Als Finn geboren wird, ist er bereits eine Person öffentlichen Interesses. Seine Eltern haben Nachrichten und sogar ein Ultraschallbild in diversen sozialen Netzwerken gepostet – seine Ankunft ist für seine Follower deshalb zwar eine Freude, aber keine Überraschung. Auch sein weiterer Werdegang wird akribisch dokumentiert.
Jährlich aktuell gibt der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest die JIM-Studie (Jugendliche) und die KIM-Studie (Kinder) heraus, in denen das Mediennutzungsverhalten der Zielgruppe seit 1998 abgefragt und erläutert wird.
Selbstverständlich wächst er mit einer Vielzahl digitaler Medien auf und ist auf diese Weise bereits in jungen Jahren ein Experte, was die zunehmend souveräne Nutzung von Geräten der Informations- und Kommunikationstechnologie angeht.
Als er in den Kindergarten kommt, werden seine Eltern seine Vertreter im Elternbeirat und streiten dort – immer sachlich, aber dennoch mit einer gewissen Leidenschaft – für seine Interessen. Diese Rolle übernehmen sie auch bei seinem nächsten „Karriereschritt“ und besuchen jeden Elternabend in der Schule. Dort lernen sie, dass es nicht immer leicht ist, Einzelinteressen mit denen der Allgemeinheit auszusöhnen.
In der sechsten Klasse schließlich ist es soweit: Nun hat Finn als frisch gewählter Klassensprecher sein erstes eigenes „gesellschaftliches“ Amt inne und setzt sich ab jetzt mit seinen Mitschülerinnen und -schülern, aber auch mit der Lehrerschaft über berechtigte – und auch einmal weniger berechtigte – Anliegen auseinander.
Einen ersten Einblick ins Rechtssystem eines demokratischen Staates erhält er, als er eine Mitschülerin zu einer Klassenkonferenz begleiten muss, bei der sie sich für ihre Handlungen zu rechtfertigen hat; Anklage und Verteidigung, Fürsprecher und Richter treten bei diesem Anlass – so geringfügig er auch zu bewerten ist – erstmals in sein Leben.
Infovideo zu Fairtrade-Schools:
Zur gleichen Zeit ist er in Schulprojekte involviert, durch die die Welt da draußen plötzlich näher rückt: In der 5. Klasse geht es los mit Schulpartnerschaften, über die er Kinder in anderen Ländern kennenlernt; in der 7. Klasse ist er Gründungsmitglied einer Fairtrade-Schulteam, in der Neunten berichtet die Schülerzeitung, an der er inzwischen mitwirkt, auch über kontroverse Themen des schulischen und außerschulischen Alltags – so etwa über die Projektwoche mit dem Thema „Einwanderung gestern und heute“, über deren inhaltliche Gestaltung sich im Vorfeld Schüler, Lehrer und Eltern erbittert streiten.
Greenpeace auf Youtube:
Für ökologische Fragen interessiert er sich schon früh; dass er einen Teil seiner Freizeit in der örtlichten Jugend-AG von Greenpeace verbringt, ist für ihn der nächste logische Schritt.
Aus dem MedienVielfaltsMonitor der DLM, der Gemeinschaft aller Landesmedienanstalten in Deutschland:
„Die Entwicklung des Internets zeigt, dass für die Meinungsbildung relevante Informationen nicht mehr alleine an traditionelle Medien gebunden sind. Neben den publizistisch relevanten Onlinemedien sind Plattformen wie Google, Facebook und YouTube ebenfalls von großer Bedeutung für die Informationsversorgung, da sie den Zugang zu den meinungsrelevanten Informationsangeboten gestalten und beeinflussen können.“ (S. 28)
Aber selbstverständlich ist er nicht nur damit befasst, „die Welt zu verbessern“. Per WhatsApp tauscht er sich mit engen Freund(inn)en und entfernteren Bekannten über das aus, was seine Peergroup bewegt, und organisiert sein soziales Leben. Über Facebook bekommt er seine täglichen Nachrichten von den Medien und Organisationen und Personen, die ihm „gefallen“. Dort teilt er auch Aufrufe zu Aktionen seiner Jugendgruppe und Beiträge zu den Themen, die ihm wichtig sind.
YouTube-Kanal von LeFloid:
Er folgt seinen Heroes bei YouTube und interessiert sich für ihre Sicht der Dinge. Er veröffentlicht Selfies und andere fotodokumentarische Beweise seiner Existenz über Instagram – nichts davon ohne Filter. Das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hat, bestimmt er nun selbst.
Begriffe wie Datenschutz, Privatsphäre, Urheberrecht, Filterblase sind ihm bekannt; theoretisch und dann, wenn er direkt darauf angesprochen wird, sieht er den Diskussionsbedarf bei manchen dieser Punkte. Seine Lebensrealität ist nur an einigen Stellen einfach eine andere.
Informationen zu Internetkampagnen und anderen Formen der Digitalen Teilhabe finden sich in unserer Online-Broschüre „IM BLICKPUNKT: Digitale Teilhabe“.
Er kann sich nicht so recht vorstellen, bei einer Demo für Meinungsfreiheit ein Banner zu tragen. Eher unterschreibt er Online-Petitionen über Campact oder andere Kampagnenplattformen.
Gedanken zum Thema „Hass & Hetze“ haben wir uns im gleichnamigen Artikel im Labor gemacht.
Immer wieder stößt Finn auf Hass im Netz. Egal, ob es in den unteren Klassen darum geht, dass Mitschülerinnen und Mitschüler gemobbt werden oder um den Widerwillen, mit dem er rassistische, homophobe, frauenfeindliche Kommentare seiner Altersgenossen (aber auch in Online-Zeitungen) liest: Dies ist nicht die Weise, in der er mit der Welt um ihn herum kommunizieren will.
Ideen, wie junge Menschen in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe (digital) unterstützt werden können, hat die Landesregierung NRW für den #NRWHack am 3. September 2016 gesammelt.
Finn wird in wenigen Monaten 18 und die nächste Wahl ist seine erste. Ein „politischer“ Mensch war er lange vorher.
Weiterlesen: Jugend & Partizipation in der Forschung
Veröffentlicht im September 2016