„In keiner anderen Weltregion hat sich die Lage der Pressefreiheit im vergangenen Jahr so stark verschlechtert wie in Europa. Journalistinnen und Journalisten sind dort zunehmend medienfeindlicher Hetze durch Regierungen oder führende Politiker ausgesetzt. Das schafft ein feindseliges, vergiftetes Klima, das oft den Boden für Gewalt gegen Medienschaffende oder für staatliche Repression bereitet. Dies zeigt die Rangliste der Pressefreiheit 2018, die Reporter ohne Grenzen am Mittwoch veröffentlicht hat.“
Reporter ohne Grenzen
„Reporter ohne Grenzen“ betitelt die 2018 veröffentlichte Rangliste der Pressefreiheit mit der Überschrift „Immer mehr Hetze gegen Journalisten in Europa“. Die Zeiten scheinen unruhig zu sein – sowohl für die Demokratie als auch für die Pressefreiheit, da der in vielen Ländern wahrzunehmende Rechtsruck in Politik und Gesellschaft beides gefährdet.
Und auch Deutschland weist kritische Aspekte in der Gewährleistung von Pressefreiheit auf. Aufschluss gibt eine Zusammenfassung der „Reporter ohne Grenzen“, in der insbesondere die folgenden Punkte ausschlaggebend dafür sind, dass Deutschland auf Platz 15 landet:
Nähere Informationen zur Zusammen-fassung der Ergebnisse für Deutschland finden sich im Artikel „Reporter ohne Grenzen: Nahaufnahme Deutschland“.
- Anfeindungen, Drohungen und Gewalt gegen Journalisten,
- im Visier von Justiz und Geheimdiensten: Journalisten und ihre Informanten,
- Daten sammeln, Whistleblower abschrecken: der rechtliche Rahmen,
- harter Kampf um Informationen von öffentlichen Stellen,
- Medien im Strukturwandel: abnehmende Vielfalt, zunehmende Schleichwerbung,
- Versuche politischer Einflussnahme und Ausschluss unliebsamer Journalisten.
Die UNESCO begeht jährlich am 3. Mai den Internationalen Tag der Pressefreiheit, um auf die Einschränkungen für freie Berichterstattung in vielen Staaten der Welt aufmerksam zu machen. 2016 geriet Polen in den Fokus bei der Betrachtung der Rangliste zur Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“. Auslöser war der Abstieg von der 18. Stelle auf den Platz 47 mit einem Abstand von nur einem Jahr. 2017 folgte ein weiterer Abstieg um sieben Plätze auf den Rang 55 und 2018 um weitere drei Plätze auf Rang 58.
Und auch bei anderen Mitgliedern der EU gibt es bedenkliche Entwicklungen bezüglich der Pressefreiheit. Eine Reaktion darauf ist die Gründung des aus EU-Geldern und Stiftungsmitteln finanzierten Europäische Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) mit Sitz in Leipzig. Das Zentrum engagiert sich für die Freiheit der Medien gegenüber staatlichen Eingriffen sowie für den freien Zugang von Journalisten und Bürgern zu Informationsquellen. Ziel des ECPMF ist es, dass alle EU-Mitglieder und Beitrittsinteressenten die „Europäische Charta für Pressefreiheit“ anerkennen und Journalisten in ganz Europa sich bei Konflikten mit staatlichen Stellen auf sie berufen können.
„The Charter on Freedom of the Press initiated by the European journalist community is an important reaffirmation of the basic values, including media pluralism, freedom of expression and information that underpin Europe’s democratic traditions and are enshrined in fundamental legal texts. It is also a reminder that in order to have effective freedom of the press, public authorities have a role to play: they must be ready to protect freedom of expression and foster its development,“ said Viviane Reding, EU Commissioner for Information Society and Media. „The Charter is therefore an important step towards reinforcing these basic values and rights allowing journalists to invoke them against governments or public authorities whenever they feel the freedom of their work is unjustifiably threatened.“
Commissioner Reding welcomes New European Charter on Freedom of the Press, Brüssel 09.06.2009
Schreiben unter Lebensgefahr – Pressefreiheit am Ende? | Quadriga,Deutsche Welle, April 2016
Der massive Eingriff in die Pressefreiheit in zahlreichen Ländern in Europa und darüber hinaus ist Anlass für einen kritischen Blick auf die Geschehnisse. Mit den Angriffen auf die Pressefreiheit geht ein weltweiter Rechtsruck in Form von Populismus und nationaler Abschottung einher, der die Demokratie bedroht und die Notwendigkeit verdeutlicht, genau hinzuschauen, was in Deutschland und anderen Ländern geschieht. Die stetige Verunglimpfung des Journalismus durch Machthabende – unter anderem in den USA, der Türkei und Ungarn – hat Auswirkungen auf den Umgang mit aktiven Journalistinnen und Journalisten, sei es während einer Recherche, einer Berichterstattung auf einer Demonstration oder auch im Nachgang einer Veröffentlichung eines journalistischen Beitrags.
Aufgrund aktueller Entwicklungen in Polen möchten wir im vorliegenden Beitrag exemplarisch einen Blick auf die Entwicklungen der Pressefreiheit bei den Mitgliedern der sogenannten Visegrád-Gruppe (Polen, Slowakei, Ungarn, Tschechien) werfen.
Als Informationsquellen dienen uns unter anderem die Erhebungen der Organisationen „Reporter ohne Grenzen“ und „Freedom House“:
- Reporter ohne Grenzen ist eine international tätige Nichtregierungsorganisation und setzt sich weltweit für die Pressefreiheit und gegen Zensur ein. Unter Berufung auf Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung) engagiert sich die Organisation unter anderem für aus politischen Gründen inhaftierte Journalisten. Jährlich veröffentlicht „Reporter ohne Grenzen“ eine Rangliste der Pressefreiheit auf der Welt und beobachtet kontinuierlich die Entwicklung der Pressefreiheit weltweit.
- Freedom House ist eine unabhängige, in den USA beheimatete Organisation, die weltweit Herausforderungen der Freiheit in den Blick nimmt, mehr politische Rechte sowie Freiheiten für Bürger einfordert sowie Aktivismus für Menschenrechte und demokratischen Wandel unterstützt. „Freedom House“ führt jährlich mehrere Erhebungen durch (Freedom in the World, Freedom of the Press, Freedom of the Net, Nations in Transit und die Rubrik „Special Reports“).
Polen
„In Polen können Medien frei berichten, allzu kritische Äußerungen und satirische Aussagen über Politiker können jedoch mit Verleumdungsklagen geahndet werden. Die Mitglieder des Nationalen Rundfunkrats werden von der Regierung bestimmt, sie kontrollieren die Vergabe von Sendefrequenzen und Lizenzen und können Strafen für die Berichterstattung verhängen. Polens Medienmarkt ist der größte in Mittel- und Osteuropa, die meisten Privatsender und Printprodukte sind in ausländischer, vor allem deutscher Hand.“
Rangliste der Pressefreiheit – Platz 58 von 180
Reporter ohne Grenzen
Die Neue Zürcher Zeitung veröffentlichte im März 2018 den Beitrag „Darum geht es bei Polens «nationaler Revolution»“, der die zentralen Elemente des „Umbaus des Staates“ erklärt und den Stand der Dinge beschreibt.
Wie konnte es zu einem derart starken Abrutsch der Pressefreiheit in der Rangliste der „Reporter ohne Grenzen“ in Polen kommen? Eingeläutet wurde dieser durch den Wahlsieg der nationalkonservativen PiS-Partei in Polen im Oktober 2015 und dem kurz darauf folgenden neuen Mediengesetz, das im Dezember 2015 verabschiedet wurde. Darin enthalten war die Entscheidung, dass der Schatzminister und damit ein Regierungsmitglied über die Besetzung der Leitungsposten in öffentlich-rechtlichen Medien entscheiden kann und die Mandate der bisherigen Amtsträger sämtlich enden. In der Konsequenz wurden das Management und die Führungsspitze der Sender ausgetauscht, regierungskritische Mitarbeiter entlassen und durch loyale PiS-Anhänger ersetzt. Einige regierungskritische Journalisten kündigten auch selbst, um einem Rauswurf zuvorzukommen. Im Juli 2016 folgte das „Brücken-Mediengesetz“ auf die erste Reform. Mit ihm wurde der Nationale Medienrat etabliert, der fortan die Besetzung der Management- und Aufsichtsräte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Radios und der polnischen Presseagentur übernimmt. Zwei der fünf Mitglieder des Nationalen Medienrates werden direkt vom Präsidenten ernannt, drei vom Parlament. Während je ein Sitz die beiden Oppositionsparteien vertritt, hat die PiS die Mehrheit im Nationalen Medienrat. Durch diese Struktur wird eine Kontrolle des Nationalen Medienrates im Sinne der PiS-Politik ermöglicht. „Reporter ohne Grenzen“ begrüßte zwar die Verschiebung des großen Mediengesetzes, an dessen Stelle das Brückengesetz trat, weist aber darauf hin, dass dem Parlamentspräsidenten die Befugnis erteilt wird, den Vorsitzenden des Nationalen Medienrats zu bestimmen und ihm eine Satzung zu geben.
„Eine Reportage des deutsch-französischen Fernsehsenders ARTE hat in Polen eine regelrechte politische und mediale Hetzkampagne ausgelöst. Von einer anti-polnischen Verschwörung ist die Rede, die Protagonistin des Films, die polnische EU-Abgeordnete Róża Thun, sieht sich schweren Beleidigungen ausgesetzt. Der Film „Polen vor der Zerreißprobe. Eine Frau kämpft um ihr Land“ wurde Ende Dezember 2017 ausgestrahlt und begleitet die liberal-konservative Róża Thun auf Reisen durch ihren Wahlkreis in der Region um Krakau. Es werden die Probleme von Oppositionellen geschildert, die sich gegen den Kurs der national-konservativen Regierungspartei PiS stellen.“
Polen: Hetze gegen regierungskritischen ARTE-Film
(In dem Beitrag findet sich auch das Video, abrufbar bis Februar 2019.)
Um auch Einfluss auf unabhängige Medien nehmen zu können, hat die polnische Regierung ihre Werbeaufträge bei regierungskritischen Medien wie Gazeta Wyborcza, Polityka und Newsweek-Polska zurückgezogen. Einigen staatlichen Einrichtungen und Firmen im Staatsbesitz wurde zudem untersagt, ihre Abonnements regierungskritischer Zeitungen zu verlängern.
„Piatek beschreibt darin die engen Verbindungen des
Verteidigungsministers zum Umkreis von Wladimir Putin, zum russischen Geheimdienst und zu kriminellen Gruppen in Russland und wirft ihm vor, in illegale Waffen- und Geldgeschäfte verstrickt zu sein.“
Beitrag: Tomas Piatek aus Polen ist Journalist des Jahres
„Reporter ohne Grenzen“, November 2017
Wie prekär Recherchen und deren Veröffentlichung für Journalisten in Polen werden können, zeigt der Fall von Tomas Piątek, der von „Reportern ohne Grenzen“ als Journalist des Jahres 2017 ausgezeichnet wurde, dem zeitgleich jedoch eine mehrjährige Haftstrafe für die Veröffentlichung des Buches „Antoni Macierewicz und seine Geheimnisse“ droht. Die journalistische Arbeit wird in diesem Fall nicht mehr als freie Berichterstattung bewertet, sondern als illegale Unruhestiftung und / oder als Verleumdung.
In einem deutsch-polnischen Themenspezial nimmt das European Journalism Observatory die Entwicklungen in den beiden Medienmärkten genauer unter die Lupe. Das Themenspezial greift dabei den Einfluss der polnischen PiS-Regierung auf die Medien in Polen und die Berichterstattung darüber in deutschen Medien auf. Betrachtet werden außerdem die schrumpfende Pressevielfalt und Versuche der politischen Einflussnahme auf Medien in Deutschland unter den drei Gesichtspunkten: Austausch der Führungsspitze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, „Repolonisierung“ der Printmedien und Reaktion der polnischen Gesellschaft. Weitere Themen sind das Vertrauen in die Medien und der Umgang mit Fake News in beiden Ländern.
Deutsche Welle
Polen: Angriff auf die Medienfreiheit
22.03.2018
Neben dem massiven staatlichen Eingriff in die Besetzung von Positionen bei öffentlich-rechtlichen Sendern strebt die Regierung an, auch einen möglichst großen Anteil der polnischen Medienhäuser in polnischen Besitz zu bringen. 2016 waren etwa drei Viertel des polnischen Pressemarkts im Besitz ausländischer Medienunternehmen, vor allem deutscher. Die Maßnahmen der Regierung stoßen bei großen Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung, was sich in zahlreichen Protesten mit tausenden von Menschen seit Ende 2015 zeigt.
Auch die Berichterstattung über die deutsche Regierung in PiS-konformen Medien ist bemerkenswert. Auf den ersten Seiten der regierungsnahen Medien wurden mehrfach Regierungsmitglieder mithilfe von Fotomontagen in Uniformen der Wehrmacht abgebildet. Dies hat wiederum dazu geführt, dass nicht-regierungsnahe Medien deutlich Abstand von dieser Art des Journalismus nehmen und unter anderem bei der Welt Online Stellung beziehen und sich für solche Darstellungen entschuldigen.
Die Initiative „Freedom House“ bewertet in ihrer Erhebung „Freedom of the press 2017“ die Entwicklung in Polen folgendermaßen:
„Poland’s status declined from Free to Partly Free due to government intolerance toward independent or critical reporting, excessive political interference in the affairs of public media, and restrictions on speech regarding Polish history and identity, which have collectively contributed to increased self-censorship and polarization.“
Slowakei
„Die unabhängigen Medien in der Slowakei können auch kontroverse Meinungen wiedergeben. Die meisten privaten Häuser gehören jedoch einflussreichen Unternehmern, die über unklare Besitzverhältnisse ihre Verbindungen zu Politik und Wirtschaft verschleiern. Der private Sender Markiza erreicht die höchsten Einschaltquoten in der Slowakei, aber auch Rundfunkprogramme aus den Nachbarländern Ungarn und der Tschechischen Republik sind beliebt. Die Politik hat in den vergangenen Jahren wiederholt Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgeübt.“
Rangliste der Pressefreiheit – Platz 27 von 180
Reporter ohne Grenzen
Der Fall Ján Kuciak | Weltspiegel
Die Bedrohungslage für Journalist(inn)en und die enge Verknüpfung zur politischen Lage zeigen sich aktuell in der Slowakei nach dem Mordanschlag auf den Journalisten Ján Kuciak und dessen Verlobte am 25. Februar 2018. Hintergrund sind wohl die Veröffentlichung von zahlreichen Artikeln über korrupte Machenschaften in der Slowakei sowie die zuletzt recherchierten mutmaßlichen Verbindungen der Regierungspartei zur italienischen Mafia. Medienberichten zufolge hatte Kuciak auch über mutmaßliche Verfehlungen von Unternehmern berichtet, die Ministerpräsident Robert Ficos sozialdemokratischer Partei Smer nahestehen sollen. Im vergangenen Herbst erhielt Kuciak demnach Drohungen und erstattete daraufhin Anzeige bei der Polizei.
Nach dem Rücktritt von Langzeit-Premier Robert Fico in der Affäre um die Ermordung des Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten ist Peter Pellegrini (Smer) als neuer Ministerpräsident vereidigt worden. Staatspräsident Andrej Kiska vereidigte daraufhin ein neues Kabinett aus denselben drei Parteien. Da die Morde weiterhin nicht aufgeklärt wurden, gehen die Proteste weiter. Am 15. April 2018 berichtete die Tagesschau über eine Demonstration in Bratislava von mehr als 30.000 Menschen. Die anhaltenden Massenproteste in der Slowakei sorgen weiterhin für politische Rücktritte. Nach Regierungschef Fico und Innenminister Robert Kaliňák trat nun auch dessen Nachfolger Tomáš Drucker zurück.
Auch in der Slowakei sorgt die Frage der Aufnahme von Flüchtlingen für Unruhe bzw. für eine schwierige Situation in der EU mit einer entsprechender Berichterstattung bezüglich der Flüchtlingspolitik in Deutschland. Die Bundeszentrale für politische Bildung berichtet etwa im Rahmen ihres Dossiers Visegrád-Staaten über die Formulierung von einem „Blitzkrieg Deutschlands und Brüssels“, der den Slowaken „das letzte Stückchen Selbstbestimmung genommen“ habe. Zu lesen war dieser Beitrag im slowakischen Wirtschaftsblatt Hospodarske noviny.
In der Auswertungsreihe „Freedom of the Press 2017“ wurden auch für die Slowakei Daten abgefragt, jedoch gibt es hierzu leider keinen Bericht.
Ungarn
„Ministerpräsident Viktor Orbán und die Fidesz-Partei haben seit ihrer Wahl 2010 die Medien Ungarns strukturell unter ihre Kontrolle gebracht. Journalisten sollen „ausgewogen berichten“ und die „menschliche Würde“ nicht verletzen – schwammige Formulierungen, die zu Selbstzensur führen. Eine Medienaufsichtsbehörde, deren Mitglieder von der Regierung ernannt werden, kann bei Verletzung dieser Vorgaben Strafen verhängen und Lizenzen entziehen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde mit der staatlichen Nachrichtenagentur (MTI) verschränkt und bezieht von dort die meisten Meldungen.“
Rangliste der Pressefreiheit – Platz 73 von 180
Reporter ohne Grenzen
„If Fidesz gets a two-thirds majority, it will be a massacre for the media, but if it gets only a relative majority, the media will be able to breathe again,” said Péter Pető, the deputy editor of the independent news website 24.hu. “The current propaganda cannot be sustained because everyone, including Fidesz’s members, realize it has its limits. With a bit of luck, Fidesz will have to change its tactics towards the media.“
Is Hungarian press freedom’s foe about to be reelected?
REPORTER WITHOUT BORDERS, April 2018
Im April 2018 fand die Parlamentswahl in Ungarn mit einer Wahlbeteiligung von knapp 70 Prozent statt, die mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für den bereits amtierenden Ministerpräsidenten Viktor Orbán endete. Im Resultat traten die Führer der Oppositionsparteien zurück. Experten zufolge trug zu Orbáns Erfolg bei, dass auf dem Land vor allem Orbán-freundliche Medien wahrgenommen werden und zudem in Ungarn ein Wachstumskurs der Wirtschaft herrscht und Arbeitslosenzahlen absinken. Bereits seit 2010 steuert Orbán einen Konfrontationskurs zur EU. Streitpunkte sind unter anderen die Asylpolitik, die Einschränkung von Medienfreiheit, Unabhängigkeit der Justiz und Bürgerrechte sowie der mutmaßliche Missbrauch von EU-Fördergeldern.
Der deutliche Wahlsieg und die bereits angekündigte Fortführung der nationalkonservativen Politik hat auch Auswirkungen auf die Arbeit des Europaparlaments. Dort sprachen die Grünen von einem „traurigen Tag für Europa“ und forderten aufgrund vorhandener Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages, das zum Stimmrechtsentzug führen kann. Inzwischen liegt ein Bericht aus dem Europaparlament vor, der Ungarn eine „systemische Bedrohung von Demokratie“ zuschreibt. Tagesschau.de titelt zu diesem Thema „EU-Bericht zu Ungarn – Zustände wie in einer Bananenrepublik“. Die polnische Regierung hingegen sieht in dem Sieg des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán bei der Parlamentswahl eine Bestätigung der Emanzipationspolitik Osteuropas in der EU.
euronews
Ungarn: Oppositionszeitung „Magyar Nemzet“ macht dicht
11.04.2018
Eine düstere Einschätzung über die Zukunft Ungarns und der EU zeichnet ein Interview von Spiegel Online mit der Philosophin Ágnes Heller. Sie warnt vor einer Verharmlosung Orbáns. Auf die Frage, ob sie glaubt, dass Orbán wirlich seine Kritiker und Gegner ins Gefängnis bringen will, antwortet sie: „Ich glaube nichts, sondern ich nehme Orbáns Worte ernst. In seiner Rede zum Nationalfeiertag am 15. März hat er allen Kritikern angedroht, er werde sich nach der Wahl politische, moralische und juristische Genugtuung verschaffen. Für ihn sind die Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen Vertreter einer globalen, gegen Ungarn gerichteten Verschwörung. Das heißt, sie sind Landes- und Hochverräter. Und was macht man mit denen? Man steckt sie ins Gefängnis.“
Über die Pressefreiheit in Ungarn schreibt „Freedom House“ in der Auswertungsreihe „Freedom of the Press 2017“:
„Hungary’s constitution protects freedoms of speech and the press, but complex and extensive media legislation enacted under Orbán’s administration has undermined these guarantees. Outlets friendly to his Alliance of Young Democrats–Hungarian Civic Union, or Fidesz, dominate the media market. The public broadcaster clearly favors Fidesz and its policy goals, and has increasingly been used to discredit the party’s political opponents. The government also seeks to control the media through the selective awarding of advertising contracts and radio broadcasting frequencies. A number of outlets, most of them online, feature critical or investigative reporting, but their status is precarious in the face of government pressures.“
Tschechien
„Die Verfassung der Tschechischen Republik garantiert Meinungs- und Pressefreiheit. Äußerungen, die etwa die nationale Sicherheit gefährden oder die öffentliche Moral stören, sind jedoch nicht gestattet. Zeitungen und Zeitschriften spiegeln unterschiedliche, auch provokante Meinungen wider. Im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise gab es wiederholt Versuche von politischen und wirtschaftlichen Gruppen, durch das Schalten von Anzeigen auch die Berichterstattung inhaltlich zu steuern. Deutsche und Schweizer Unternehmen besitzen mehr als die Hälfte der Zeitungen und Zeitschriften.“
Rangliste der Pressefreiheit – Platz 34 von 180
Reporter ohne Grenzen
Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt in ihrem Dossier über die Visegrád-Staaten und somit auch über Tschechien. Bemerkenswert ist, dass die BpB darin darauf aufmerksam macht, dass (Stand 2015) die Berichterstattung über Tschechien in Deutschland gering ist und wenn berichtet wird, es sich eher um negative News handelt, die von Korruption, undiplomatischem Auftreten politischer Repräsentanten auf dem internationalen Parkett, einer restriktiven Flüchtlingspolitik und umfänglicher Ablehnung von Zuwanderung in der Bevölkerung berichtet.
„Hinzu kommt, dass es in der tschechischen Presse noch nie so viele deutschlandkritische Kommentare wie in den vergangenen Wochen und Monaten gegeben hat. Namentlich die konservative „Lidove noviny“ fährt einen scharfen Kurs gegen Berlin. Am 2. September 2015 etwa schrieb sie in einer Art Generalabrechnung: „Deutschland nötigt alle anderen, wozu auch immer es ihm passt.(…) Jetzt fordert es, dass alle Länder Flüchtlinge aufnehmen sollen, ohne Rücksicht auf die Regeln. Dabei ist überhaupt nicht klar, wie sich Deutschland die Verteilung der Migranten im Rahmen der EU-28 vorstellt. (…)“
Bundeszentrale für politische Bildung
Dossier „Visegrád-Staaten“; Beitrag Tschechien
phönix vor Ort
Paul Pietraß zur Situation in Tschechien nach der Wahl
23.10.2018
Die Regierungsbildung in Tschechien gestaltet sich schwierig nach einem weiteren Wahlsieg für Staatspräsident Miloš Zeman im Januar 2018. Dieser hatte im Oktober 2017 den populistischen Milliardär Andrej Babiš zum Ministerpräsidenten ernannt. Babiš verlor jedoch Mitte Januar im Parlament eine Vertrauensabstimmung über seine Minderheitsregierung. Im Streit um das Innenministerium waren die Koalitionsverhandlungen geplatzt. Hintergrund der Auseinandersetzung war die Sorge der Sozialdemokraten, dass es nicht zu unabhängigen Ermittlungen wegen aktuellen Korruptionsvorwürfen gegen den Regierungschef kommt, wenn das Ressort nicht an die Opposition gegeben wird. Zeman gab Babiš eine zweite Chance für die Regierungsbildung, der im April 2018 weiterhin nur geschäftsführend im Amt war.
Aktuell sind die Zeiten für öffentlich-rechtliche Sender schwierig in Tschechien. Der Präsident Zeman äußerte erst kürzlich sehr deutlich, was er von deren Arbeit hält: „Öffentlich-rechtliches Fernsehen bietet einen Dreck an!“ (MDR, Ostblogger). Diese Äußerung von Zeman entstand im Rahmen einer medial geführten hitzigen Diskussion zwischen dem regierungsnahen Privatsender Barrandov TV und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Tschechien sowie der Diskussion einer parlamentarischen Kommission des Jahresbericht des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Zeitgleich gehen tausende Menschen auf die Straße, um das Fernsehen vor politischen Angriffen zu verteidigen. Deutlich wird die Nähe des genannten Privatsenders zur Regierung in der Tatsache, dass Zeman jeden Donnerstag in der Prime-Time um 20 Uhr in Barrandov TV auftritt und in letzter Zeit regelmäßig die Arbeit der öffentlich-rechtlichen Sender kommentiert. Prekär ist, dass eine Nichtgenehmigung des Jahresberichtes des öffentlich-rechtlichen Fernsehens durch das Parlament zu einem Austausch des Fernsehrates und zur Abberufung des Intendanten führen könnte. Präsident Zeman hat dies bereits in der Sendung „Die Woche mit dem Präsidenten“ des privaten Barrandov TV gefordert.
In der Auswertungsreihe „Freedom of the Press 2017“ wurden auch für Tschechien Daten abgefragt, jedoch gibt es hierzu leider keinen Bericht.
Fazit
Übrigens:
Zahlreiche Studien und Umfragen belegen, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vertraut.
Überall auf der Welt geraten Demokratien und damit auch die Organe der freiheitlichen Presse in Gefahr. Öffentlich-rechtliche Sender werden unter Druck gesetzt, Personal ausgetauscht und damit versucht, unbequeme Informationen unter Verschluss zu halten bzw. als unseriös abzustempeln. Die regelmäßigen Erhebungen der „Reporter ohne Grenzen“ oder auch des „Freedom House“ zeigen ungute Entwicklungen auf und machen darauf aufmerksam, dass die Beschädigung der Pressefreiheit und des Rufs des Journalismus weitreichende Auswirkungen auf Gesellschaft und Politik haben.
Die Visegrád-Staaten mit ihrer Historie des Umbaus von politischem System und von Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung haben einen umfassenden Transformationsprozess hinter sich und galten als Vorreiter in Mittelosteuropa. Das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte – nicht nur in Mittel- und Osteuropa – bringt die Demokratie an vielen Orten in Gefahr und erschwert zudem das Zusammenleben und -arbeiten in der Europäischen Union.
Deutschland gerät insbesondere im Zusammenhang mit Fragen zum Umgang mit Flüchtlingen innerhalb der EU in den Fokus der Medien in Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei. Umso wichtiger ist es, die eigene Demokratie und die darin eingebettete Pressefreiheit deutlich zu schätzen und zu bewahren. Die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 hat rechten Strömungen eine gemeinsame Plattform gegeben. Alle Demokratien sind gefragt, ihre freiheitlichen Werte zu pflegen und Organe, die den unabhängigen Informationsfluss garantieren, vor Zensur und Übergriffen zu schützen.
Anmerkung:
Dieser Beitrag wurde aufgrund der Veröffentlichung der Rangliste der Pressefreiheit 2018 der Reporter ohne Grenzen am 26.04.2018 aktualisiert.
Dieser Beitrag wurde am 07.06.2018 aktualisiert.
Dieser Beitrag ist Teil unseres Jahresthemas ’18 „Globales Leben“. |