Welchen Einfluss haben Medien auf die Meinungsbildung von Menschen? Wie wirken sich Medien auf Vorurteile aus? Wie müssen Medien gestrickt sein, um die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden? Brauchen mediale Beiträge Gesichter und Stimmen oder helfen auch schon gut recherchierte und vertrauenswürdige Sachinformationen, um gegenseitiges Verständnis zu fördern? Diese Fragen stellen sich, wenn man die Medienlandschaft hinsichtlich ihrer Vielfalt und Wirkung anschaut.
Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) hat Infofilme erstellt, die zeigen, was Diskriminierung für die Betroffenen bedeutet. Sie kehrt Situationen, in denen Menschen diskriminiert werden, um und zeigt auf diese Art, wie verletzend ein solches Verhalten ist.
Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen erleben tagtäglich Diskriminierung und Vorurteile. Was das eigentlich für die Betroffenen bedeutet und wie absurd und feindselig das Verhalten vieler Menschen anderen gegenüber ist, ist vielen Menschen überhaupt nicht klar. In Anbetracht einer immer populistischer geprägten Umgebung und einer damit einhergehenden Sorge über eine Verstärkung von Diskriminierung und Ausgrenzung werden Aufklärung und Unterstützung somit immer wichtiger.
Im vorliegenden Beitrag möchten wir einen Blick auf die Repräsentation von Vielfalt in den Medien werfen. Da das Thema ein sehr weites Feld mit zahlreichen Zielgruppen und Aspekten ist, haben wir uns für den Themenschwerpunkt LSBTTI (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle) entschieden, den wir mithilfe beispielhafter medialer Beiträge bearbeiten möchten. Unterstützt hat uns dankenswerterweise bei der Erstellung dieses Beitrags Caroline Frank – Projektleiterin der Kampagne „andersundgleich Nur Respekt Wirkt“. Zudem stellte sie uns den Beitrag „Mit Wissen und Begegnung gegen Diskriminierung“ zur Verfügung und führte mit uns ein Telefoninterview.
In einer Befragung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus dem Jahr 2012 berichteten 46 Prozent der in Deutschland befragten Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen, in den zwölf Monaten vor der Erhebung Diskriminierung oder Belästigung wegen ihrer sexuellen Orientierung erlebt zu haben.
Die Mehrheit der Menschen in Deutschland findet, dass Lesben, Schwule und Bisexuelle in der Bundesrepublik diskriminiert werden, und spricht sich für ihre rechtliche Gleichstellung aus. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) zum Auftakt ihres Themenjahres für sexuelle Vielfalt „Gleiches Recht für jede Liebe“ in Auftrag gegeben wurde. Im ersten Augenblick ein ermutigendes Signal, das sowohl die Wahrnehmung von Ungleichbehandlung als auch den Zuspruch in der Bevölkerung spiegelt. Beim zweiten Hinsehen ist dies jedoch ein klarer Hinweis auf vorhandene Diskriminierung und rechtliche Ungleichbehandlung von Homosexuellen in Deutschland. Die Studie steht als PDF-Dokument zum Download bereit.
Welche Chancen bieten Medien für die Stärkung von Toleranz und Wissensvermittlung in Deutschland? Schließlich gehört die Nutzung von Medien selbstverständlich zum Alltag der meisten Menschen. Ob Radio, Fernsehen, Zeitung oder Internet-zugehörige Formate, Menschen nutzen diese in allen Altersgruppen, um sich zu informieren, Spaß zu haben oder auch zu kommunizieren. Umso wichtiger ist es, dass das in den Medien Gezeigte die Vielfalt der Gesellschaft abbildet.
Doku Tag7 – WDR
Lesbische Eltern – Familien zweiter Klasse
(Video verfügbar bis 06.10.2017)
Das Konsumieren von Medieninhalten ermöglicht Einblicke in Lebensrealitäten, die man im eigenen Alltag unter Umständen nicht kennenlernen würde. Der Einfluss von Medieninhalten auf die Meinungsbildung ist unstrittig und führt zu einer ambivalenten Bewertung. Einerseits ist zu befürchten, dass (Falsch-)Informationen die Meinungsbildung negativ beeinflussen. Andererseits ist zu hoffen, dass vielfältige und sorgfältig recherchierte Informationen Nutzerinnen und Nutzer dazu anregen, Unbekanntem toleranter und interessierter gegenüberzustehen.
Was aber macht eine vielfältige und Toleranz fördernde Medienlandschaft aus? Wie müssen Inhalte und Informationen aufbereitet werden, um Emotionen und Verstand anzusprechen? Woher kommen eigentlich Vorurteile und wie kann man sie abbauen? Welche Rolle können hierbei Medien spielen? Helfen auch virtuelle Kontakte und Informationen beim Abbau von Vorurteilen oder funktioniert dies ausschließlich bei realen Kontakten?
Die Goethe-Universität Frankfurt hat im Februar 2016 Studienergebnisse zum Thema Vorurteile in ihrer Publikationsreihe FORSCHUNGFRANKFURT – Das Wissensmagazin der Goethe-Universität veröffentlicht. Ein wichtiges Resultat: „Je mehr Kontakt Menschen aus unterschiedlichen Gruppen miteinander haben, desto geringer sind auch die Vorurteile.“
Dem schließt sich die Fragestellung an, ob auch virtuelle Kontakte und medial aufbereitete Informationen Unwissenheit und Vorurteile abbauen können. Im Folgenden werfen wir einen Blick auf die Fernsehlandschaft und auf Online-Medien und schauen, ob und wie sich Vielfalt abbildet.
Öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender sowie etwa die Videoplattform YouTube bieten zahlreiche Formate, die sich dokumentarisch mit vielfältigen Lebenswelten auseinandersetzen. Menschen berichten aus ihrem eigenen Leben, von Erfolg, Glück, Ausgrenzung und Schicksal. TV- und Online-Formate verknüpfen also Themen der Vielfalt mit Gesichtern und Stimmen und bieten ihren Zuschauern somit Informationen und mögliche Rollenmodelle.
DOKU 37 Grad – ZDF
Mutter, Mutter, Vater, Kind – Elternglück für Lesben und Schwule
(Video verfügbar bis 14.10.2017)
Um Einblicke in zum Teil sehr private Lebensbereiche zu ermöglichen, bedarf es einer Menge Mut seitens der filmischen Protagonisten. In Zeiten von Hate Speech und einer bedrohlich aktiven Rechten muss eine Öffnung des Alltags für ein großes Publikum gut durchdacht werden. Für Frauke Siebold, die Redakteurin der DOKU 37 Grad: Mutter, Mutter, Vater, Kind – Elternglück für Lesben und Schwule, war es entsprechend schwierig, Frauenpaare zu finden, die mitwirken wollen. Um so schöner, dass es doch noch geklappt hat und die Zuschauer(innen) somit miterleben dürfen, wie Familiengründung auch funktionieren kann – nicht nur für generell Interessierte informativ, sondern auch für homosexuelle Paare in der Familienplanungsphase, die nicht so einfach auf Vorbilder in der eigenen Familie zurückgreifen können.
YouTube-Channel:
queerblick stellt sich vor
Rollenmodelle sind gerade für Jugendliche wichtig. Um hier dem Mangel an geeigneten Vorbildern zu begegnen, hat das Medienprojekt „queerblick – Anders fernsehen! Das TV Magazin für und von jungen Schwulen, Lesben, Bi und Trans*“ einen eigenen YouTube-Channel initiiert, der Jugendlichen bei der Orientierung in der sexuellen Identitätsfindung Hilfestellungen gibt. Mithilfe von Medien soll der Austausch mit Gleichaltrigen gefördert werden. Gefühle, Wünsche, Probleme sollen über Medienbeiträge zum Ausdruck gebracht und Informationen vermittelt werden. Und ganz wichtig: Positive Vorbilder und Rollenmodelle abseits von Klischees und negativen Stereotypen sollen sichtbar gemacht werden und so die Selbstakzeptanz fördern. Erschwert wird die Aufklärungs- und Vernetzungsarbeit jedoch durch aktuelle Filtereinstellungen von YouTube, die Inhalte blockieren, welche Homo-, Bi- und Transsexualität behandeln.
„Mami, Mama, Kind – drei Jahre Regenbogenfamilienzentrum“
Neben persönlichen Geschichten findet man im Internet auch Videomaterial, in dem Beratungseinrichtungen die Möglichkeiten nutzen, sich vorzustellen. Beratungsangebote werden somit stärker publik. Gleichzeitig bieten auch hier Videos Geschichten, die Menschen zu Wort kommen lassen, die etwa in der Konstellation „Mutter, Mutter, Kind“ leben bzw. planen, eine Familie zu gründen.
GALILEO – Pro7
Reportage „Transgender: Wie Florian zu Flora wurde“
Das Jugendnetzwerk Lambda e.V. vertritt die Interessen junger Lesben, Schwuler, Bisexueller und Trans* (LSBT) in der Öffentlichkeit und Politik. Im Rahmen der Vereinsarbeit werden unter anderem Medienworkshops angeboten, aus denen Videomaterial hervorgegangen ist, das die Lebenssituation LSBT-Jugendlicher aufgreift und ihnen eine Stimme gibt.
puls – Transgender / Doku Teil 1
„Feli und Jim – zwei Trans*jugendliche werden erwachsen“
puls – Transgender / Doku Teil 2
„Feli und Jim – Leben nach der Geschlechtsangleichung“
puls – Transgender / Doku Teil 3
„Feli und Jim – zwei Trans*jugendliche werden erwachsen“
Den Bedarf an positiven Rollenmodellen und der Repräsentation in den Medien hat zudem eine Studie des Lambda e.V. und des Bundesverbands Trans* (BVT*) e.V.i.G. erhoben, die die Ergebnisse wie folgt zusammenfasst:
Die jungen Trans*-Menschen formulierten allgemein den Wunsch nach einem offeneren, selbstverständlicheren und akzeptierendem Umgang mit ihnen. Sie verlangten nach mehr Information zum Thema Trans* in der Gesellschaft, einschließlich für Fachleute, in den Medien und im Bildungssystem. Benannt wurde auch der Wunsch nach der Akzeptanz nicht-binärer Identitäten und nach besondere(r) Unterstützung von Trans*, die mehrfach diskriminiert werden. In Bezug auf das Bildungssystem wünschten sie sich explizit Informationen zum Thema Trans* und Maßnahmen gegen Diskriminierung ab dem Kindergartenalter. Darüber hinaus formulierten sie den Bedarf nach positiven und diversen Trans*-Vorbildern in den Medien. (Studie „Wie eine grünes Schaf in einer weißen Herde“, Forschungsbericht zu „TRANS* – JA UND?!“ als gemeinsames Jugendprojekt des Bundesverbands Trans* (BVT*) e.V.i.G. und des Jugendnetzwerks Lambda e. V. , Dezember 2016)
Doku Menschen hautnah – WDR
Leihmutter Eimutter und zwei Väter
(Video verfügbar bis 13.04.2018)
Neben zahlreichen Fernseh- und Internet-Videos bieten Online-Angebote von Zeitungen ebenfalls Formate, die sich der Vielfalt widmen. Interessant ist hier zum Beispiel die Redaktion 10 nach 8 der Zeit online, die ausschließlich aus Frauen besteht, die über gesellschaftlich relevante Themen wie Familie, Vielfalt und Politik schreiben. Artikel wie Leihmutterschaft, Scham in Stolz verwandeln, Trumps Agenda gegen Schwule beziehen klar Stellung und die Redakteurinnen schreiben in Ich-Form – aus ihrer Perspektive. Die Kommentarfunktion unter den Artikeln ist freigeschaltet und wird genutzt – sowohl in zustimmender als auch in ablehnender Art und Weise.
Redaktion 10 nach 8 :
„Wir finden, dass unsere Gesellschaft mehr weibliche Stimmen in der Öffentlichkeit braucht. Wir denken, dass diese Stimmen divers sein sollten. Wir vertreten keine Ideologie und sind nicht einer Meinung. Aber wir halten Feminismus für wichtig, weil Gerechtigkeit in der Gesellschaft uns alle angeht.“
Die aufgeführten Beispiele bilden nur einen kleinen Teil der Vielfalt in den Medien im Themengebiet LSBTTI ab. Jedoch ist eine Auswahl zum einen redaktionell zwingend erforderlich, zum anderen bieten die ausgewählten Beispiele Gesichter und Stimmen und somit eine menschliche Nähe zu den Mitwirkenden. Wenn wir davon ausgehen, dass das Ansehen medialer personenbezogener Angebote eine Annäherung an direkte menschliche Kontakte ermöglicht, die den Abbau von Vorurteilen fördern können sowie die Möglichkeit zur Identifikation mit Rollenmodellen ermöglichen, bieten die ausgewählten Formate Chancen, Verständnis und Offenheit in der Gesellschaft zu fördern.
Um vielfältige Lebensmodelle allgegenwärtig und selbstverständlich zu machen, ist es wünschenswert, dass die mediale Vielfalt weiter gefördert und umgesetzt wird. Denn für Jugendliche und Erwachsene, die ihre sexuelle Identität und ihre Vorstellung von Familie jenseits heterosexueller Paarbeziehungen verorten, bieten Medien mit einem vielfältigen Blick Rollenmodelle und Identifikationsangebote, die sie auf ihrem Weg unterstützen können. Und auch für Menschen, die sich nicht zur LSBTTI-Community zählen, ist ein vielfältiger medialer Blick auf Lebensentwürfe und Identitäten wichtig. Gerade wenn Menschen aus ihrem eigenen Umfeld die Erfahrung zu einem bestimmten Thema fehlt, bieten ihnen medial vermittelte menschliche Kontakte zumindest eine Annäherung, was den Abbau von Vorurteilen sowie Verständnis und Offenheit in der Gesellschaft fördern kann. Die Erkenntnis, dass nicht nur die eine Lebensweise „richtig“ ist, ist eine Grundvoraussetzung für ein friedliches Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft.
Weiterlesen zu unserem Jahresthema „Demokratie“
Mehr Artikel zum Thema „Wahlen und Medien“ |
|
Mehr Artikel zum Thema „Journalismus heute“ |
|
Mehr Artikel zum Thema „Gesellschaftliche Vielfalt“ |