Partizipation als die Beteiligung von Bürger(inne)n an politischen Prozessen ist die Grundlage jeder Demokratie. Partizipation erschöpft sich dabei nicht im Gang zur Wahlurne alle paar Jahre, sondern findet permanent statt und bezieht sich nicht nur auf institutionalisierte Politik. Zu einer breiten Definition von Partizipation zählen auch: kontinuierliche Meinungsbildung zu gesellschaftlich relevanten Themen, die Artikulation und Diskussion dieser Meinungen in der Öffentlichkeit sowie Engagement in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen.
Anders als das Ausüben eines formalen Wahlrechts sind diese Formen der Partizipation nicht an Anlässe wie Wahlen und Volksabstimmungen oder Kriterien wie Volljährigkeit oder Staatsbürgerschaft geknüpft, sondern stehen idealerweise allen Mitgliedern einer Gesellschaft offen und damit auch Jugendlichen. Für Jugendliche, deren Leben noch deutlicher als das älterer Generationen von medial vermittelten Informationen und sozialer Interaktion geprägt ist, spielt das Internet für Meinungsbildung, Diskussion und (gesellschafts-)politischen Einsatz eine entscheidende Rolle.
Das folgende Kapitel legt anhand von Studien zur Lage in Deutschland dar, wie junge Menschen diese verschiedenen Formen der Partizipation online wie offline ausüben.
Information
Interessen
Entgegen dem Stereotyp einer politisch desinteressierten Jugend zeigt sich im zeitlichen Vergleich, dass Jugendliche heute deutlich politisch interessierter sind, als dies noch vor einem Jahrzehnt der Fall war. In der 17. Shell-Jugendstudie von 2015 bezeichnen sich 41 Prozent der 12- bis 25-Jährigen als politisch interessiert. Im Jahr 2002 taten dies lediglich 30 Prozent (Shell Deutschland 2015, S. 20).
Prof. Ulrich Schneekloth (TNS Infratest, Mitautor der Shell-Studie) fasst in diesem Video die Ergebnisse der Shell Jugendstudie zum Thema Politik zusammen.
Bei der Bewertung der Antworten von Jugendlichen zu ihrem Interesse an Politik geben die Autorinnen der Studie „Jugendliche und die Aneignung politischer Information in Online-Medien“ des JFF Instituts zu bedenken, dass Jugendliche „Politik“ oft eingeschränkt auf institutionalisierte Politik verstehen und sozialpolitische Themen aus diesem Feld ausklammern (Wagner und Gebel 2014, S. 73). Wie die Daten ihrer 2011 durchgeführten Befragung unter 12- bis 19-Jährigen zeigen, sind es aber gerade Themen wie Menschenrechte, Krieg und Umwelt, die die Jugendlichen interessieren, während politische Parteien oder Institutionen wie EU und NATO eher am unteren Ende des Interessenspektrums zu finden sind (S. 75).
„Die Verschmutzung im Wald und im Meer, das ist ganz schlimm. Ich meine, wir sind auf der Welt, aber das ist ja nicht unsere Welt eigentlich. Wir werden ja hier nur ertragen quasi. Und dann können wir uns das ja nicht erlauben, die einfach kaputt zu machen.“ (Weiblich, 17 Jahre.) Zitat aus der SINUS-Studie 2016 (S. 268), die die Einstellung von Jugendlichen zu Umweltschutz, Klimawandel und kritischem Konsum genauer untersucht.
Während sich Mädchen eher für Fragen der sozialen Gerechtigkeit interessieren (z. B. für Gleichberechtigung und Menschenrechte), sind Jungen eher an den „klassischen“ Politikfeldern sowie an den Themen Krieg und politischer / religiöser Extremismus interessiert. Christa Gebel und Ulrike Wagner sehen in diesem Unterschied einen Grund dafür, dass in Umfragen Jungen eher politisches Interesse bekunden als Mädchen, da Mädchen ihre Interessen in geringerem Maße als politische wahrnehmen (2014, S. 77).
Informationsquellen
Die JIM-Studie 2015 des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (mpfs) zeigt, dass Jugendliche zu Themen von Bundespolitik und Zeitgeschehen das Fernsehen als Informationsquelle bevorzugen (mpfs 2015, S. 17-18). Auch online greifen sie zu diesen Themen auf Angebote klassischer Medien, wie Webangebote von Zeitungen und Fernsehsendern, zurück (S. 19). Zur Information über Lokalpolitik spielt aber noch immer die Tageszeitung die Hauptrolle (S. 18). YouTube ist für neun Prozent der Jugendlichen, die sich über bundespolitische Themen am liebsten im Internet informieren, eine relevante Informationsquelle (S. 19).
In seinem von beinahe drei Millionen Usern abonnierten Kanal spricht Youtuber LeFloid nicht nur über Games und Pop-Kultur, sondern präsentiert auch Nachrichten über Terrorismus, Neo-Nazis, Finanz- und Umweltpolitik. Er ist der Lieblingsyoutuber von beinahe jedem zehnten Jugendlichen (mpfs 2015, S. 35).
Weitere Youtuber, die für die politische Bildung relevant sind, stellt das Kapitel „Medienangebote: vernetzt & informativ“ vor.
Das Internet wird für Jugendliche allerdings gerade dann besonders wichtig, wenn sie sich näher mit einem Thema beschäftigen wollen und damit über „sich informieren“ hinausgehen (Wagner und Gebel 2014, S. 83). Genutzt werden dafür in erster Linie Suchmaschinen, danach folgen Online-Lexika, Informations- und Nachrichtenportale und an vierter Stelle soziale Online-Netzwerke. Letztere nutzt über ein Drittel der befragten Jugendlichen täglich oder mehrmals wöchentlich, um sich über gesellschaftlich relevante Themen zu informieren (Wagner und Gebel 2014, S. 92). Gerade bei jüngeren Nutzer(inne)n haben soziale Netzwerke als Informationsquelle eine hohe Bedeutung (Wagner und Gebel 2014, S. 95).
Unter den 14- bis 29-Jährigen in Deutschland liest oder schaut knapp ein Drittel aktuelle Nachrichten in sozialen Netzwerken (Bitkom Research 2015). In den USA ist Facebook bereits die wichtigste Nachrichtenquelle für junge User: 61 Prozent der „Millennials“, der nach 1981 geborenen Generation, beziehen ihre Informationen über Politik und Regierung via Facebook (Mitchell et al. 2015, S. 2). Es wird aber vermutet, dass die Menschen nach der ersten Meldung auf Facebook auch andere Onlinemedien zur Information nutzen.
Der Elektrische Reporter des ZDF gibt einen Überblick über Effekte und Gründe der Filterblasen.
Im Zusammenhang mit News-Konsum über Google und Facebook wird oft vor dem Effekt einer Filterblase oder Echo-Kammer gewarnt. Anstatt mit anderen Meinungen konfrontiert zu werden, erhalten Nutzer(innen) tendenziell eher Material, das ihrer Meinung entspricht. Dieser Effekt wird auch für die Radikalisierung von Meinungen im Internet verantwortlich gemacht, da Positionen in einem Kreis von Menschen mit ähnlichen Überzeugungen länger unwidersprochen bleiben.
Vernetzung, Kommunikation und Diskussion
Kommentieren und Teilen
Die Brücke zwischen Informieren und Kommunizieren, zwischen der individuellen und der gemeinschaftlichen Meinungsbildung, ist das Kommentieren und Teilen von Informationen mit dem eigenen sozialen Umfeld. Für junge Menschen geschieht dies vor allem über Social Media. Während nur 15 Prozent der Jugendlichen Informationen in Nachrichtenportalen kommentieren oder bewerten, tun dies in sozialen Netzwerken beinahe 40 Prozent (Wagner und Gebel 2014, S. 93). Noch beliebter sind private Chats: über 50 Prozent der Jugendlichen nutzen diese Möglichkeit (z. B. in sozialen Netzwerken), um mit ihren Bekannten über gesellschaftlich relevante Themen zu sprechen (Wagner und Gebel 2014, S. 94). Daraus lässt sich schließen, dass Jugendliche gesellschaftlich relevante Themen lieber im Kreis der Online-Bekannten debattieren als in der Öffentlichkeit von Kommentarspalten (Wagner und Gebel, S. 94).
Wie man Daten und Fakten mit Piktochart visualisieren kann, erklären wir in der digitalen Werkstatt.
Wie die orange-farbenen Bereiche im Piktochart zeigen, verwenden Jugendliche auf Online-Kommunikation mit Freund(inn)en den größten Teil ihrer Online-Zeit. Seit der Studie von Ulrike Wagner und Christa Gebel sind bei Jugendlichen Messenger-Dienste zur Kommunikation über das Smartphone beliebter geworden als soziale Netzwerke: 85 Prozent der Jugendlichen sind täglich bei WhatsApp aktiv, während per Facebook „nur“ 38 Prozent täglich kommunizieren (mpfs 2015, S. 32). So kann davon ausgegangen werden, dass sich auch die gesellschaftspolitischen Diskussionen mittlerweile vermehrt in Messenger-Diensten abspielen. Auch bei WhatsApp können z. B. Nachrichtenlinks und Videos geteilt und kommentiert werden. Durch WhatsApp-Gruppen wird die Kommunikation unter mehreren möglich.
Gut ein Drittel der Jugendlichen teilt in sozialen Online-Netzwerken fremde Beiträge zu gesellschaftlich relevanten Themen mit seinem Kreis von Online-Bekannten (Wagner und Gebel 2014, S. 95). Mehr als die Hälfte hat bereits eigene Beiträge zu gesellschaftlich relevanten Themen in sozialen Netzwerken verfasst (Wagner und Gebel 2014, S. 102). Insgesamt zeigt sich, dass politisch stärker interessierte Jugendliche soziale Online-Netzwerke eher produktiv, diskursiv und distributiv nutzen (Wagner und Gebel 2014, S. 110).
Jugendkulturen spielen eine wichtige Rolle bei der Identitätsarbeit junger Menschen. Wie relevant Hip-Hop, Punk oder Gaming heute sind, wie sie on- und offline-Welt verknüpfen und wie sie mit Politik zusammenhängen, erklärt das Kapitel „Jugendkultur & Politik“.
Identitätsarbeit
Nicht vernachlässigt werden sollte die Bedeutung, die Online-Kommunikation für die Identitätsbildung von Jugendlichen hat. Schon die bloße Rezeption von Informationen, die von einer bestimmten Gruppe (online) bereitgestellt werden, kann die Identifikation mit einer Gruppe fördern (Schmidt 2015, S. 15). Ebenso ermöglichen soziale Netzwerke Jugendlichen die Selbstpräsentation, z. B. durch das Teilen von Nachrichten zu bestimmten Themen, die Erstellung eigener Inhalte, die Mitgliedschaft in bestimmten Online-Gruppen oder die Angabe von politischen Überzeugungen im eigenen Profil. Solche gesellschaftspolitischen Hinweise spiegeln sich in circa einem Drittel der Selbstdarstellungen von Jugendlichen in sozialen Online-Netzwerken (Wagner et al. 2009, S. 79).
Eine Studie des JFF Instituts berichtet z. B. vom Profil einer 18-jährigen Myspace-Nutzerin, die mit Initiativen und Kampagnen wie „Deine Stimme gegen Armut“ vernetzt ist, als Hintergrundbild ein großes „Peace“-Zeichen gewählt hat und mit den Lesern ihres Profils Ausschnitte aus einer Rede von Barack Obama teilt (Wagner et al. 2009, S. 77).
Auf der anderen Seite darf nicht vergessen werden, dass einige Jugendliche gesellschaftspolitische Positionierung und Diskussion aus ihren Profilen fernhalten wollen. So berichten Ulrike Wagner und Christa Gebel beispielsweise vom Interview mit einer 17-jährigen Atomkraftgegnerin, die sich mit der Initiative, für die sie sich engagiert, bewusst nicht online verbindet. Der Grund: Sie ist unsicher, ob es gut ist, sich online als politisch aktiv zu präsentieren. Sie bevorzugt es, Informationen über Aktionen auf der Kampagnenwebsite abzurufen (2014, S. 153).
In den Online-Netzwerken findet ebenso Kommunikation mit den Peers statt, in denen diese Selbstbilder validiert und entsprechend der Rückmeldungen angepasst werden. Jugendliche mit niedriger Bildung erstellen in Online-Communitys eher eigene Beiträge als Altersgenossen mit höherer Bildung (Wagner und Gebel 2014, S. 103). Dieser Unterschied kann auf ein Bedürfnis nach Anerkennung zurückgeführt werden. Diese These stützt auch das Ergebnis, dass es Jugendlichen mit geringerer Bildung wichtiger ist, mit ihren Beiträgen so viele Menschen wie möglich zu erreichen (Wagner und Gebel 2014, S. 106).
Aus der Erfahrung, dass sich viele muslimische Jugendliche in Debatten zu Religion oder Diskriminierung auf Online-Diskussionen beziehen, hat der Verein ufuq.de das Projekt „Was postest Du?“ gestartet. Junge Menschen, die genau für diese Aufgabe ausgebildet wurden, bringen sich in die Online-Diskussionen ein, geben z. B. Hinweise auf Hilfsmöglichkeiten gegen Diskriminierung und machen Angebote zu differenzierten Sichtweisen auf kontroverse Themen.
Mehr zu ufuq.de bietet ein Interview mit Dr. Götz Nordbruch, Islamwissen-schaftler und Mitgründer des Vereins. Das Interview ist im Rahmen der Initiative „NRW denkt nach(haltig)“ (2008 – 2015) entstanden.
Auch Jugendliche mit Migrationshintergrund legen verstärkt Wert darauf, dass ihre Beiträge von einem möglichst großen Publikum wahrgenommen werden. Ein Grund hierfür ist, dass die Themen, die Jugendliche mit Migrationshintergrund vorrangig interessieren – Krieg & Frieden, Schutz vor Gewalt, politischer & religiöser Extremismus (Wagner und Gebel 2014, S. 78) –, für sie persönlich eine höhere Relevanz haben, so dass sie eine größere Gruppe darauf aufmerksam machen möchten (S. 106-107). Junge Muslime beschäftigt etwa das Thema der Vereinbarkeit von Demokratie und Islam. Vor dem Hintergrund von politischen Aussagen wie „der Islam gehört nicht zu Deutschland“ und Fällen alltäglicher Diskriminierung bekommen diese Fragen für sie besondere Relevanz (mehr zu diesem Thema in: „Darf ich als Muslim wählen?“ / Dossier von ufuq.de).
Im Artikel „Jugendgruppen 2.0“ betont Marie Joram, Jugendbildungs-referentin bei der BUNDjugend NRW, wie wichtig es ist, Online-Aktivitäten in bestehende Beziehungen zwischen Jugendliche einzubetten. Der Artikel ist Teil des Handbuchs „Medien & Nachhaltigkeit“.
Online + Offline
Insgesamt spiegeln sich online die Beziehungen wider, die Jugendliche „offline“ pflegen. So kommt es bei Jugendlichen nicht nur zu Engagement aus thematischem Interesse, sondern auch zu Formen der sogenannten „friendship-driven-participation“, bei denen ein (gefühlter) Gruppendruck zu bestimmten Formen der Aktivität im Netz führt (Schmidt 2015, S. 21). Die Kommunikation mit anderen ermöglicht es Jugendlichen darüber hinaus, eine Diskussionskultur zu entwickeln und zu lernen, sich selbst zu positionieren und mit den Meinungen anderer umzugehen.
Engagement
Freiwilliges Engagement
Ähnlich wie bei der Frage nach ihrem politischen Interesse haben Jugendliche eine sehr eingeschränkte Definition von Engagement. Zum Thema Umweltschutz, das Jugendliche stark interessiert, assoziieren sie Engagement z. B. häufig mit Spenden und sehen aufgrund mangelnder Ressourcen dadurch keine Handlungsmöglichkeiten bei sich (Calmbach et al. 2016, S. 275). Fasst man unter Engagement aber auch Einsatz für Vereine oder soziale Einrichtungen und ähnliches, zeigt sich, dass knapp die Hälfte der jungen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren in Deutschland ehrenamtlich engagiert ist. Damit ist der Anteil ebenso hoch wie in der älteren Bevölkerung und im Vergleich zu 1999 um 34 Prozent gestiegen. Besonders bei Schüler(inne)n konnte eine Steigerung verzeichnet werden (Vogel et al. 2016, S. 93-94). Als Gründe für diesen Anstieg genannt werden u. a. die gezieltere Ansprache von Schüler(inne)n durch zivilgesellschaftliche Organisationen sowie der größere Anteil gymnasialer Bildung (Vogel et al. 2016, S. 94). Es besteht also ein großes Potenzial, gleichzeitig aber die Schwierigkeit, Themeninteresse in Engagement zu wandeln.
Medien und Internet sind nur für weniger als 10 Prozent der jungen freiwillig Engagierten der Anstoß für ihre Tätigkeit: Das private Umfeld sowie leitende Personen im entsprechenden Engagementfeld spielen eine weit bedeutendere Rolle (Müller et al. 2016, S. 416). Eine gesellschaftspolitische zu teilen Information oder durch einen Kommentar auf Social-Media-Plattformen Position zu beziehen, übersetzt sich also nicht automatisch in Handeln.
Politisch aktiv: offline+online
Wenn sie politisch aktiv werden, entscheiden sich Jugendliche gerne für Formen der Partizipation, die mit wenig Aufwand verbunden und auf individuelle Aktivität angelegt sind: Petitionen zu unterzeichnen, Waren zu boykottieren oder Aufkleber / Anstecker zu tragen, sind die häufigsten Formen des politischen Engagements von Jugendlichen; die Teilnahme an kollektiven Aktionen wie Protesten oder Diskussionsveranstaltungen ist deutlich geringer (Wagner und Gebel 2014, S. 118; Shell Deutschland 2015, S. 25).
„Einfache“ Formen des Engagements finden mittlerweile auch ihre Entsprechungen im Internet. Die Shell-Jugendstudie zeigt, dass das Unterzeichnen von Online-Petitionen in etwa gleich beliebt ist wie klassische Unterschriftenlisten: Beide Formen der Partizipation wurden von gut einem Viertel der Jugendlichen bereits genutzt (Shell Deutschland 2015, S. 25).
In sozialen Netzwerken treten Jugendliche außerdem gerne Gruppen zu politischen Themen bei. Hierbei stellt sich die Frage, ob dies nicht eher der Identitätskommunikation dient als der tatsächlichen politischen Partizipation. So beteiligen sich deutlich weniger Jugendliche aktiv an Online-Debatten als dass sie Gruppen beitreten (Wagner und Gebel 2014, S. 123). Aktiv andere zu Internet- und Offline-Aktionen aufgerufen haben weniger als 20 Prozent der Jugendlichen, wobei die Autorinnen darauf hinweisen, dass ihre Studie bereits höhere Beteiligung an engagementbezogenen Internetaktivitäten aufweist als Vergleichsstudien (Wagner und Gebel 2014, S. 123). Aus diesen Ergebnissen zeigt sich eine Diskrepanz zwischen reaktivem und proaktivem Engagement sowie zwischen „einfachen“ und voraussetzungsvolleren Formen der Partizipation.
Verschiedene Formen des Clicktivism stellt der Handbuchbeitrag „Nachhaltigkeit per Mausklick, nur was für Faule?“ vor.
An einfachen Formen der Online-Partizipation wird kritisiert, dass sie nicht in erster Linie dazu dienen, an der jeweils angesprochenen Situation etwas zu ändern, sondern eher dazu, dass sich die Nutzer(innen) „gut“ fühlen. Während kritische Stimmen befürchten, dass Partizipation per Mausklick Menschen von effektiveren Formen der Partizipation – jenseits des Webs – entfremdet, betonen Befürworter(innen) das große Potenzial für einfache Informationsdistribution und Diskussion (vgl. Christensen 2011). Unter Begriffen wie „Clicktivism“ oder „Slacktivism“ (von engl. „Slacker“ = Faulpelz) werden Formen von digitalem Engagement kritisiert, die nicht über den Klick auf „gefällt-mir“-Knöpfe, Solidaritätsbekundungen per Profilbild oder Weiterleiten von Links hinausgehen.
Gleichzeitig stellt sich hier die Frage, ob Jugendliche nicht vielleicht auch deswegen einfache Formen der Partizipation bevorzugen, weil sie ihnen – online wie offline – leichter zugänglich sind. Mit Blick auf politische Websites in Schweden kritisiert z. B. Ulf Buskqvist, dass sie Jugendliche oftmals eher als Zuschauer(innen) ansprechen und den Fokus auf unterhaltende Elemente und nicht auf Möglichkeiten zur politischen Diskussion legen (vgl. Wagner et al. 2015, S. 49/57).
Potenziale für Partizipation
Aus diesen Ergebnissen lässt sich schließen, dass mit partizipativen Möglichkeiten ausgestattete Medien allein Jugendliche noch nicht zur politisch engagierten Bürger(inne)n machen. Vielmehr funktionieren sie als Verstärker bereits vorher angelegter Interessen (Wagner und Gebel 2014, S. 8).
Vorbildliche Projekte, in denen Jugendliche an die politische Partizipation herangeführt werden, stellt das Kapitel „Projekte – vom Jugendparlament zur Umweltaktion“ vor.
Nichtsdestotrotz besteht das Potenzial, dass politisch interessierte Jugendliche andere über ihr soziales Online-Netzwerk mobilisieren können, gerade wenn auch eine „Offline“-Verbindung zwischen ihnen besteht. Online- und Offline-Welt sind für Jugendliche verzahnt, dennoch unterscheiden sie sich in den Formen der Partizipation: Zur Diskussion bereit sind Jugendliche eher online, für gesellschaftliches Engagement zu motivieren sind sie vor allem von ihrem Umfeld jenseits des Webs.
Gerade die Schwelle zwischen Interessensbekundung und tatsächlicher partizipativer Aktivität erscheint hoch. Für die medienpädagogische Arbeit ergibt sich daraus die Aufgabe, produktives Medienhandeln von Jugendlichen stärker zu fördern (Wagner et al. 2009, S. 79).
Da insbesondere Jugendliche mit geringerem Bildungshintergrund online produktiv werden und Jugendliche mit Migrationshintergrund ein verstärktes Interesse haben, zu ihren Themen gehört zu werden, ergibt sich hier ein Potenzial, soziale Ungleichheiten abzubauen. Informationsinteressen von Jugendlichen wahrzunehmen und ihnen entsprechende Medienangebote zu machen, ist eine zentrale Aufgabe auch für Medienmacher(innen) und die politische Bildung.
Partizipationsangebote, die sich an Jugendliche richten, sollten jugendliche Themen und das Bedürfnis nach Identitätskommunikation aufgreifen, Offline-Verbindungen zwischen Jugendlichen nicht vernachlässigen und auch der Generation der Digital Natives Partizipation jenseits des „Clicktivism“ zutrauen und ermöglichen.
Weiterlesen: Politische Bildung in der Schule
Quellen
Bitkom Research (2015): Jeder Fünfte nutzt soziale Netzwerke als Nachrichtenquelle. BITKOM e.V. Online verfügbar, zuletzt aktualisiert am 24.05.2016, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
Calmbach, Marc; Borgstedt, Silke; Borchard, Inga; Thomas, Peter Martin; Flaig, Berthold Bodo (2016): Wie ticken Jugendliche 2016? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Wiesbaden: Springer.
Christensen, Henrik Serup (2011): Political activities on the Internet: Slacktivism or political participation by other means? In: First Monday 16 (2). Online verfügbar, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
Mitchell, Amy; Gottfried, Jeffrey; Matsa, Katerina Eva (2015): Millennials and Political News. Social Media – the Local TV for the next generation? Pew Research Centre. Online verfügbar, zuletzt aktualisiert am 01.06.2015, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
mpfs (2015): JIM-Studie 2015. Jugend, Information, (Multi-)Media, Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Online verfügbar, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
Müller, Doreen; Hameister, Nicole; Lux, Katharina (2016): Anstoß und Motive für das freiwillige Engagement. In: Julia Simonson, Claudia Vogel und Clemens Tesch-Römer (Hg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014. Berlin, S. 407–426. Online verfügbar, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
Schmidt, Jan-Hinrik (2015): Politische Sozialisation und Partizipation von Jugendlichen im Internet. In: Politische Partizipation Jugendlicher im Web 2.0. Chancen, Grenzen, Herausforderungen. Dortmund: Eigenverlag Forschungsverbund DJI/TU Dortmund, S. 11–38. Online verfügbar, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
Shell Deutschland (2015): Jugend 2015: 17. Shell Jugendstudie. Zusammenfassung. Online verfügbar, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
ufuq.de (2015): „Darf ich als Muslim wählen gehen?“
Islam und Demokratie in der pädagogischen Praxis (nicht nur online). Online verfügbar, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
Vogel, Claudia; Hagen, Christine; Simonson, Julia; Tesch-Römer, Clemens (2016): Freiwilliges Engagement und öffentliche gemeinschaftliche Aktivität. In: Julia Simonson, Claudia Vogel und Clemens Tesch-Römer (Hg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014. Berlin, S. 85–147. Online verfügbar, zuletzt geprüft am 19.01.20017.
Wagner, Ulrike; Brüggen, Niels; Gebel, Christa (2009): Web 2.0 als Rahmen für Selbstdarstellung und Vernetzung Jugendlicher. Analyse jugendnaher Plattformen und ausgewählter Selbstdarstellungen von 14- bis 20-Jährigen. JFF Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. München. Online verfügbar, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
Wagner, Ulrike; Gebel, Christa (2014): Jugendliche und die Aneignung politischer Information in Online-Medien. Unter Mitarbeit von Nadine Jünger. Wiesbaden: Springer VS.
Wagner, Ulrike; Gerlicher, Peter; Potz, Annika (2015): Politische Aktivitäten von Heranwachsenden und von jungen Erwachsenen im Internet. In: Politische Partizipation Jugendlicher im Web 2.0. Chancen, Grenzen, Herausforderungen. Dortmund: Eigenverlag Forschungsverbund DJI/TU Dortmund, S. 39–108. Online verfügbar, zuletzt geprüft am 19.01.2017.
Weiterlesen „Politische Bildung in der Schule“
Veröffentlicht im September 2016
Aktualisiert im Januar 2017