Globale Rückentwicklung
Als Mediengegner des Jahres „ehrt“ Zapp 2017 neben Recep Tayyip Erdogan und Donald Trump auch Frankreichs neuen Präsidenten Emanuel Macron sowie Israels Präsidenten Benjamin Netanjahu.
Das Niveau der Pressefreiheit sinkt aktuell nicht nur in autokratischen Regimen, sondern auch in Demokratien. Die „Post-truth“-Era, die spätestens mit der Präsidentschaft Donald Trumps global eingeläutet wurde, zeigt ihren Effekt im Pressefreiheitsindex von „Reporter ohne Grenzen“. 2017 sank das durchschnittliche Niveau an Pressefreiheit in den untersuchten Ländern der Welt auf ein Niveau, das zuletzt 2000 erreicht war. Das Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen basiert auf Antworten von Expert(inn)en vor Ort und berücksichtigt folgende Parameter: Medienvielfalt, Unabhängigkeit der Medien, journalistisches Arbeitsumfeld und Selbstzensur, rechtliche Rahmenbedingungen, institutionelle Transparenz sowie Produktionsinfrastruktur.
Die USA sanken im Index auf Platz 43. Gründe dafür waren nicht nur Trumps Aussage, Journalisten seien die Feinde des Volkes, oder der Ausschluss von Journalist(inn)en von den Pressekonferenzen des Weißen Hauses, sondern auch konkrete Einschüchterungen und Angriffe. Der US-Press Freedom Tracker, eine Datenbank, die von zwei Dutzend Journalismus-NGOs gemeinsam betrieben wird, meldete für das Jahr 2017 35 Festnahmen von Journalisten in den USA und 44 körperliche Angriffe, zwei davon durch Politiker.
Diese Zahlen verblassen jedoch im Vergleich zu der Entwicklung der Pressefreiheit in der Türkei. Dort wurden seit dem gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 mindestens 170 Medienorganisationen geschlossen und mehrere Tausend Journalist(inn)en entlassen. Die Zahlen der in der Türkei inhaftierten Journalist(inn)en liegen nach Angaben unterschiedlicher NGOs zwischen 39 und 151.
Nach der Türkei inhaftierten China und Ägypten die meisten Journalist(inn)en 2017.
Das Committee to Protect Journalism (CPJ) führt die Türkei 2017 schon im zweiten Jahr als das Land der Welt, in dem die meisten Journalist(inn)en verhaftet werden. Darunter sind auch mindestens neun Journalist(inn)en mit deutscher Staatsbürgerschaft. Der bekannteste Fall ist der „Welt“-Journalist Deniz Yücel, der seit bald einem Jahr ohne Anklage in der Türkei inhaftiert ist. Vorgeworfen wird ihm „Terrorismus“. Die deutsch-türkische Journalistin Meşale Tolu kam im Dezember 2017 frei, kann die Türkei aber nicht verlassen. Bei einer Verurteilung im nun laufenden Prozess drohen ihr bis zu 20 Jahre Haft.
67 Journalist(inn)en, Bürgerjournalist(inn)en und Medienassistenten kamen 2017 gewaltsam aufgrund ihres Berufs zu Tode, vermeldet das Jahresbarometer von Reporter ohne Grenzen. So wurde im Oktober 2017 Daphne Caruana Galizia in Malta Opfer eines Autobombenanschlags. Sie deckte mit ihrer in ihrem Blog Running Commentary veröffentlichten Arbeit Korruption und politische Finanzskandale in ihrer Heimat auf. Anfang 2017 wurde Galizia, vom Politikmagazin Politico noch als „one-woman Wikileaks“ bezeichnet, zu den 28 Menschen gezählt, die das Jahr prägen werden.
An der Spitze der lebensgefährlichsten Länder für Journalist(inn)en steht jedoch Mexiko. Elf Journalist(inn)en kamen dort 2017 gewaltsam ums Leben. Seit 2000 wurden in Mexiko mehr als 80 Medienschaffende ermordet, die Aufklärungsquote dieser Morde liegt unter zwei Prozent. Diese Situation, erklärt Reporter ohne Grenzen, hat Selbstzensur zur Folge, so dass gefährliche Themen wie der Drogenhandel mittlerweile von vielen Journalist(inn)en gemieden werden.
Das Projekt „Forbidden Stories“, das im Oktober 2017 als Kollaboration von Reporter ohne Grenzen und dem „Freedom Voices Network“ startete, will verhindern, dass die Stimme inhaftierter oder getöteter Kolleg(inn)en verstummt. Die Arbeit dreier ermordeter Journalisten aus Mexiko ist das Thema der ersten Videos, die von Forbidden Stories bisher veröffentlicht wurden.
Portrait der Arbeit von Miroslova Breach, einer in Mexiko 2017 getöteten Journalistin.
Ins Leben gerufen wurde „Forbidden Stories“ vom französischen Investigativjournalisten Laurent Richard, dessen eigene Arbeit zur Korruption in Aserbaidschan dazu führte, dass er erst dort festgehalten wurde und sich dann mit einer weiteren Kollegin in Frankreich vor Gericht verantworten musste. Der Vorwurf gegen sie lautete, den aserbaidschanischen Staat als „Diktatur“ diffamiert zu haben. Wie CPJ berichtet, überraschte der Fall nicht nur deswegen, weil nicht eine Person, sondern ein Staat die Journalisten verklagte, sondern weil die Klage auf französischem Boden überhaupt zugelassen wurde. Im November 2017 wurde die Klage allerdings abgewiesen. Aserbaidschan liegt im Pressefreiheitsindex übrigens auf Platz 162, noch hinter der Türkei.
Bedrohung an Leib und Leben durch organisierte Kriminalität erfahren nicht nur Journalist(inn)en in Mittelamerika. In Italien befindet sich eine Reihe von Journalist(inn)en aufgrund von Bedrohungen durch die Mafia unter Polizeischutz. In Ostia nahe Rom wurde im November 2017 ein Reporter des öffentlich-rechtlichen Senders RAI vor laufender Kamera von seinem Interviewpartner, dem Sohn eines örtlichen Mafia-Bosses, angegriffen. In ihrer Arbeit eingeschränkt sind Journalist(inn)en in Italien aber auch auf profanerer Ebene: Gerade junge Journalist(inn)en sind in Italien oft schlecht bezahlt, was aufwendige Recherchen so gut wie unmöglich mache, berichtet Reporter ohne Grenzen. Dies zeigt, Beschränkungen der Pressefreiheit finden auf vielen Ebenen statt; auch wenn sie nicht immer lebensbedrohliche Ausmaße annehmen.
Die Situation in Deutschland
Auch bei der Nummer 16 im Pressefreiheits-Ranking machen sich Tendenzen bemerkbar, die Grund zur Sorge geben: Während des G20-Gipfels in Hamburg zum Beispiel wurde 32 Journalist(inn)en die Akkreditierung verweigert; dies auf Grundlage teils falscher und teils verfassungswidriger Informationen des Bundeskriminalamts. Reporter ohne Grenzen registriert des Weiteren Angriffe auf Journalist(inn)en bei Demonstrationen rechtspopulistischer oder rechtsradikaler Gruppen. Das Niveau von Drohungen und Einschüchterungsversuchen gegen Journalisten bleibe alarmierend hoch, heißt es in dem Bericht.
Eine aufgeheiztere Stimmung belegt auch die Studie Publizieren wird zur Mutprobe, eine Umfrage des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld, durchgeführt unter Mitgliedern des Deutschen Journalisten-Verbands und im Auftrag des Mediendienstes Integration: Zwei Drittel der Befragten nahmen 2016 einen Anstieg hasserfüllter Reaktionen gegen sich und Kollegen wahr. Diejenigen, die von Angriffen betroffen waren, berichten mehr als doppelt so häufig von persönlichen Beeinträchtigungen sowie Beeinträchtigungen ihrer Arbeit als Kollegen, die bisher nicht von Angriffen betroffen waren. Eine(r) der Befragten berichtet zum Beispiel:
„Insbesondere belasten mich die körperlichen Angriffe bei öffentlichen Veranstaltungen und Demonstrationen! Diese Ereignisse verfolgen mich gelegentlich auch im Schlaf. Die Folgen sind Angstzustände und ein Gefühl der Ohnmacht.“
(Befragte(r) der Studie ‚Publizieren wird zur Mutprobe‘.)
Ein Drittel der Angriffe, von denen in der Studie berichtet wird, ereignete sich in direkten Situationen wie Demonstrationen. Aussagen in sozialen Netzwerken und Kommentare auf Online-Seiten machen einen ebenso großen Anteil aus. Verunglimpfungen und Bedrohungen von Personen verletzen deutsches Recht. Aussagen dieser Art bleiben aber dennoch oft weiter in der Online-Öffentlichkeit, entweder weil sie nicht gelöscht werden oder sie sich schneller weiter verbreiten als sie überhaupt gelöscht werden können.
Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das 2018 in Kraft getreten ist, sollen solche strafrechtlich relevanten Aussagen effektiver und schneller von den Plattformen verschwinden. Die Einführung des NetzDG zum Jahr 2018 wird allerdings von Journalistenseite kritisch eingestuft. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisierte nach der Kabinettsvorlage für das Gesetz unter anderem, dass die Entscheidung über das Löschen rechtswidriger Inhalte an die Internetdienstanbieter übertragen und nicht von der deutschen Justiz getroffen wird. Weiter heißt es in der Erklärung des Verbandes:
„Gerade bei solchen Inhalten, bei denen die Rechtswidrigkeit nicht, nicht schnell oder nicht sicher festgestellt werden kann, sollte kein Motto ‚Im Zweifel löschen/sperren‘ bestehen, denn ein solches Vorgehen hätte katastrophale Folgen für die Meinungsfreiheit.“ (DJV)
Fazit
Wie die Beispiele aus aller Welt zeigen: Angriffe auf die Pressefreiheit haben viele Formen. Was physische Gewalt, Drohungen und Anklagen eint: Sie sollen Journalist(inn)en das Gefühl vermitteln, nicht sicher zu sein, und sie von ihrer Arbeit abschrecken. Viele mutige Medienschaffende stellen sich selbst diesen Entwicklungen entgegen oder unterstützen Kolleg(inn)en an Orten, an denen die Pressefreiheit akut in Gefahr ist. An Diskussionen wie der um das NetzDG in Deutschland wird aber auch deutlich, dass Presse- und Meinungsfreiheit Güter sind, die einen besonderen Schutz genießen, der nicht immer einfach zu bewerkstelligen ist.