Die Entwicklungen des digitalen Bundestagswahlkampfs hat das Grimme Lab in einer digitalen Wahlnachlese verfolgt.
Wie haben sich die Bürger(innen) im Vorfeld der Bundestagswahl in den Medien informiert? Die Medienforscher(innen) von ARD und ZDF haben das Informationsverhalten untersucht und ihre Ergebnisse in der Ausgabe 12/2017 der Media Perspektiven veröffentlicht. Wir stellen hier einige der Erkenntnisse vor.
Von Politikverdrossenheit kann angesichts des im Vergleich zu 2013 deutlich angestiegenen Interesses der Bevölkerung am Wahlkampf keine Rede sein. 70 Prozent der für die repräsentative Studie des ARD/ZDF-Wahltrends Befragten gaben an, stark bis sehr stark an der Bundestagswahl interessiert zu sein. Das sind 16 Prozentpunkte mehr als noch vier Jahre zuvor. Besonders stark angestiegen ist das Interesse bei den Wählerinnen und der Generation unter 30. Unter den 18- bis 29-Jährigen gaben 67 Prozent an, stark bis sehr stark interessiert zu sein. Damit sind die jungen Wähler(innen) nicht nur nahezu gleich stark an der Bundestagswahl interessiert wie die ältere Bevölkerung, sondern sogar stärker als die Gruppe der 30- bis 49-Jährigen, mit denen sie vor vier Jahren noch gleichauf lagen.
Das Fernsehen ist weiter das Hauptinformationsmedium zum Thema Wahlen. Knapp die Hälfte der Bürger(innen) hat sich vorwiegend über das Fernsehen zur Wahl informiert. Dabei standen vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender hoch im Kurs. Sie boten über 100 Stunden TV-Programm rund um die Bundestagswahl an, während im Privatfernsehen gerade einmal gut 21 Stunden spezielles Programm zur Wahl zu sehen waren. Die Sender von ARD und ZDF erreichten mit ihrer Wahlberichterstattung drei Viertel aller potenziellen Wähler(innen).
Die öffentlich-rechtlichen Sender bekamen für ihre Wahlberichterstattung besonders vom jüngeren Publikum eine gute Bewertung. Über drei Viertel der 18- bis 29-Jährigen, die eine Wahlsendung dort gesehen haben, gaben dem Ersten Programm der ARD ein „Gut“ oder „Sehr Gut“. Das ZDF lag nur knapp dahinter.
„Das Gebot der Fairness und der Objektivität sah das Wahlkampfpublikum ebenfalls am besten im Ersten und dem ZDF erfüllt.“ (Claudia Gscheidle, Stefan Geese & Heinz Gerhard)
Bei den Privatsendern fühlten sich nur ein Viertel bis ein Drittel der Zuschauer(innen) gut bis sehr gut informiert. Die Berichterstattung bei ARD und ZDF wurde außerdem als ausgewogen empfunden. Weniger als ein Fünftel der befragten Zuschauer hielt deren Programm für eher einseitig. Kritik gab es vor allem für die Fokussierung auf die Spitzenkandidaten und mangelnde Informationen zu den Parteiprogrammen.
„Soziale Netzwerke werden offenbar überwiegend zur komplementären Information genutzt, sie werden als primäres Informationsmedium – auch beim jüngeren Publikum – genau wie Zeitungen, Radio und Zeitschriften nur noch selten genannt.“ (Claudia Gscheidle, Stefan Geese & Heinz Gerhard)
Überraschen mag, dass soziale Netzwerke als Informationsmedium zur Wahl nur eine geringe Rolle gespielt haben. Acht Prozent der befragten Bürger(innen) gaben an, sich über soziale Netzwerke über die Wahl informiert zu haben. Hauptsächliche Informationsquelle waren Facebook, Twitter und Co. nur für drei Prozent. Unter den jungen Wähler(inne)n lag dieser Anteil zwar höher, aber immer noch in etwa gleichauf mit den Zeitungen: Nur sechs Prozent der 18- bis 29-Jährigen haben sich hauptsächlich über Social Media zur Wahl informiert. Das Hauptinformationsmedium dieser Gruppe war das Internet, welches über die Hälfte zur Wahl konsultierte.
Ergänzt werden die Untersuchungsergebnisse der ARD-ZDF-Medienforscher von einem Artikel des Düsseldorfer Kommunikations- und Medienwissenschaftlers Gerhard Vowe, der die Entwicklungen in der Wahlkampfkommunikation in den letzten 20 Jahren einordnet. Er nimmt zum Beispiel eine Pluralisierung wahr, die sowohl auf Politik- als auch auf Medienseite stattfindet. Dadurch erhalten neue Akteure Aufmerksamkeit. Aber Vowe betont: „Pluralisierung beschränkt sich nicht auf die populistische Erweiterung des Akteursspektrums“, sondern sie bezieht sich auch auf digitale Kommunikationskanäle, durch die weit verstreute Interessensgruppen zusammenfinden und sich Gehör verschaffen können. Hierbei spielen das Internet und die sozialen Medien eine wichtige Rolle, denn über sie lassen sich, laut Vowe, „Kommunikationslücken“ füllen, die von den traditionellen Medien nicht (mehr) adressiert werden.
Eine Konsequenz dieser Pluralisierung ist die Erweiterung des Themenspektrums, über das im Wahlkampf gesprochen wird. Während man früher „große Gruppen von Wählern mit wenigen generellen Botschaften erreichen“ konnte, gelte heute:
„Botschaften müssen spezifischer zugeschnitten werden, wenn sie von den Wählern auch nur wahrgenommen werden sollen – hinsichtlich Thema, Position und Ausdrucksweise.“ (Gehard Vowe)
Das Grimme Lab hat 2017 auch die Wahlkämpfe in Frankreich und Großbritannien beobachtet.
Eine zweite Beobachtung Vowes ist die Globalisierung der Wahlkampfagenda und -kommunikation. Globale Themen wie Migration, Terrorismus und Klima spielten im deutschen Wahlkampf eine größere Rolle. Ebenso wurden in Deutschland die politischen Entwicklungen in anderen Ländern in letzter Zeit genauer beobachtet, auch mit Bezug auf Wahlkampfstrategien. Daraus schließt Vowe:
„Wahlkämpfe werden globaler. Die nationalen politisch-kulturellen Grenzen werden zunehmend durch Kommunikationsströme überwölbt. Das erfordert von professionellen Kommunikatoren, dass sie ihren Horizont weiten und auf neue Weise globales Denken und lokales Handeln verknüpfen.“ (Gerhard Vowe)
Unser Fazit aus den politischen und medialen Entwicklungen 2017
Im Jahr 2018 wird sich das Grimme Lab in seinen Dossiers mit dem Thema „Globales Leben“ beschäftigen, um Anregungen zu geben, wie „alte“ und „neue“ Medien die gesellschaftlich und politisch Aktiven dieser Welt dabei unterstützen können, globales Denken und lokales Handeln zu verknüpfen.