus den gemäßigten politischen Lagern kommt die Kritik der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei zu teuer und müsse verschmälert werden, indem man den Auftrag enger definiert: Leuchttürme statt Mammuts. Damit wird der Blick auf Misswirtschaft mit öffentlichen Geldern gelenkt und den öffentlich-rechtlichen Sendern das Angebot gemacht, sich mehr im Kontrast zum privaten Markt zu definieren. Diese Reformvorschläge sind konstruktiv, solange sie nicht einfach blind den Argumenten und Desideraten der privaten Medienwirtschaft folgen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als unfaire Konkurrenz wahrnimmt und daher so weit wie möglich beschränkt sehen möchte.
Der freie Markt kann nicht alles bieten, was der öffentlich-rechtliche Runkfunk leistet. Angebote für bestimmte Sprachregionen, Kinderfernsehen, Berichterstattung aus dem Kulturbetrieb und dem Ausland sind Bereiche, die kaum kommerziell zu finanzieren sind. Wer solche Angebote möchte, könne doch ein Abo dafür zahlen, heißt es dann aus dem Munde der Kritiker. Dabei sollte jeder Bürger, egal ob er Kinderfernsehen, Nachrichten aus dem Ausland oder Brauchtumspflege im TV sieht, ein Interesse daran haben, dass diese der ganzen Bevölkerung stetig und in guter Qualität zur Verfügung stehen und ihr Konsum nicht von individueller Finanzkraft abhängt.
Mehr freier Markt heißt gerade in kleinen Ländern wie Dänemark, Österreich und der Schweiz mehr Konkurrenz aus dem Ausland und damit nicht unbedingt eine Stärkung der heimischen Medienwirtschaft oder mehr heimische Sendungen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hingegehen, kann zu Investititonen im Inland und zu bestimmten Leistungen wie Sprachenpflege verpflichtet werden und mit seinen stetigen Aufträgen eine Produktionslandschaft vor Ort aufrecht erhalten. Schon allein wegen der Abhängkeit eines großen Teils der nationalen Medienwirtschaft von den öffentlich-rechtlichen Auftraggebern kann ein radikaler Umbruch wie die Abschaffung der Gebühren über Nacht nicht die Lösung aller Probleme des öffentlich-rechtlichen Systems sein. Der Schaden an anderer Stelle wäre zu groß und zu irreparabel.
Graduelle Reformen sind der vernünftigere Weg. Aber auch bei diesen Reformen ist Acht zu geben, welche Konsequenzen sie mit sich bringen. Eine Umstellung von Rundfunkgebühren auf ein Steuersystem klingt fair für die Bürger, aber gibt dem Staat mehr Einfluss auf das Programm derer, die die Politik im Sinne der Bürger(innen) kritisch begleiten sollen. Es gilt also achtsam zu sein, was sich in der Medienpolitik von Deutschlands Nachbarn tut, denn viele Vorschläge und Debatten die bei ihnen bereits ausgetragen wurden, stehen auch in Deutschland an.
Dieser Beitrag ist Teil unseres Jahresthemas ’18 „Globales Leben“. |