Zahlen des deutschen Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware zeigen, dass in Deutschland bereits 47 Prozent der Computerspieler Frauen sind. Trotzdem, im Vergleich zu Film und Fernsehen sind Frauen in Computerpielen noch stärker sexualisiert und auf wenige Rollen festgelegt. Auf dieses Problem macht die Youtuberin Anita Sarkeesian in ihrem Kanal „Feminist Frequency“ aufmerksam.
Durch Crowdfunding finanziert erstellte sie zwei Staffeln von Videos, die sich kritisch mit den Klischees über Frauen in Computerspielen auseinandersetzen (Tropes vs. women in video games). So zum Beispiel mit dem sexualisierten Körperbild oder dem Klischee der „Damsel in Distress“, der weiblichen Figur, die auf Errettung durch einen Held wartet. Aufgrund ihrer Häufigkeit hat Sarkeesian der Damsel in Distress sogar drei fast halbstündige Folgen gewidmet, in denen sie auch ausführlich auf die mythologischen und pop-kulturellen Ursprünge des Klischees eingeht, um zu verdeutlichen, dass die Stereotype nicht erst mit den Videospielen aufkamen.
Ihr Einsatz für feministische Medienkritik und ein Bewusstsein für die stereotype Darstellung von Frauen in Games brachten ihr bereits eine Ehrendoktorwürde und eine Nennung unter den einflussreichsten Personen 2015 im Time Magazine ein. Ihr Engagement war aber auch der Grund für Todes- und Vergewaltigungsdrohungen gegen sie, von denen sie einige in ihrem Blog dokumentiert hat. Sogar ein Spiel namens „Verprügele Anita Sarkeesian“ wurde von ihren Gegnern kreiert.
Der Anteil von Frauen in der deutschen Computerspieleindustrie liegt derzeit bei rund 20 Prozent. Mehr zum Thema im Kapitel „Frauen in Medienberufen“.
Sarkeesian führt die Drohungen gegen sie auf eine nicht schwinden wollende Frauenfeindlichkeit in der Gaming-Industrie zurück, die nun immer heftiger zu Tage tritt, da sich auch Frauen immer mehr in der Branche etablieren und deren Sexismus anprangern. Ebenso, glaubt sie, versuchen einige männliche Gamer mit ihren Angriffen an ihrer Position als Zielgruppe der Industrie festzuhalten:
„The gaming industry has been male-dominated ever since its inception, but over the last several years there has been an increase in women’s voices challenging the sexist status quo. We are witnessing a very slow and painful cultural shift. Some male gamers with a deep sense of entitlement are terrified of change. They believe games should continue to cater exclusively to young heterosexual men with ever more extreme virtual power fantasies. So this group is violently resisting any movement in the direction of a more inclusive gaming space.” Anita Sarkeesian
In ihrer Rede gegen die Seite-3-Fotos in der Sun sagte die britische Abgeordnete Clare Short, diese Bilder könnten ein Klima schaffen, das zu mehr Vergewaltigungen führt. Ein klarer Kausalzusammenhang lässt sich aber weder im Fall der Sun behaupten noch im Fall der sexualisierten Darstellung von Frauen in Computerspielen und der Androhung (sexueller) Gewalt gegen Sarkeesian. Dennoch lässt sich feststellen, dass die Darstellungen von Frauen in Computerspielen als hilflos und stets von Gefahr bedroht oder aber als hinterlistige Verführerin genau die Machtverhältnisse illustrieren, die zum Tragen kommen, wenn ihnen Vergewaltigung angedroht wird, sie durch Fotomontagen verunglimpft werden – wie es etwa auf einer Facebook-Seite gegen Sarkeesian geschieht – oder ihnen Bestrafung für ihre Lügen / Bösartigkeit angedroht wird.
Mehr zum Thema Hate Speech im Kontext „Hass & Hetze im Internet“ und in der Broschüre „Gaming und Hate Speech“ der Amadeo Antonio Stiftung.
Was Sarkeesians Fall am deutlichsten zeigt, ist: Frauen, die sich in der Öffentlichkeit gegen Sexismus und für Feminismus positionieren, müssen mit negativen bis gewalttätigen Reaktionen rechnen. Neben dem mangelnden Einfluss von Frauen auf die Medienproduktion führt auch dieser Druck dazu, dass mediale Stereotype fortgesetzt werden und ein kritischer Blick auf sie verhindert wird.
In der Kultur des Cosplay (kurz für „costume play“) eignen sich weibliche Spielefans die Darstellungen von Frauen in Computerspielen, Comics und Animes an, indem sie etwa auf Fan-Treffen ihre Lieblingsfiguren darstellen. Einerseits wird dies als feministische Praxis gesehen: Entgegen ihrer Marginalisierung als Teil der Gaming-Community machen Frauen einen Großteil der Cosplay-Community aus, was ihnen erlaubt, Teil einer Kultur zu sein, aus der sie sonst ausgeschlossen werden.
Dass die weiblichen Rollen, die ihnen zur Verfügung stehen, stark sexualisiert sind, deuten einige Cosplayerinnen auch als Form des „Empowerment“, da sie selbst entscheiden, mit welchen Rollen und Körperbildern sie sich identifizieren wollen. Manche Frauen ironisieren in ihren Kostümen auch die unrealistischen Körper von Lara Croft und Co. Ebenso haben sowohl Frauen als auch Männer die Möglichkeit, Figuren des anderen Geschlechts darzustellen (crossplay) oder sie für ihr eigenes Geschlecht umzudeuten.
Andererseits verlängern Cosplayer die sexualisierende Darstellung von Frauen in Computerspielen und machen sie in ihrer Community zur Normalität. Damit verlängern sich aber auch die Probleme des sexualisierten Bildes von Frauen in Computerspielen. Das Geek-Feminism-Wiki listet hier zum Beispiel auf, dass die meiste Aufmerksamkeit der Medien auf den Cosplayerinnen liegt, die sich sexy zeigen und deren Körper einem schlanken Ideal entsprechen. Außerdem haben die Cosplayerinnen auf Veranstaltungen wie den Comic-Con-Events mit unerwünschten Annäherungsversuchen oder unerwünschten Aufnahmen zu kämpfen; ebenso wie Crossplayer Ziel von Anfeindungen werden. Um Cosplayer(innen) zu schützen, gab die New York Comic Con 2014 das Motto „Cosplay is not Consent“ – „Cosplay ist nicht gleich Einvernehmen (zu sexuellen Annäherungen oder Fotos)“ aus.
Perfect Woman, playthrough with commentary, 2015 from UCLA Game Lab on Vimeo.
Entgegen dem Gaming-Mainstreams nehmen einige Computerspiele diese stereotypen Frauenbilder aber auch kritisch auf die Schippe. So zum Beispiel der „Perfect Woman Simulator“ der deutschen Künstlerin Lea Schönfelder, das am Game Lab der UCLA entwickelt wurde und 2016 für die XBox One erschienen ist. Inspiriert ist das Spiel von den Persönlichkeitstests in Frauenmagazinen, die Frauen auf bestimmte Rollen festlegen und Erfolg bzw. Misserfolg klar definieren. Der Perfect Woman Simulator möchte dagegen Vielfalt, Wahlmöglichkeiten und Nonkonformität feiern.
Mehr Games mit gesellschaftlicher Botschaft stellt das Kapitel Games & Gesellschaft aus dem Dossier Jugend: informiert und engagiert – online & offline vor.
Die Pixelmacher von 3Sat widmen sich in einer Dokumentation den Heldinnen in Computerspielen. In dieser Dokumentation geben sie Spieleentwickler(inne)n die Aufgabe, ein Spiel zum Thema „Muttersein“ zu konzeptionieren.
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